Freitag, 24. April 2015

Alles smart


Wo auf Wiens Stadtplanung die Sprache kommt, ist neuerdings viel von „Smart Urban Logistik“, „Global Urban Future“, „Smart Mobility“ zu hören. In welchem dieser Begriffe kommt noch der Mensch vor? Und: Ist die Stadt zum Selbstbedienungsladen der Immobilienwirtschaft geworden?

24.04.2015 | 18:28 |  Von Peter Reischer  (Die Presse)

Vor einiger Zeit hat Christian Kühn im „Spectrum“ die Frage, die schon Reinhard Seiß in seinem Buch „Wer baut Wien?“ aufgeworfen hat, noch einmal gestellt und dabei das Skandalöse der Frage nach dem Wer betont. Er listete alle Schritte der Stadtentwicklung bis heute noch einmal präzise auf – ein schöner Überblick, der auch für Nichteingeweihte einiges zum Verständnis der derzeitigen Geschehnisse und Diskussionen über Stadtplanung und Hochhäuser beiträgt.

Aber die Verquickungen der Stadtplanung mit öffentlichen und privaten Interessen zu räsonieren, bringt nichts. Zu offensichtlich ist, dass Geld alles möglich macht und Investoreninteressen (wahrscheinlich) immer durchgesetzt werden. Zu groß ist die Wirkung von Geldflüssen und die Aussicht auf einen Gewinn in der liberalen (Immobilien)Wirtschaft. „Alles ist möglich“, wie es uns so einprägsam von Plakatwänden entgegenstrahlt! Medien werden da (durch großzügige Inseratenschaltungen) genauso korrumpiert wie Institutionen, Politiker und ganze Stadtverwaltungen. Die Gemeinde Wien zum Beispiel durch Versprechungen auf bauliche Leistungen, die „gratis“ sind. Gratis heißt jedoch in diesem Fall nicht kostenlos, weil dabei die Kosten im Verlust des Selbstbewusstseins und der Selbstachtung liegen. Wie kann sich eine Stadt wie Wien noch vor dem Bürger präsentieren, wenn sie die Interessen der Bürger und Anrainer gegen Stillschweigen und einen unterirdischen, unbelichteten Turnsaal für das Akademische Gymnasium vis-à-vis des WEV verkauft? Ist das ein Wiederaufleben einer modernen Version des Ablasshandels?Wie weit wird eigentlich in der Diskussion um die Metamorphose unserer Städte durch die Überflutung des Diskurses mit unzähligen Kombinationen der Begriffe „smart“,„urban“ und weiterer Anglizismen wie „Smart Grid“, „Smart Meter“, „Smart Urban Logistik“, „Global Urban Future“, „Smart Mobility“ eine Verwischung der Tatsache erzielt, dass es dabei nur noch um das Geld geht? In welchem dieser Begriffe kommt denn noch der Mensch vor? Und wie weit wird in der endemischen Konzept- und Rückgratlosigkeit moderner (technokratischer) Stadtplanung (gezielt) der Faktor Mensch übersehen?       Ist die Stadt zum Selbstbedienungsladen der Immobilienwirtschaft geworden?Eine Methode gibt es allerdings, die diese Spaltung, diese Dissoziation zu verbergen und darüber wegzutäuschen vermag – wie schon im alten Rom lautet die Devise: Brot und Spiele! In Wien werden dann Eurovisionssongcontests und Opernbälle zu einem Sinn gebenden Wert hochstilisiert, anstatt auf das Versagen der Planungspolitik einzugehen. Skiweltcuprennen werden auf dem Hügel der Gloriette in Schönbrunn angekündigt, statt das Geld zur Förderung von leistbarem Wohnbau und Stadterneuerung zu verwenden. Werbebudgets der Stadtregierung (in eigener Sache) werden großzügig aufgestockt, um die Selbstbeweihräucherung vorantreiben zu können. Tausend Quadratmeter öffentlichen Straßenraumes sollen an eine Immobilienfirma verschenkt werden,und gleichzeitig wird dann einem Architekten, der bei einem Sozialprojekt (VinziRast Mittendrin) einen halben Quadratmeter Gehsteig für einen bessere Gestaltung der Eingangszone zu benutzen versucht, eine Schikane nach der anderen in den Weg gelegt. Denn: „Das hat's noch nie gegeben, warum soll das jetzt anders sein?“      
Eingelullt mit Fachvorträgen
Bezahlen muss die diversen Brotgeschenke sowieso allesamt der Bürger und Steuerzahler. Man kann der Stadt Wien ja nicht einmal den Vorwurf machen, dabei ungeschickt vorzugehen. Nein, das Marketingkonzept für derartige Vorgehensweisen funktioniert so perfekt, dass der Bürger es gar nicht mitbekommt. Da werden Monate vor offiziellen Beschlussfassungsterminen zu kritischen „Planungszielen“ und neuen Konzepten antizipatorische, öffentliche Veranstaltungen mit Informationscharakter zelebriert. Dort (zum Beispiel im Wien Museum) treten dann massiert Fachleute und Politiker auf, und unter der Zuhilfenahme von unbedenklich erscheinenden Experten (möglichst aus dem Ausland oder mit Lehrtätigkeit in demselben) werden die zufällig (oder nicht) anwesenden Bürger mit Fachvorträgen eingelullt. Kritische Fragen sind zugelassen, werden aber nicht zielführend, sondern durch Geschwafel beantwortet. Später wird auch an der Technischen Universität ein Symposion mit dem vielversprechenden Titel „Smart City“ – ein Begriff, an den sich ja die Stadtplaner wie an einen Strohhalm klammern – veranstaltet. Im Rathaus findet die Show „Stadt smart entwickeln“ statt. Laut Werbeslogan zeigt die Ausstellung Konzepte und Projekte der Stadtentwicklung auf dem Weg zur „Smart City“, die eine radikale Ressourcenschonung ermöglichen und das Zentrum innovativer Lösungen sind. Diskussionsveranstaltungen, Vorträge, Führungen, Exkursionen und ein „Smart Slam“ bilden den Rahmen zur Ausstellung und bieten Informationen zu den unterschiedlichsten Aspekten einer smarten Stadtplanung. Und überall tauchen wie durch Zauberhand immer dieselben Verdächtigen auf – Universitätsprofessoren wie Politiker, Soziologen wie Stadtplaner und Architekten.In diesem Zusammenhang sollte man sich auch einmal die Frage nach der Verbindung von Lehre und politischer Planungstätigkeit stellen. Wieso arbeiten Professoren der Universitäten dieses Landes (unter Zuhilfenahme der Studenten) für die Gemeinde Wien und erstellen „stadtmorphologische Analysen“? Natürlich ist es jedermanns Recht, mit wem er will, Geschäfte zu machen. Aber tauchen da nicht Interessenskonflikte und Abhängigkeiten auf?In Österreich (Wien als Vorreiter) sollen 2019 bereits 90 Prozent aller Haushalte mit den intelligenten Stromzählpunkten („Smart Meter“) ausgestattet sein – wenn es nach dem Willen der Politik und der Industrie geht. Still, heimlich, leise (und ohne mediales Echo) geht diese Entwicklung voran. Die Umrüstung vom gemütlichen schwarzen/grauen alten Stromzähler auf den neuen „intelligenten“ wird jedoch der Konsument bezahlen müssen. Die Stromersparnis dieser Maßnahme wird – laut einer Feldstudie des Fraunhofer Institutes – für den Nutzer, so überhaupt vorhanden, marginal sein. Verdienen wird daran also nur die Industrie (Kapsch, Siemens, Cisco, IBM, Landis+Gyr et cetera), die diese Geräte produziert. Ganz abgesehen von den Bedenken der Datenschützer, da diese Geräte ja, abgesehen vom Stromverbrauch, alles Mögliche messen und können. Wo ist da die radikale Ressourcenschonung, die in der Rathausveranstaltung angekündigt wird, fragt sich der denkende Bürger. Dieses heiße Thema wird jedoch von den Verantwortlichen bewusst totgeschwiegen und auf Journalistenfragen hin kleingeredet.Personalausstellungen von – in unseren Breiten völlig unbekannten – Architekten werden in der wichtigsten Kulturinstitution für Architektur in Österreich, dem Architekturzentrum Wien, veranstaltet. Allerdings hat dieser Architekt den Wettbewerb, der als Präzedenzfall für den auf Investoreninteressen beruhenden Hochhausbau in der Schutzzone des Weltkulturerbes dienen wird und soll, gewonnen. Die Qualität der Ausstellung, die mehr an einen Werbeprospekt oder eine Baumesse erinnert, tut da nichts zur Sache. U-Bahn-Stationen werden mit quadratmetergroßen Konterfeis des Betreffenden zugepflastert – die Bevölkerung muss ja informiert werden!       Aber worüber? Darüber, dass entgegen der Meinung eines Großteils der Experten und Architekten sowie fast aller Standesvetretungen und auch der Anrainer ein Projekt durchgezogen, besser gesagt, durchgepeitscht (wie in Rom) wird? Und auf dem Podium einer Veranstaltung mit dem vielsagenden Titel „Die Entwicklung der Stadt – Die Stadt der Entwickler?“ im Architekturzentrum sitzen wieder die üblichen Verdächtigen.Natürlich argumentieren die Stadt Wien und die Verantwortlichen mit gesetzlich gedeckten Vorgangsweisen, mit dem Hochhauskonzept 2014 wird herumgewachelt, der Masterplan Glacis wird zitiert. Die darin genannten Fachformulierungen dienen den Betreibern als Totschlagargumente, als Rechtfertigung. Denn verstehen kann den Experten- und Stadtplanersprech nur der Eingeweihte – der Bürger schweigt ergriffen ob des Fachwissens und kuscht.Man muss dem Stadtentwicklungsplan, dem Masterplan Glacis und dem Hochhauskonzept Wien aber auch zugute halten, dass in Wien reflexartig jede Neuerung, jede andere Meinung, jedes Anders- oder Neudenken bekämpft und kritisiert wird. Kritik (griechisch, abgeleitet von „unterscheiden“, „trennen“) sollte jedoch als Aufforderung zu einem Diskurs verstanden werden. Kritik hängt mit Meinungsfreiheit zusammen, und die ist eine Grundlage unserer Gesellschaft, unserer Demokratie. Hundertprozentige Zufriedenheit aller Beteiligten wird es natürlich nie geben können. Aber bitte, wo ist hier ein Diskurs auf Augenhöhe zwischen Planern, Politikern und Betroffenen?
„Mehrwert für die Allgemeinheit“?Mit dem Masterplan Glacis soll (laut Homepage der Stadt Wien) eine „rahmensetzende Orientierung für Einzelprojekte und Teilgebiete geschaffen werden, die eine künftige städtebauliche Weiterentwicklung in einer so hohen Qualität sichert, die der Bedeutung dieses Stadtbereiches angemessen ist“. Doch diese schwubbeligen Begriffe, mit denen Projekte begründet werden sollen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Der im neuen Wiener Hochhauskonzept so diffus festgeschriebene Begriff des „Mehrwertes für die Allgemeinheit“ als Kriterium für den Bau eines Hochhauses lässt vielerlei Deutung und Auslegung zu. Ist in der Allgemeinheit der Bürger der Stadt inbegriffen? Hilfreich für die Interpretation könnte der Satz von der Unterstützung „zur öffentlichen Aneignung des Stadtraumes“ sein – sofern die Bürger auch zur Öffentlichkeit gehören. Aber wahrscheinlich denkt man dabei nur an die Investorenarchitektur, denn die Stadt Wien selbst ist ja angeblich fast pleite. Der Schuldenberg Wiens stieg 2013 um 285 Millionen Euro auf 4,635 Milliarden Euro an.Von der „Konsolidierten Stadt“, dem „Urbanen Komposit“, den „Südlichen Terrassen“ und der „Fluvialen Stadtlandschaft“ sowie der „Transdanubischen Ausdehnung“ ist in dem Papier die Rede. Fast poetisch anmutende Begriffe werde konstruiert, um dem Leser zu verschleiern, worum es eigentlich geht. Aber ganz am Anfang des vielseitigen Elaborats steht ja (fast hätte ich es übersehen): „Das Hochhauskonzept Wien 2014 ordnet das ehemalige Glacis der Konsolidierten Stadt“ – welch tolle Wortschöpfung – „zu, in der für Hochhausentwicklung der Grundsatz von Respekt und Zurückhaltung gegenüber der Qualität des Bisherigen gilt.“       Somit sollte doch eigentlich, sofern man Augen im Kopf, einen Maßstab in der Hand oder ein bisschen Gefühl hat, der 72 Meter hohe Investorenbau – der mit seiner wenig eleganten Form (punkto Scheußlichkeit) sogar das Intercontinental in den Schatten stellt – auf dem Gelände des WEV und neben dem historischen Konzerthaus, obsolet sein.       Aber wie schon bei allen Stadteinfahrten Wiens zu lesen ist: „Wien ist anders!“ ■


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