Wo auf Wiens Stadtplanung die Sprache kommt, ist neuerdings viel von „Smart Urban Logistik“, „Global Urban Future“, „Smart Mobility“ zu hören. In welchem dieser Begriffe kommt noch der Mensch vor? Und: Ist die Stadt zum Selbstbedienungsladen der Immobilienwirtschaft geworden?
24.04.2015 | 18:28 | Von Peter Reischer (Die Presse)
Vor einiger Zeit hat Christian Kühn im „Spectrum“ die Frage,
die schon Reinhard Seiß in seinem Buch „Wer baut Wien?“
aufgeworfen hat, noch einmal gestellt und dabei das Skandalöse der
Frage nach dem Wer betont. Er listete alle Schritte der
Stadtentwicklung bis heute noch einmal präzise auf – ein schöner
Überblick, der auch für Nichteingeweihte einiges zum Verständnis
der derzeitigen Geschehnisse und Diskussionen über Stadtplanung und
Hochhäuser beiträgt.
Aber
die Verquickungen der Stadtplanung mit öffentlichen und
privaten Interessen zu räsonieren, bringt nichts. Zu
offensichtlich ist, dass Geld alles möglich macht und
Investoreninteressen (wahrscheinlich) immer durchgesetzt
werden. Zu groß ist die Wirkung von Geldflüssen und die
Aussicht auf einen Gewinn in der liberalen
(Immobilien)Wirtschaft. „Alles ist möglich“, wie es uns so
einprägsam von Plakatwänden entgegenstrahlt! Medien werden da
(durch großzügige Inseratenschaltungen) genauso korrumpiert
wie Institutionen, Politiker und ganze Stadtverwaltungen. Die
Gemeinde Wien zum Beispiel durch Versprechungen auf bauliche
Leistungen, die „gratis“ sind. Gratis heißt jedoch in
diesem Fall nicht kostenlos, weil dabei die Kosten im Verlust
des Selbstbewusstseins und der Selbstachtung liegen. Wie kann
sich eine Stadt wie Wien noch vor dem Bürger präsentieren,
wenn sie die Interessen der Bürger und Anrainer gegen
Stillschweigen und einen unterirdischen, unbelichteten Turnsaal
für das Akademische Gymnasium vis-à-vis des WEV verkauft? Ist
das ein Wiederaufleben einer modernen Version des
Ablasshandels?Wie weit wird eigentlich in der
Diskussion um die Metamorphose unserer Städte durch die
Überflutung des Diskurses mit unzähligen Kombinationen der
Begriffe „smart“,„urban“ und weiterer Anglizismen wie
„Smart Grid“, „Smart Meter“, „Smart Urban Logistik“,
„Global Urban Future“, „Smart Mobility“ eine
Verwischung der Tatsache erzielt, dass es dabei nur noch um das
Geld geht? In welchem dieser Begriffe kommt denn noch der
Mensch vor? Und wie weit wird in der endemischen Konzept- und
Rückgratlosigkeit moderner (technokratischer) Stadtplanung
(gezielt) der Faktor Mensch übersehen?
Ist die Stadt zum
Selbstbedienungsladen der Immobilienwirtschaft geworden?Eine Methode gibt es allerdings,
die diese Spaltung, diese Dissoziation zu verbergen und darüber
wegzutäuschen vermag – wie schon im alten Rom lautet die
Devise: Brot und Spiele! In Wien werden dann
Eurovisionssongcontests und Opernbälle zu einem Sinn gebenden
Wert hochstilisiert, anstatt auf das Versagen der
Planungspolitik einzugehen. Skiweltcuprennen werden auf dem
Hügel der Gloriette in Schönbrunn angekündigt, statt das
Geld zur Förderung von leistbarem Wohnbau und Stadterneuerung
zu verwenden. Werbebudgets der Stadtregierung (in eigener
Sache) werden großzügig aufgestockt, um die
Selbstbeweihräucherung vorantreiben zu können. Tausend
Quadratmeter öffentlichen Straßenraumes sollen an eine
Immobilienfirma verschenkt werden,und gleichzeitig wird dann
einem Architekten, der bei einem Sozialprojekt (VinziRast
Mittendrin) einen halben Quadratmeter Gehsteig für einen
bessere Gestaltung der Eingangszone zu benutzen versucht, eine
Schikane nach der anderen in den Weg gelegt. Denn: „Das hat's
noch nie gegeben, warum soll das jetzt anders sein?“
Eingelullt mit Fachvorträgen
Eingelullt mit Fachvorträgen
Bezahlen muss die diversen
Brotgeschenke sowieso allesamt der Bürger und Steuerzahler.
Man kann der Stadt Wien ja nicht einmal den Vorwurf machen,
dabei ungeschickt vorzugehen. Nein, das Marketingkonzept für
derartige Vorgehensweisen funktioniert so perfekt, dass der
Bürger es gar nicht mitbekommt. Da werden Monate vor
offiziellen Beschlussfassungsterminen zu kritischen
„Planungszielen“ und neuen Konzepten antizipatorische,
öffentliche Veranstaltungen mit Informationscharakter
zelebriert. Dort (zum Beispiel im Wien Museum) treten dann
massiert Fachleute und Politiker auf, und unter der
Zuhilfenahme von unbedenklich erscheinenden Experten (möglichst
aus dem Ausland oder mit Lehrtätigkeit in demselben) werden
die zufällig (oder nicht) anwesenden Bürger mit Fachvorträgen
eingelullt. Kritische Fragen sind zugelassen, werden aber nicht
zielführend, sondern durch Geschwafel beantwortet. Später
wird auch an der Technischen Universität ein Symposion mit dem
vielversprechenden Titel „Smart City“ – ein Begriff, an
den sich ja die Stadtplaner wie an einen Strohhalm klammern –
veranstaltet. Im Rathaus findet die Show „Stadt smart
entwickeln“ statt. Laut Werbeslogan zeigt die Ausstellung
Konzepte und Projekte der Stadtentwicklung auf dem Weg zur
„Smart City“, die eine radikale Ressourcenschonung
ermöglichen und das Zentrum innovativer Lösungen sind.
Diskussionsveranstaltungen, Vorträge, Führungen, Exkursionen
und ein „Smart Slam“ bilden den Rahmen zur Ausstellung und
bieten Informationen zu den unterschiedlichsten Aspekten einer
smarten Stadtplanung. Und überall tauchen wie durch Zauberhand
immer dieselben Verdächtigen auf – Universitätsprofessoren
wie Politiker, Soziologen wie Stadtplaner und Architekten.In diesem Zusammenhang sollte
man sich auch einmal die Frage nach der Verbindung von Lehre
und politischer Planungstätigkeit stellen. Wieso arbeiten
Professoren der Universitäten dieses Landes (unter
Zuhilfenahme der Studenten) für die Gemeinde Wien und
erstellen „stadtmorphologische Analysen“? Natürlich ist es
jedermanns Recht, mit wem er will, Geschäfte zu machen. Aber
tauchen da nicht Interessenskonflikte und Abhängigkeiten auf?In Österreich (Wien als
Vorreiter) sollen 2019 bereits 90 Prozent aller Haushalte mit
den intelligenten Stromzählpunkten („Smart Meter“)
ausgestattet sein – wenn es nach dem Willen der Politik und
der Industrie geht. Still, heimlich, leise (und ohne mediales
Echo) geht diese Entwicklung voran. Die Umrüstung vom
gemütlichen schwarzen/grauen alten Stromzähler auf den neuen
„intelligenten“ wird jedoch der Konsument bezahlen müssen.
Die Stromersparnis dieser Maßnahme wird – laut einer
Feldstudie des Fraunhofer Institutes – für den Nutzer, so
überhaupt vorhanden, marginal sein. Verdienen wird daran also
nur die Industrie (Kapsch, Siemens, Cisco, IBM, Landis+Gyr et
cetera), die diese Geräte produziert. Ganz abgesehen von den
Bedenken der Datenschützer, da diese Geräte ja, abgesehen vom
Stromverbrauch, alles Mögliche messen und können. Wo ist da
die radikale Ressourcenschonung, die in der
Rathausveranstaltung angekündigt wird, fragt sich der denkende
Bürger. Dieses heiße Thema wird jedoch von den
Verantwortlichen bewusst totgeschwiegen und auf
Journalistenfragen hin kleingeredet.Personalausstellungen von – in
unseren Breiten völlig unbekannten – Architekten werden in
der wichtigsten Kulturinstitution für Architektur in
Österreich, dem Architekturzentrum Wien, veranstaltet.
Allerdings hat dieser Architekt den Wettbewerb, der als
Präzedenzfall für den auf Investoreninteressen beruhenden
Hochhausbau in der Schutzzone des Weltkulturerbes dienen wird
und soll, gewonnen. Die Qualität der Ausstellung, die mehr an
einen Werbeprospekt oder eine Baumesse erinnert, tut da nichts
zur Sache. U-Bahn-Stationen werden mit quadratmetergroßen
Konterfeis des Betreffenden zugepflastert – die Bevölkerung
muss ja informiert werden!
Aber worüber? Darüber, dass
entgegen der Meinung eines Großteils der Experten und
Architekten sowie fast aller Standesvetretungen und auch der
Anrainer ein Projekt durchgezogen, besser gesagt,
durchgepeitscht (wie in Rom) wird? Und auf dem Podium einer
Veranstaltung mit dem vielsagenden Titel „Die Entwicklung der
Stadt – Die Stadt der Entwickler?“ im Architekturzentrum
sitzen wieder die üblichen Verdächtigen.Natürlich argumentieren die
Stadt Wien und die Verantwortlichen mit gesetzlich gedeckten
Vorgangsweisen, mit dem Hochhauskonzept 2014 wird
herumgewachelt, der Masterplan Glacis wird zitiert. Die darin
genannten Fachformulierungen dienen den Betreibern als
Totschlagargumente, als Rechtfertigung. Denn verstehen kann den
Experten- und Stadtplanersprech nur der Eingeweihte – der
Bürger schweigt ergriffen ob des Fachwissens und kuscht.Man muss dem
Stadtentwicklungsplan, dem Masterplan Glacis und dem
Hochhauskonzept Wien aber auch zugute halten, dass in Wien
reflexartig jede Neuerung, jede andere Meinung, jedes Anders-
oder Neudenken bekämpft und kritisiert wird. Kritik
(griechisch, abgeleitet von „unterscheiden“, „trennen“)
sollte jedoch als Aufforderung zu einem Diskurs verstanden
werden. Kritik hängt mit Meinungsfreiheit zusammen, und die
ist eine Grundlage unserer Gesellschaft, unserer Demokratie.
Hundertprozentige Zufriedenheit aller Beteiligten wird es
natürlich nie geben können. Aber bitte, wo ist hier ein
Diskurs auf Augenhöhe zwischen Planern, Politikern und
Betroffenen?
„Mehrwert für die Allgemeinheit“?Mit dem Masterplan Glacis soll (laut Homepage der Stadt Wien) eine „rahmensetzende Orientierung für Einzelprojekte und Teilgebiete geschaffen werden, die eine künftige städtebauliche Weiterentwicklung in einer so hohen Qualität sichert, die der Bedeutung dieses Stadtbereiches angemessen ist“. Doch diese schwubbeligen Begriffe, mit denen Projekte begründet werden sollen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Der im neuen Wiener Hochhauskonzept so diffus festgeschriebene Begriff des „Mehrwertes für die Allgemeinheit“ als Kriterium für den Bau eines Hochhauses lässt vielerlei Deutung und Auslegung zu. Ist in der Allgemeinheit der Bürger der Stadt inbegriffen? Hilfreich für die Interpretation könnte der Satz von der Unterstützung „zur öffentlichen Aneignung des Stadtraumes“ sein – sofern die Bürger auch zur Öffentlichkeit gehören. Aber wahrscheinlich denkt man dabei nur an die Investorenarchitektur, denn die Stadt Wien selbst ist ja angeblich fast pleite. Der Schuldenberg Wiens stieg 2013 um 285 Millionen Euro auf 4,635 Milliarden Euro an.Von der „Konsolidierten Stadt“, dem „Urbanen Komposit“, den „Südlichen Terrassen“ und der „Fluvialen Stadtlandschaft“ sowie der „Transdanubischen Ausdehnung“ ist in dem Papier die Rede. Fast poetisch anmutende Begriffe werde konstruiert, um dem Leser zu verschleiern, worum es eigentlich geht. Aber ganz am Anfang des vielseitigen Elaborats steht ja (fast hätte ich es übersehen): „Das Hochhauskonzept Wien 2014 ordnet das ehemalige Glacis der Konsolidierten Stadt“ – welch tolle Wortschöpfung – „zu, in der für Hochhausentwicklung der Grundsatz von Respekt und Zurückhaltung gegenüber der Qualität des Bisherigen gilt.“ Somit sollte doch eigentlich, sofern man Augen im Kopf, einen Maßstab in der Hand oder ein bisschen Gefühl hat, der 72 Meter hohe Investorenbau – der mit seiner wenig eleganten Form (punkto Scheußlichkeit) sogar das Intercontinental in den Schatten stellt – auf dem Gelände des WEV und neben dem historischen Konzerthaus, obsolet sein. Aber wie schon bei allen Stadteinfahrten Wiens zu lesen ist: „Wien ist anders!“ ■
„Mehrwert für die Allgemeinheit“?Mit dem Masterplan Glacis soll (laut Homepage der Stadt Wien) eine „rahmensetzende Orientierung für Einzelprojekte und Teilgebiete geschaffen werden, die eine künftige städtebauliche Weiterentwicklung in einer so hohen Qualität sichert, die der Bedeutung dieses Stadtbereiches angemessen ist“. Doch diese schwubbeligen Begriffe, mit denen Projekte begründet werden sollen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Der im neuen Wiener Hochhauskonzept so diffus festgeschriebene Begriff des „Mehrwertes für die Allgemeinheit“ als Kriterium für den Bau eines Hochhauses lässt vielerlei Deutung und Auslegung zu. Ist in der Allgemeinheit der Bürger der Stadt inbegriffen? Hilfreich für die Interpretation könnte der Satz von der Unterstützung „zur öffentlichen Aneignung des Stadtraumes“ sein – sofern die Bürger auch zur Öffentlichkeit gehören. Aber wahrscheinlich denkt man dabei nur an die Investorenarchitektur, denn die Stadt Wien selbst ist ja angeblich fast pleite. Der Schuldenberg Wiens stieg 2013 um 285 Millionen Euro auf 4,635 Milliarden Euro an.Von der „Konsolidierten Stadt“, dem „Urbanen Komposit“, den „Südlichen Terrassen“ und der „Fluvialen Stadtlandschaft“ sowie der „Transdanubischen Ausdehnung“ ist in dem Papier die Rede. Fast poetisch anmutende Begriffe werde konstruiert, um dem Leser zu verschleiern, worum es eigentlich geht. Aber ganz am Anfang des vielseitigen Elaborats steht ja (fast hätte ich es übersehen): „Das Hochhauskonzept Wien 2014 ordnet das ehemalige Glacis der Konsolidierten Stadt“ – welch tolle Wortschöpfung – „zu, in der für Hochhausentwicklung der Grundsatz von Respekt und Zurückhaltung gegenüber der Qualität des Bisherigen gilt.“ Somit sollte doch eigentlich, sofern man Augen im Kopf, einen Maßstab in der Hand oder ein bisschen Gefühl hat, der 72 Meter hohe Investorenbau – der mit seiner wenig eleganten Form (punkto Scheußlichkeit) sogar das Intercontinental in den Schatten stellt – auf dem Gelände des WEV und neben dem historischen Konzerthaus, obsolet sein. Aber wie schon bei allen Stadteinfahrten Wiens zu lesen ist: „Wien ist anders!“ ■
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen