Die Steuerreform und diverse Bankenpleiten sind Peanuts im Vergleich
zu den gigantischen Summen, die der Bund jedes Jahr an die Länder
und Gemeinden überweist. Der Finanzminister möchte das
föderalistische Geldkarussell, vulgo Finanzausgleich, gerne
reformieren. Aber geht das überhaupt?
Allein das
Vokabular scheint aus einer anderen Welt zu kommen. Im Gesetzestext
finden sich Ausdrücke wie "Plafondierung der Ertragsanteile“,
"Gemeindeweise Unterverteilung“, "abgestufter
Bevölkerungsschlüssel“, "Landesdurchschnittskopfquote“.
Die Lektüre des viele Seiten dicken Konvoluts ist nur gefestigten
Charakteren mit hoher Frustrationsschwelle zu empfehlen. Wer sich
leicht entmutigen lässt, wird schon nach den ersten paar Sätzen
depressiv.
Dabei gehört das Finanzausgleichsgesetz zu den wichtigsten Materien der Republik. Unfassbar viel Geld wird damit bewegt. Mehr als 32 Milliarden Euro waren es im Vorjahr. Das entspricht dem Volumen von über sechs Steuerreformen, etwa zwei Hypo-Alpe-Adria-Pleiten oder einem Zehntel des Bruttoinlandsprodukts. Finanzminister Hans Jörg Schelling möchte das verzwickte System jetzt umfassend reformieren. Sollte es dabei etwas billiger werden, wäre das auch kein Schaden. Doch die Landeshauptleute, Hauptprofiteure des Geldsegens, werden ihm das so schwer wie möglich machen.
Eine
profil-Reportage aus dem föderalistischen Finanzlabyrinth.
WARUM ÜBERHAUPT EIN FINANZAUSGLEICH?
Wenn Erwin
Pröll oder Michael Häupl das Wort erheben, haben alle anderen
Pause. Österreichs längstdienende Landeshauptleute stehen im Ruf,
besonders mächtig und einflussreich zu sein. In der Tat hat jeder
der beiden schon mehrere Parteiobleute auf dem Gewissen. Was Pröll,
Häupl und die anderen Landesfürsten nicht wollen, lässt sich für
gewöhnlich auch nicht durchsetzen.
Dabei weist
die Bundesverfassung den Landespolitikern eigentlich keine imposante
Rolle zu. Fast alle wichtigen Kompetenzen liegen beim Bund, darunter
auch das Einheben der meisten Steuern. Einkommenssteuer,
Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer, Tabaksteuer: All diese Einnahmen
landen erst einmal in den Kassen des Finanzministers. Im Prinzip
funktioniert die Republik wie ein Alleinverdienerhaushalt. Einer
bringt das Geld nach Hause und muss damit den Rest der Familie
versorgen. Ohne die Segnungen des Finanzausgleichs könnte kein
Kreisverkehr eröffnet, kein Bezirkshauptmann bezahlt und kein
Feuerwehrhaus gebaut werden.
WER BEKOMMT WIE VIEL?
32,49
Milliarden Euro überwies der Bund im Vorjahr an die Länder und
Gemeinden. Nicht ganz zehn Milliarden Euro bekamen die Gemeinden, den
üppigen Rest die Landesregierungen und ihr Verwaltungsapparat.
Den größten
Brocken machen die sogenannten Ertragsanteile aus. Das ist jener
Prozentsatz, mit dem der Bund die Länder und Gemeinden an seinen
Steuereinnahmen beteiligt. Derzeit sieht der Schlüssel so aus: Der
Bund behält 67 Prozent, die Länder bekommen 22 Prozent, die
Gemeinden 11 Prozent. Die weitere Aufteilung richtet sich dann im
Wesentlichen nach der Bevölkerungszahl. Große Länder und Gemeinden
bekommen mehr Geld, kleine weniger. Klingt simpel und logisch, ist
aber natürlich viel komplizierter. Aktuell gilt ein "abgestufter
Bevölkerungsschlüssel“, der vorsieht, dass die Einwohnerzahl
jeder Kommune mit einem bestimmten Wert multipliziert wird. In
Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern, nur als Beispiel,
beträgt dieser Faktor 1 41/67, in Städten mit mehr als 50.000
Einwohnern 2 1/3. Einschlägige Rechenaufgaben wären vielleicht eine
lustige Idee für die Mathematik-Zentralmatura.
Weil die
Ertragsanteile längst nicht reichen, um den Föderalismus in Schwung
zu halten, gibt es noch weitere Transfers im Gesamtausmaß von über
acht Milliarden Euro. Für die Bezahlung der Pflichtschullehrer
überweist der Bund 5,4 Milliarden, als Zuschuss für die
Finanzierung von Spitälern rund 760 Millionen.
... UND VON WEM?
Es hat auch
Vorteile, dass sich die Finanztransaktionssteuer bisher nicht
realisieren ließ. Das fröhliche Geldverteilen innerhalb der
Republik wäre sonst noch teurer. Die Steuern der Bürger landen erst
einmal beim zuständigen Finanzamt. Von dort geht es weiter zum
Finanzministerium, dessen Buchhaltungsagentur die Überweisungen an
die Länder vornimmt. Die Länder behalten ihre Ertragsanteile und
leiten jene der Gemeinden weiter - Letzteres allerdings mit Abzügen:
Jeder Kommune wird die Landesumlage in der Höhe von bis zu 7,6
Prozent abgezwackt. Weitere 12,7 Prozent behalten die Länder als
"Bedarfszuweisungen“. Dieses Geld dient den Landeshauptleuten
dafür, in den Gemeinden als Wohltäter aufzutreten und
Trachtenvereine, Gewerbeparks oder die Sanierung eines Ortskerns zu
sponsern. Unter dem Titel "Finanzkraftstärkung der Gemeinden“
wird ebenfalls emsig überwiesen - vom Bund zu den Ländern, von
reichen Gemeinden zum Land, vom Land zu armen Gemeinden. Kein Detail
ist vor dieser Regelungswut sicher. Im aktuellen Finanzausgleich
findet sich etwa die Vereinbarung, dass der Anteil des Landes
Vorarlberg an der Umsatzsteuer in acht gleichen Halbjahresraten zu
Lasten aller anderen Länder erhöht wird. Begründung: Der geplante
Bau der Umfahrung Feldkirch-Süd.
Selbst
Experten sitzen mitunter ratlos vor dem Paragrafendschungel. "Der
Finanzausgleich wurde über die Jahrzehnte ständig reformiert,
erweitert und nachjustiert. Jetzt ist er ein hochkomplexes System, in
dem auch für Fachleute keine Transparenz mehr herrscht“, sagt
Georg Kofler, Professor für Finanzrecht an der Uni Linz.
WER HAT RECHT - HÄUPL ODER SCHELLING?
Vor zwei
Monaten gönnten sich der Wiener Bürgermeister und der
Finanzminister einen kleinen Schaukampf. Die erste Stichelei kam von
Hans Jörg Schelling: Die Stadt Wien möge doch, so der Minister,
endlich eine Pensionsreform bei den Gemeindebediensteten durchführen.
Michael Häupl konterte giftig: "Wenn Schelling in Wien
Wahlkampf führen will, soll er kandidieren.“
Man könnte
den Wortwechsel als Geplänkel zweier Herren mit überdimensionalen
Egos abtun. Aber dahinter verbirgt sich eine wichtige Frage: Dürfen
die Länder mit ihrem Geld machen, was sie wollen? Oder hat der Bund
ein Mitspracherecht? "Was die Länder mit den Ertragsanteilen
tun, ist ihre Sache“, sagt Helfried Bauer, langjähriger Leiter des
KDZ-Zentrums für Verwaltungsforschung. Sie müssten natürlich ihre
Aufgaben erfüllen, schränkt der Wiener Steuerberater und
Finanzexperte Gottfried Schellmann, ein. "Aber der
Ermessensanteil ist relativ hoch.“
Im
konkreten Fall Schelling gegen Häupl dürfte trotzdem der
Finanzminister Recht haben. Ende 2007, als der bis heute geltende
Finanzausgleich verhandelt wurde, verpflichteten sich die Länder zu
einigen Hausaufgaben. Darin enthalten: eine "finanziell
gleichwertige Umsetzung der Pensionsreform des Bundes“. Michael
Häupl hätte also längst etwas unternehmen müssen. Aber aus seiner
Sicht eilt es nicht. Der Finanzausgleich sieht bei Verstößen keine
Sanktionen vor. "Kärnten hat zwei Jahre lang keinen
Rechnungsabschluss vorgelegt“, sagt Helfried Bauer. "Passiert
ist gar nichts. Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Seit diverse
Zweckbindungen abgeschafft wurden, bleibt es den Landesregierungen
auch überlassen, ob sie das Geld aus der Wohnbauförderung wirklich
für den Wohnbau und die Mittel für die Straßenerhaltung wirklich
für die Straßen verwenden.
KRISE? NICHT BEI UNS!
Wilhelm
Molterer, Finanzminister der Republik zwischen Anfang 2007 und Ende
2008, war sehr stolz auf sein Arbeitstempo. In nur drei Monaten sei
es gelungen, die Verteilung der Steuermittel neu zu ordnen,
verkündete er im Oktober 2007. Zum ersten Mal war der
Finanzausgleich auch nicht für vier, sondern gleich für sechs Jahre
abgeschlossen worden. Und weil es so schön war, verlängerte Hans
Jörg Schelling das Regelwerk im vergangenen Herbst gleich noch
einmal um zwei Jahre. Die Landeshauptleute waren darüber recht
erfreut. Einen für sie ähnlich günstigen Finanzausgleich werden
sie so schnell nicht wieder bekommen. "Als das Gesetz in Kraft
trat, herrschte Hochkonjunktur“, sagt der Experte Georg Kofler. "Es
gab keine Hinweise auf eine drohende Wirtschaftskrise. Man hat also
in einer guten Zeit einen äußerst länderfreundlichen
Finanzausgleich gemacht. Die Folgen der Krise musste überwiegend der
Bund schultern.“
Wie unfair
die Lasten verteilt sind, zeigt schon der Umstand, dass die Einnahmen
aus der 2010 beschlossenen Bankenabgabe mit Ländern und Gemeinden
geteilt werden müssen. Obwohl die Kosten der Bankenrettungen
ausschließlich der Bund trägt. Unter dem Strich bekommt also etwa
das Land Kärnten Ertragsanteile aus einer Bankensteuer, die unter
anderem wegen des von Kärnten produzierten Crashs der Hypo
Alpe-Adria eingeführt wurde. Da soll noch einer behaupten, der
Kapitalismus sei gnadenlos.
Die
Tageszeitung "Die Presse“ rechnete jüngst vor, wie
komfortabel Österreichs Bundesländer durch die Rezession
flutschten: Zwischen 2002 und 2014 erhöhten sich die Einnahmen der
Länder aus den Ertragsanteilen um 114 Prozent. Schuld daran ist nur
zum Teil eine Systemänderung im Finanzausgleich. Bund und Gemeinden
mussten sich im selben Zeitraum mit einem Plus von 49 Prozent
begnügen, ein normaler Arbeitnehmer mit nur 20 Prozent.
Von den
Kosten abgesehen, hat das Geldverteilungssystem strukturelle
Webfehler: Sparsames Wirtschaften wird nicht belohnt. Es gibt keine
Anreize für Kooperationen zwischen den Ländern, etwa bei der
Spitalserhaltung. Das System ist intransparent, kaum kontrollierbar
und nur für eine Handvoll Experten halbwegs durchschaubar.
DARF ES NOCH MEHR SEIN?
Parallel
zum Finanzausgleich entwickelte sich in den vergangenen Jahren ein
Wildwuchs aus sogenannten "15a-Vereinbarungen“. Auf diese Art
geregelt wurden unter anderem die Mindestsicherung, die
Kinderbetreuung, die Altenpflege und der Flüchtlingsbereich. In
aller Regel läuft es so ab, dass der Bund Geld schickt - und die
Länder mehr oder auch deutlich weniger das tun, was vereinbart
wurde. Der Rechnungshof kritisierte dieses System bereits
ausführlich. 15a-Vereinbarungen erhöhten die Anzahl der
Finanzierungsströme, gingen großteils zu Lasten des Bundes und
seien insgesamt ein schwerfälliges Instrument, hieß es. Die Politik
stört das nicht. Am Freitag vergangener Woche wurde wieder eine
15a-Vereinbarung unterzeichnet. Diesmal geht es um sprachliche
Frühförderung in den Kindergärten. Kosten für den Bund: 60
Millionen Euro.
IST DER MURKS REFORMIERBAR?
Hans Jörg
Schelling hat sich viel vorgenommen. Der Minister möchte einen
Finanzausgleich, der sich mehr an den Aufgaben orientiert als an
Kopfquoten. Außerdem will er über eine Steuerautonomie der Länder
reden, die Kompetenzen neu ordnen und nebenbei auch gleich den
Föderalismus reformieren. Das alles soll bis Sommer 2016 unter Dach
und Fach sein.
Optimismus
kann nie schaden. Aber eine umfassende Neuordnung in nur einem Jahr
ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Vulkanausbruch im Tullner
Feld. Zu viele Einzelinteressen prallen beim Finanzausgleich
aufeinander, zu viel juristischer Murks hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten angesammelt. Unter Paragraf 11, Absatz 3, findet sich
etwa folgende Formulierung: "Der Finanzbedarf jeder Gemeinde
wird ermittelt, indem die Landesdurchschnittskopfquote der
Finanzkraft des Vorjahres mit der abgestuften Bevölkerungszahl der
Gemeinde (§9, Abs. 10) vervielfacht wird. Die
Landesdurchschnittskopfquote ergibt sich aus der Finanzkraft (Abs. 4)
aller Gemeinden des Landes, geteilt durch die Volkszahl des Landes
(§9, Abs. 9).“
Erste
Wortmeldungen aus den Ländern geben wenig Anlass, an eine Reform zu
glauben. Zwar sind die Landeshauptleute bereit, über mehr
Verantwortung für die Steuereinhebung zu reden. Aber dass die Sache
insgesamt billiger werden soll, sehen die Herren überhaupt nicht
ein. Bei einem Treffen am Donnerstag vergangener Woche gab der
oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer die Linie vor:
Der bisherige Verteilungsschlüssel für die Milliarden muss bleiben.
Hans Jörg
Schelling hat indes fünf Arbeitsgruppen beauftragt, Vorschläge zu
erarbeiten. Das ist kein guter Anfang.
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