Umberto
Eco Passend zum Jahrestag des Sieges über den
Faschismus und Nationalsozialismus. In seiner unnachahmlichen Art
macht Eco den Ur-Faschismus dingfest ...
Ein
Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied MopperKopp
Die Banken-Krise,
die in einem undemokratischen Akt ohnegleichen zu
einer Staatsschulden-Krise umfirmiert
wurde, letztlich also durch rigorose Aushebelung der Demokratie der
Kapitalismus und seine Fabrikation
der Schulden einerseits
gerettet und gleichzeitig auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt
wurde, führt dazu, dass der Faschismus mit dem Erstarken der Rechten
sein Haupt wieder erhebt.
Umberto
Eco ist
nicht nur ein guter Wissenschaftler und Schriftsteller, er ist auch
ein politisch denkener Mensch, der die tiefen Zusammenhänge von
Macht, Herrschaft, Politik, Medien, Klassen und Ablehnung des Geistes
der Aufklärung immer wieder durcharbeitet und ausformuliert:
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Das erste Merkmal des Urfaschismus ist der Traditionskult. Traditionalismus ist natürlich viel älter als der Faschismus. Er war nicht nur typisch für das konterrevolutionäre katholische Denken nach der Französischen Revolution, sondern entstand schon im hellenistischen Synkretismus als Reaktion auf den griechischen Rationalismus der Klassik. Synkretismus ist nicht nur, wie es im Wörterbuch heißt, "die Vermischung verschiedener Religionen, Konfessionen oder philosophischer Lehren". Eine jede der ursprünglichen Botschaften enthält einen Splitter der Weisheit, und wenn sie auch unterschiedliche oder unvereinbare Dinge verkünden mögen, so beziehen sie sich doch sämtlich auf die gleiche ursprüngliche Wahrheit. Es kann daher keinen Fortschritt der Erkenntnis geben. Die Wahrheit ist ein für allemal verlautbart, und uns bleibt nur, ihre unverständliche Bedeutung zu interpretieren. Die Nazi-Gnosis nährte sich aus traditionalistischen, synkretistischen, okkulten Elementen. Der einflußreichste Urheber der Theorien der neuen italienischen Rechten, Julius Evola, verschmolz den Heiligen Gral mit den Protokollen der Weisen von Zion, Alchemie mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Daß die italienische Rechte vor kurzem ihren Kanon um Werke von De Maistre, Guenon und Gramsci bereicherte, um ihre Offenheit zu demonstrieren, ist ein Beleg des Synkretismus. Wenn man in amerikanischen Buchhandlungen in den Regalen mit dem Etikett New Age herumstöbert, findet man dort sogar den heiligen Augustin, der nach meiner Kenntnis kein Faschist war. Aber der heilige Augustin in Verbindung mit Stonehenge - da springt uns ein Symptom des Urfaschismus ins Auge.
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Traditionalismus impliziert die Ablehnung der Moderne. Sowohl Faschisten als auch Nazis verehrten die Technologie, während traditionalistische Denker sie gewöhnlich als Negation traditioneller geistiger Werte ablehnen. Aber obwohl der Nazismus auf seine industriellen Leistungen stolz war, lag sein Modernismus nur an der Oberfläche einer Ideologie, die sich auf Blut und Boden gründete. Die Ablehnung der modernen Welt tarnte sich als Ablehnung kapitalistischer Lebensweise, aber in erster Linie ging es um die Ablehnung des Geistes von 1789. Die Aufklärung, das Zeitalter der Vernunft, gilt als Beginn moderner Entartung. In diesem Sinne läßt sich Urfaschismus als Traditionalismus definieren.
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Irrationalismus ist auch abhängig vom Kult der Aktion um der Aktion willen. Eine in sich schöne Aktion muß vor dem Denken erfolgen oder ganz ohne Denken. Denken ist eine Form der Kastration. Daher wird Kultur verdächtig, sobald sie mit kritischen Einstellungen identifiziert wird. Mißtrauen gegenüber der Welt des Intellekts war immer ein Symptom des Urfaschismus.
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Kein synkretistischer Glaube kann analytischer Kritik widerstehen. Der kritische Geist macht Unterscheidungen. In der modernen Kultur lobt die Wissenschaft mangelnde Übereinstimmung als nützlich für die Bereicherung des Wissens. Für den Urfaschismus ist fehlende Übereinstimmung Verrat.
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Zudem sind Meinungsverschiedenheiten ein Anzeichen der Vielfalt. Der Urfaschismus wächst und sucht Unterstützung, indem er die natürliche Angst vor Unterschieden ausbeutet und verschärft. Der erste Appell einer faschistischen oder vorfaschistischen Bewegung richtet sich gegen Eindringlinge. So ist der Urfaschismus qua Definition rassistisch.
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Der Urfaschismus entstand aus individueller oder sozialer Frustration. Deshalb gehörte zu den typischen Merkmalen des historischen Faschismus der Appell an eine frustrierte Mittelklasse, eine Klasse, die unter einer ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung litt und sich vor dem Druck sozialer Gruppen von unten fürchtete. In unserer Zeit, da die alten "Proletarier" zu Kleinbürgern werden (und die Lumpenproletarier von der politischen Szene weitgehend ausgeschlossen sind), wird der Faschismus von morgen sein Publikum in dieser neuen Mehrheit finden.
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Den Menschen, die sich einer ausgeprägten sozialen Identität beraubt fühlen, spricht der Urfaschismus als einziges Privileg das häufigste zu: im selben Land geboren zu sein. Dies ist der Ursprung des Nationalismus. Außerdem bezieht eine Nation ihre Identität nur aus ihren Feinden. Daher liegt an der Wurzel der urfaschistischen Psychologie die Obsession einer Verschwörung, am besten einer internationalen Verschwörung. Die Anhänger müssen sich belagert fühlen. Am leichtesten läßt sich dieser Verschwörung mit einem Appell an den Fremdenhaß begegnen.
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Die Anhänger müssen sich vom offensichtlichen Reichtum und der Macht ihrer Feinde gedemütigt fühlen. Als ich ein Junge war, lehrte man mich, an die Engländer als das Volk mit den fünf Mahlzeiten zu denken. Sie aßen häufiger als die armen, aber nüchternen Italiener. Juden sind reich und helfen einander über ein geheimes Netz gegenseitiger Unterstützung. Aber die Anhänger müssen auch überzeugt sein, daß sie ihre Feinde besiegen können. Daher, durch ständige Verlagerung des rhetorischen Brennpunkts, sind die Feinde gleichzeitig zu stark und zu schwach. Faschistische Regierungen sind dazu verurteilt, Kriege zu verlieren, weil sie konstitutiv unfähig sind, die Stärke des Feindes richtig einzuschätzen.
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Im Urfaschismus gibt es keinen Kampf ums Überleben - das Leben ist nur um des Kampfes willen da. Pazifismus ist daher Kollaboration mit dem Feind. Er ist schlecht, weil das Leben ein ständiger Kampf ist. Das jedoch führt zu einem Armageddon-Komplex. Da die Feinde besiegt werden müssen, ist auch eine Entscheidungsschlacht erforderlich, und danach wird die Bewegung die Weltherrschaft antreten. Aber eine solche "Endlösung" impliziert auch wieder eine Friedensära, ein neues Goldenes Zeitalter, was dem Prinzip des ständigen Krieges widerspricht. Keinem faschistischen Führer ist jemals die Lösung dieses Problems gelungen.
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Elitedenken ist ein typischer Aspekt jeder reaktionären Ideologie, insoweit sie im Grunde aristokratisch ist, und aristokratisches und militaristisches Elitedenken hat eine grausame Verachtung des Schwächeren im Gefolge. Der Urfaschismus kann nur ein allgemeines Eliteempfinden vertreten. Jeder Bürger gehört dem besten Volke der Welt an, die besten Bürger sind die Mitglieder der Partei, jeder Bürger kann (oder sollte) der Partei beitreten. Aber ohne Plebejer keine Patrizier. Der Führer weiß, daß seine Macht ihm nicht demokratisch übertragen, sondern gewaltsam erobert wurde, und ihm ist ebenso klar, daß seine Kraft in der Schwäche der Massen wurzelt; sie sind so schwach, daß sie einen Führer brauchen und verdienen. Da die Gruppe hierarchisch organisiert ist (dem militärischen Modell nachempfunden), verachtet jeder Unterführer seine Untergebenen, und jeder von diesen verachtet die ihm Untergebenen. Das verstärkt das massenhafte Elitebewußtsein.
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In einer solchen Perspektive werden alle zum Heldentum erzogen. In jeder Mythologie ist der Held ein außergewöhnliches Wesen, aber in der urfaschistischen Ideologie ist Heldentum die Norm. Dieser Kult des Heldentums hängt aufs engste mit dem Todeskult zusammen. Es war kein Zufall, daß ein Motto der Falangisten lautete: "Viva la Muerte". In nichtfaschistischen Gesellschaften gilt der Tod als eine unangenehme Erscheinung, der man mit Würde begegnen soll; dem Gläubigen ist er der schmerzhafte Weg zu jenseitigem Glück. Im Gegensatz dazu sucht der urfaschistische Held den heroischen Tod als beste Belohnung für ein heldisches Leben. Der urfaschistische Held erwartet den Tod mit Ungeduld. In seiner Ungeduld schickt er allerdings gern andere in den Tod.
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Da sowohl endloser Krieg als auch Heroismus recht schwierige Spiele sind, überträgt der Urfaschist seinen Willen zur Macht auf die Sexualität. Hier liegt der Ursprung des machismo (zu dem Frauenverachtung ebenso gehört wie gewalttätige Intoleranz gegenüber ungewöhnlichen Sexualgewohnheiten, von der Keuschheit bis zur Homosexualität). Da auch die Sexualität ein schwieriges Spiel ist, neigt der Urfaschist zum Spiel mit Waffen - das wird zu einer phallischen Ersatzübung.
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Der Urfaschismus gründet sich auf einen selektiven Populismus, einen sozusagen qualitativen Populismus. In einer Demokratie haben die Bürger individuelle Rechte, aber in ihrer Gesamtheit besitzen sie politischen Einfluß nur unter einem quantitativen Gesichtspunkt - man folgt den Entscheidungen der Mehrheit. Für den Urfaschismus jedoch haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte, das Volk dagegen wird als eine Qualität begriffen, als monolithische Einheit, die den Willen aller zum Ausdruck bringt. Da eine große Menschenmenge keinen gemeinsamen Willen besitzen kann, präsentiert sich der Führer als Deuter. Da sie ihre Delegationsmacht verloren haben, handeln die Bürger nicht mehr; sie werden lediglich zusammengerufen, um die Rolle des Volkes zu spielen. Daher ist das Volk nichts als eine theatralische Fiktion. Für ein gutes Beispiel des qualitativen Populismus bedürfen wir nicht länger der Piazza Venezia in Rom oder des Nürnberger Parteitagsgeländes. In der Zukunft erwartet uns ein TV- oder Internet-Populismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes dargestellt und akzeptiert werden kann. Aufgrund seines qualitativen Populismus muß der Urfaschismus gegen "verrottete" parlamentarische Regierungen eingestellt sein. Wo immer ein Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, weil es den Willen des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringe, riecht es nach Urfaschismus.
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Der Urfaschismus spricht Newspeak. Orwell erfand in "1984" Newspeak als offizielle Sprache von Ingsoc, dem englischen Sozialismus. Aber Elemente des Urfaschismus sind verschiedenen Formen der Diktatur gemeinsam. Alle Nazi- oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken. Aber wir müssen uns auch auf andere Formen von Newspeak einstellen, selbst wenn sie in der scheinbar unschuldigen Form einer populären Talk-Show daherkommen.
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