Bei den Erdgesprächen wurde über Stadtgestaltung diskutiert: Wien ist lebenswert, aber es gibt Aufholbedarf, meinen Experten
Wien
- Ein halbes Jahr vor der 21. UN-Klimakonferenz in Paris drehte sich
auch bei den Erdgesprächen in der Wiener Hofburg alles um
Klimaschutz und wie eine lebenswerte Stadtgestaltung dazu beitragen
kann. Verkehrsplaner Harald Frey von der TU Wien, Vizebürgermeisterin
Maria Vassilakou, Harald Gründl, Geschäftsführer vom Wiener
Institut of Design Research und Elisabeth Noever-Ginthör vom
Kreativzentrum Departure diskutierten über Städte der Zukunft.
Dabei herrschte Einigkeit: Weniger Platz für Autos und mehr Freiraum
in Städten.
"Das
Verkehrssystem, so wie es sich uns heute präsentiert, ist ein junges
Phänomen", sagte Harald Frey zu Beginn. Denn erst seit 60 bis
70 Jahren verändert die Massenmotorisierung die Städte. Früher
seien die Menschen die Skalengröße gewesen. Das zeige sich etwa
beim Flanieren in alten Teilen der Stadt an niedrigen Durchgängen
und schmalen, verwinkelten Gassen. Heute dominiert weitgehend das
Auto das Stadtbild.
"Der Platz wird knapp"
Das
Wachstum der Stadt beinhaltet enorme Chance "um ganz viel anders
zu gestalten", sagte Maria Vassilakou. Doch auch auf die bereits
vorhandenen Stadtteile müsse man einen prüfenden Blick werfen. Die
Stadt soll verdichtet werden, was Dachausbauten, Nutzung von
Hinterhöfen, ehemaligen Kasernen und Bahnhöfen umschließt.
"Platz
ist kostbar. Wo Platz nicht mehr vermehrbar ist, erkennt man, dass
das auch mit Mobilität zusammenhängt", sagte die Grüne. Eine
Neubewertung des Raums, der dem motorisierten Verkehr in der Stadt
eingeräumt wird, sei daher nicht nur aus ökologischen Gründen
wichtig, sagte Vassilakou: "Der Platz wird schlicht und einfach
knapp." Das wesentliche Wachstumspotenzial steckt ihrer Meinung
nach in der Umgestaltung der Städte.
Kreativität
ist nicht nur der Kunst vorbehalten, sondern muss wieder mehr in
politische und soziale Innovationen einbezogen werden, forderte
Elisabeth Noever-Ginthör in diesem Zusammenhang. Für Vassilakou ist
es wichtig, zunächst zu entscheiden, was Lebensqualität ausmacht
und wie lebenswerte Städte aussehen müssen. Drei Kriterien sind für
sie dabei grundlegend: Sicherheit, Freiheit und Solidarität.
Emotionales Thema Fußgängerzonen
"Wir
haben alle eine Tendenz vorsichtig zu sein und im schlimmsten Fall
bleibt alles so, wie es ist", warf Verkehrsplaner Frey ein.
Gerade in Wien könnte man gut erkennen: Sobald Lösungen umgesetzt
werden, identifizieren sich alle damit und waren "eh schon immer
dafür". Das betreffe fast alle Verkehrsberuhigungsmaßnahmen
und Fußgängerzonen in Wien, wo es Anfangs immer starken Widerstand
gibt. "Es gibt acht Millionen Experten, weil alle betroffen
sind", sagte Frey.
Designer
Gründl verortete Versäumnisse bei den Übergängen bei
Neugestaltungen von Stadtteilen, wie etwa bei der Verkehrsberuhigung
der Mariahilferstraße. "Menschen lieben Rituale, Design der
Zukunft sollte gerade bei emotionalen Themen unterstützend wirken",
sagte er. Die Stadt muss in 30 Jahren anders funktionieren. Das wirft
die Frage auf, wie man gesellschaftliche Veränderungsprozesse
begleitet und welche Werkzeuge dafür eingesetzt werden.
Konsumverhalten und Lebensqualität hinterfragen
Gründl
erkennt in der Verkehrsberuhigung der Mariahilferstraße jedoch
keinen gesellschaftlichen Wandel: Das Konzept von Einkaufstraßen mit
globalisierten Ketten sei nicht zukunftsträchtig. "Zwar hat
sich die Mobilität geändert, aber die Art wie wir leben hat sich
nicht verändert. Wir konsumieren immer noch und arbeiten 40
Wochenstunden, um weiter konsumieren zu können", sagte er.
Für
Vassilakou geht es darum, einen Freiraum in jedem Grätzel zu
gewinnen. Die Mariahilferstraße sei zwar noch Raum des Konsums, aber
wichtiger Freiraum in den dicht verbauten Bezirke Mariahilf und
Neubau: "Die Leute flanieren, treffen sich, es hat fast schon
Dorfcharakter."
Die
Frage nach Mobilität älterer Menschen war einer der letzten
Diskussionspunkte. Vassilakou räumte ein, dass die Frage legitim
ist, wenn weitläufige Fußgängerzonen gestaltet werden. "Muss
man sich überlegen, wie man das organisieren kann, dass die Menschen
an ihre Ziele kommen." So befürwortete sie zum Beispiel im
Pilotprojekt, dass Taxis in Fußgängerzonen mit Fahrgästen zufahren
dürfen. "Aber die Taxifahrer haben sich in der Testphase selbst
geweigert", ergänzte sie.
Als
mögliche weitere Lösungen werden zum einen Faxis, also Radtaxis,
fahren. Zum anderen meinte sie, dass "etwas wie eine
Lilliputbahn rauf und runter fahren" könnte. (Julia Schilly,
29.5.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen