Was
dem einfachen Bürger seine Selbstverwirklichung ist, ist dem
anspruchsvollen Politiker seine Authentizität. Im Kern geht es - das
eine Mal privat, das andere Mal notwendigerweise für die
Öffentlichkeit inszeniert - beide Mal so ziemlich um das Gleiche:
Man will sich nicht verbiegen (lassen), möchte so sein, wie man
wirklich ist.
Tatsächlich
gilt Authentizität heute längst als einer der entscheidenden
Schlüsselfaktor für politischen Erfolg. Wenn man schon als
einfacher Bürger nicht mehr einzuschätzen vermag, wer bei komplexen
Streitfragen recht und wer unrecht hat, dann gibt man in der Regel
dem Politiker seine Stimme, von dem man vermutet, er spiele einem
nicht auch noch in Bezug auf die eigene Persönlichkeit großes
Theater vor.
Natürlich
ist die angebliche Authentizität öffentlicher Personen ein großes
Tarnen und Täuschen. Der Schein stimmt nur in den seltensten Fällen
mit dem Sein überein. Wahrscheinlich ist sogar, dass nicht wenige
Politiker ihre wahre Persönlichkeit verbergen, mitunter sogar
unterdrücken. Das tun natürlich auch andere öffentliche Personen,
allerdings stellen sich wohl nur Politiker bewusst in einem, nun ja:
ambivalenteren Licht dar, als sie eigentlich müssten. Anders
formuliert: Sie opfern Image im Gegenzug für politische
Durchsetzungskraft.
Als
ein Musterbeispiel dieses Typs ist Michael Häupl. Der Wiener
Bürgermeister wird von Menschen, die ihn kennen, einmütig und
ungeachtet ihrer politischen Anschauungen als ungeheuer belesen und
umfassend gebildet beschrieben. Das hindert Häupl nicht, seit
Jahrzehnten sein Image als Wiener Fiaker mit Hang zu derben Sprüchen
öffentlich zu kultivieren. Er macht das sogar so "authentisch",
dass die sprichwörtlichen kleinen Wiener ihren Bürgermeister für
einen der Ihren halten und etliche Bildungsbürger sich für ihr
Stadtoberhaupt genieren. Kurz: Der Intellektuelle Häupl generiert
aus seinem angeblich authentischen Image als Polterer mit dem Hang
zur Gemütlichkeit politisches Kapital als Chef einer Arbeiterpartei,
der ihre Kernklientel abhanden zu kommen droht.
Mit
dem Rollenbild "der Politiker als Intellektueller" kommt
man als Volksvertreter in Österreich aber ohnehin nicht wirklich
weit. Diesen Schluss hat allerdings auch schon der legendäre
Weltkriegsgeneral und spätere US-Präsident Dwight Eisenhower für
das Washingtoner Politik-Biotop gezogen. "Ike" konnte
wunderbar damit leben, dass ihn viele für nicht wirklich clever
hielten. Wahrscheinlich ging es George W. Bush nicht unähnlich.
Für
Österreich spricht einiges für die Hypothese, dass sich die
Politiker der Republik im Durchschnitt biederer geben als sie
realiter tatsächlich sind. Wobei die jüngere Vergangenheit - Hypo,
Hypo, Hypo - durchaus imstande ist, diesen Zweckoptimismus zu
erschüttern. (Nicht unwahrscheinlich ist, dass Politiker im Hinblick
auf Medienschaffende von der genau umgekehrten Vermutung ausgehen.)
Bleibt
die Frage, wie wir es so weit bringen konnten, dass Politiker
hinreichend Anlass zur Vermutung haben, dass sie ihre Karriere und
politischen Ziele besser durchsetzen, wenn sie ihr Geisteslicht unter
den Scheffel stellen. Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft, die
allerorten gepredigt wird, wird sich das noch als Hindernis erweisen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen