Als
hätten sie nur darauf gewartet: 1938 zogen österreichische
Architekten ihre größenwahnsinnigen Pläne für den Umbau Wiens aus
der Schublade. Eine Ausstellung räumt mit dem Opfermythos auf
.
Sie
sind die größte Hinterlassenschaft der NS-Zeit in Österreich:
die sechs Wiener Flaktürme des Architekten Friedrich Tamms. Zählen
sie doch zum Authentischsten und Martialischsten, was von der
NS-Architektur überliefert ist. Mehr als selbst noch die Regierungs-
und Prestigebauten des Dritten Reiches verkörpern sie, was der
Wesenskern der Epoche war. In ihnen kommen Symbolik und Materialität,
Form und Inhalt, Funktion und Erscheinungsbild wie in keinem anderen
Bautyp dieser Zeit zur Deckung. In der Wiener Ausstellung "Perle
des Reiches" gehören die Hinweise auf sie zu den
anschaulichsten Dokumenten für das, was hier – so der Anspruch –
"erstmals in einer umfassenden Ausstellung" am Beispiel von
Österreichs Hauptstadt gezeigt werden soll: dass nämlich
Architektur, Stadt- und Raumplanung vom NS-Staat "als
Machtinstrumente für monumentale Selbstdarstellungen vereinnahmt und
ihre Protagonisten zu 'Verbündeten' eines totalitären Systems"
wurden.
Dass
die Ausstellung da nur einer Lesart folgt, die Joseph Goebbels selbst
wenige Monate nach dem "Anschluss" Österreichs bei der
Eröffnung der 2. deutschen Architektur- und Kunsthandwerkausstellung
in Münchenausgegeben
hatte, teilt sie mit unzähligen Versuchen einer "Aufarbeitung":
"Es ist ein geradezu monumentales Programm", so Goebbels.
"Die aufstrebende Weltmacht des Reiches bekommt ihr monumentales
architektonisches Gesicht. Die Durchführung dieses monumentalen
Programms ist dazu bestimmt, auf Jahrhunderte weiterzuwirken. Die
architektonische Umgestaltung der Städte soll den Ruhm der
nationalsozialistischen Epoche in die fernste Zukunft weitertragen."
Das war das vermessene Versprechen.
Ein
wenig vermessen klingt freilich auch der Anspruch der Kuratorinnen
Ingrid Holzschuh und Monika Platzer, mit ihrer Ausstellung faktisch
Neuland zu betreten. Seit 1998 liegt die Monografie ihres Landsmannes
Helmut Weihsmann "Bauen unterm Hakenkreuz" vor, in der der
"Ostmark" ein eigener Abschnitt mit Beleuchtung der
wichtigsten Städte und mit gründlich recherchierten Objektlisten
gewidmet ist. Zudem hat Ingrid Holzschuh selbst erst vor vier Jahren
eine eigene Untersuchung über "Wiener Stadtplanung im
Nationalsozialismus" veröffentlicht, deren Anschaulichkeit und
Übersichtlichkeit sogar die gegenwärtige Ausstellung übertrifft.
Neu ist die Ausweitung der Recherche auf die "imperiale
Raumpolitik" sowie das Nachwirken der NS-Planungen auf die
Nachkriegszeit.
Aber
was war wirklich geplant in Wien?
Angefangen hatte alles mit Hitlers Ankündigung vom 9. April 1938:
"Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in
jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist, und sie der Obhut
des ganzen Deutschen Reiches, der ganzen Deutschen Nation
anvertrauen." Minutiös legt die Ausstellung anhand von
Dokumenten vornehmlich aus dem Archiv des Stadtplaners Klaus Steiner
dar, wie diese Zielsetzung zunächst geopolitisch untermauert werden
sollte: Die neue Gauhauptstadt Wien war ausersehen, zu einem
"Hamburg des
Südostens" und einem zweiten deutschen "Tor zur Welt"
ausgestaltet zu werden.
Die
Wege zu diesen proklamierten Zielen freilich bleiben nebulös. Wohl
sollten in Wien die administrativen, die Wirtschafts- und die
Kulturbeziehungen zu den Balkanländern gebündelt werden, doch außer
umfangreichen Verkehrsplanungen mit Autobahnanschlüssen, zwei neuen
Zentralbahnhöfen, Hafenanlagen und einem "Weltflughafen"
lassen sich konkrete Schritte nicht erkennen. Unklar erscheint auch
das Verhältnis, das der zweitgrößten Stadt im Reich zu ihren
Konkurrenten zugedacht war.
Was
die architektonisch-städtebauliche Ausformung der Wiener Visionen
betraf, so gedieh davon nichts zur Reife außer Funktionsbauten,
Kasernen und einigen Tausend Wohnungen. Dabei war die Stadt durch die
verwandtschaftlichen Beziehungen des Gauleiters Baldur von Schirach
zu Hanns Dustmann, einem Günstlingsarchitekten Albert Speers,
besonders privilegiert, sich mit Großplanungen bis in die
Reichsführung Aufmerksamkeit zu verschaffen. Tatsächlich aber kam
es zu Rangeleien und zerfleischenden Rivalitäten zwischen selbst
ernannten Planern, dem Wiener Stadtplanungsamt und den Berliner
Instanzen, sodass zwar ein Riesenprojekt nach dem andern aus der
Taufe gehoben, aber nicht ein einziges realisiert wurde. Schuld daran
war offenbar nicht zuletzt die ambivalente Haltung Hitlers. Trotz
aller Beteuerungen, dass für ihn das architektonische Juwel, die
Wiener Ringstraße, ein "Wunder aus Tausendundeiner Nacht"
sei, zog er der K.-u.-k.-Metropole das oberösterreichische Linz, die
Stadt seiner Jugend, vor, aus der er ein "deutsches Budapest"
beiderseits der Donau zu machen versprach.
Das
hinderte Scharen von Architekten nicht daran, sich eigenmächtig in
Entwürfe zu stürzen. Zuerst hatte sich besonders der Berliner Franz
Pöcher hervorgetan, der den "Anschluss" nicht abwarten
konnte und schon 1937/38 mit Achsenplänen, einer Hochstraße bis auf
den Kahlenberg nach dem Vorbild römischer Aquädukte und einer 330
Meter hohen Gauhalle nach dem Muster von Speers "Großer Halle"
in Berlin herausrückte,
die wohl sogar bei Speer entnervtes Kopfschütteln auslösten.
Aber
dieses Vorbild scheint den Maßstab für alle folgenden Planungen
vorgegeben zu haben. Riesige Gauforen, denen ganze Quartiere im 2.
und 20. Bezirk weichen sollten, die Vollendung der Ringstraße und
Achsensysteme über die Donau hinweg, Sportanlagen auf einer
Donauinsel, als sollten Olympische Spiele in die Stadt geholt werden,
ein Triumphbogen, ein Nord- und ein Südbahnhof, ebenfalls nach
Berliner Vorbild, und natürlich immer neue Gauhallen ließen einen
Zukunftsprospekt entstehen, nach dem die bestehende Stadt durch neue
Schwerpunktsetzungen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht worden
wäre. Hitler soll nichts davon akzeptiert, sondern säuerlich
geäußert haben, Wien sei eigentlich schön genug, da müsse man
nicht viel ändern.
Umso
mehr stellt sich die Frage (die in der Ausstellung ausgespart wird),
was es gewesen sein kann, das die Architekten eines künftigen Wien
zu derart monströsen Projekten verleitete? Als hätten die alle
Maßstäbe sprengenden Planungen jahrzehntelang in Schubläden
gelegen und nur darauf gewartet, veröffentlicht zu werden, zückten
die Planer ihre detailliert ausgearbeiteten Reißbrettentwürfe fast
gleichzeitig wie auf Kommando aus der Tasche. An Speer und Hitler
vorbei entfaltete sich ein Überbietungswettbewerb, als ginge ein
Jahrhunderttraum in Erfüllung. Von Beklemmung durch den "Anschluss"
keine Spur. Mit den Opfermythen Österreichs lässt sich das nicht in
Einklang bringen. Die maßstabslose Größe, die Idee von Achsen,
riesigen Foren, überkuppelten Versammlungshäusern wie Tempeln und
gewaltigen Anlagen zur Bündelung des Verkehrs – sie waren in den
Köpfen vorhanden und mussten weder diktiert noch eingeübt werden.
Schon
1985 hat der Bauhistoriker Hartmut Frank in der großen
Grundsatzpublikation "Faschistische Architekturen" davor
gewarnt, den Nazis und ihrer Legende, es gäbe eine faschistische
Architektur, allzu leichtgläubig auf den Leim zu gehen. "Die
wenigen Bauten", so legte er dar, "stehen mit Sicherheit
nicht außerhalb des Kontinuums der Architekturentwicklung dieses
Jahrhunderts." Dass dies auch für die Radikalität der
Umformung gilt, die in den weder von Hitler noch von Speer
autorisierten Wiener Projekten zum Ausdruck kommt, beweist die Wiener
Ausstellung auf schlagende Weise. Ist es wirklich so anstößig, wenn
dieses "technokratisch-modernistische Leitbild der NS-Zeit für
Wien" in Dutzenden Planungsvarianten bis hin zum U-Bahn- und
Autobahnbau bis heute fortlebt? Der Enthüllungston vieler
Nachkriegspublikationen (und auch des Wiener Katalogs) klingt
angesichts dieser Selbstverständlichkeit ziemlich aufgesetzt. Das
"geradezu monumentale Programm", so hatte Goebbels in
seiner Münchner Rede über die NS-Baupolitik vom Dezember 1938 in
einem grammatisch verkorksten Satz erklärt, sei "im Gegensatz
zur Vergangenheit nicht dazu bestimmt, als Modelle und Projekte in
den Architekturbüros zu vermodern und zu verkommen".
Die
Geschichte hat dafür gesorgt, dass genau das den Wiener
Monumentalplanungen widerfahren ist. Während der vom
Reichspropagandachef beschworene "Siegeszug der Technik"
und der "Zweckmäßigkeit" unbeschadet weiterging, sind von
ihnen nur die Flaktürme geblieben – Festungsbauwerke, die fremd
und funktionslos wie die Pyramiden und Götterstatuen einer vor
tausend Jahren untergegangenen Epoche in der Wiener Stadtlandschaft
stehen. Nur an ihnen wurde auch noch 1944 gebaut, nur ihnen ist
ironischerweise die Auszeichnung zuteil geworden, den von Hitlers
Minister den Nachgeborenen in Aussicht gestellten "Ruhm der
nationalsozialistischen Epoche in die fernste Zukunft
weiterzutragen". Darin liegt der dunkle Doppelsinn aller
Symbolik, dass sie eben nicht nur einer Idee der Tagespolitik,
sondern dem Urteil von Jahrhunderten standhalten muss.
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