Seit 2012 müssen Pensionisten in Wien
Pflegebedarf haben oder einen Grund anführen, um in städtische Seniorenhäuser
ziehen zu können. Die Umstellung wurde nicht genug kommuniziert, kritisieren
rüstige Alte.
Wien - "Vergnügt und geborgen wohnen." Das war der
Leitspruch, mit dem noch bis vor einigen Jahren für Wohnungen in städtischen
Pensionistenheimen in Wien, den sogenannten "Häusern zum Leben",
geworben wurde. Empfohlen wurde in einer Broschüre eine frühe Anmeldung. Auch
der Einzugstermin sollte nicht zu lange hinausgezögert werden, "damit Sie
unser vielfältiges Angebot an verschiedenen Aktivitäten lange genießen
können" . Als ein Kriterium für die Aufnahme wurde genannt: ein
"abgeklärter Gesundheitszustand, der einen Aufenthalt im Appartement
zulässt".
Neues Konzept
Seit 2012 setzt die Stadt aber auf ein völlig neues Konzept bei
der Vergabe von Wohnungen in Seniorenhäusern. Interessierte müssen seither bei
der Antragstellung Pflegebedarf haben oder - wenn sie in keine Pflegestufe
fallen - einen triftigen Grund für ihren Umzugswunsch nennen. Ein Beispiel:
wenn sie in einer Substandardwohnung ohne Lift leben und das Stiegensteigen
beschwerlich wird oder die Gefahr der Vereinsamung besteht. Der Wunsch, in ein
Seniorenheim zu ziehen, um auch an altersgerechten Aktivitäten für rüstige
Pensionisten teilnehmen zu können, reicht allein nicht mehr.
"Meinen Langzeitplan kann ich mir mit diesem politischen
Paradigmenwechsel abschminken", sagt Peter Vaha, ein nach eigenen Angaben
topfitter 70-jähriger Wiener Pensionist. "Ich wollte, wie einst meine
Eltern, in einigen Jahren bei guter Gesundheit in ein Pensionistenwohnheim der
Stadt übersiedeln. Das ist jetzt nicht mehr möglich."
Vaha versteht zwar die Notwendigkeit der Änderungen, Pensionisten
mit Bedarf zu bevorzugen. Er kritisiert aber, dass das neue Konzept
"heimlich, leise und für Betroffene weitgehend unbemerkt" umgesetzt
wurde. "Meine zeitgerechte Anmeldung von 2006 für ein Seniorenheim ist
nichts mehr wert."
Umstellung zu gerechterem System
Beim 1960 gegründeten Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser
(KWP), das als gemeinnütziger, privatrechtlicher Fonds der Stadt die
"Häuser zum Leben" betreibt, verweist man auf die Umstellung zu einem
gerechteren System. "Es bekommen diejenigen Älteren zeitgerecht eine
Wohnung, die Hilfe und auch finanzielle Unterstützung der Stadt
benötigen", sagt Sprecherin Heike Warmuth. Das klassische Anmeldesystem -
wer zuerst kommt, mahlt zuerst - hat ausgedient.
Die Anträge laufen seit 2012 über den Fonds Soziales Wien (FSW),
der den Betreuungs- und Pflegebedarf samt Förderung feststellt. Der FSW hat
laut eigenen Angaben vorgemerkte Personen wie Peter Vaha 2011 in einem Brief
über die Änderungen informiert.
Der Umkehrschluss, dass für rüstige Pensionisten ohne Bedarf und
mit vielen sozialen Kontakten nur der Umzug in zum Teil teure private
Seniorenhäuser oder WGs bleibt, sei laut Warmuth nicht richtig. Denn die
Mehrheit der Pensionisten wolle so lange wie möglich zu Hause wohnen. Die Stadt
setze daher auf den Ausbau der mobilen Pflege. "Das Durchschnittsalter der
Pensionisten in unseren Häusern beträgt Mitte 80. Heute ziehen sie ein, weil es
nicht mehr geht. Und nicht, weil sie wegen einer Substandardwohnung umziehen
müssen."
Derzeit genug Wohnplätze
In Wien werden derzeit rund 56.000 Menschen daheim betreut. Die
Stadt bietet oder fördert rund 18.000 Pflege- und Wohnplätze. Im vergangenen
Jahr wurden laut KWP in 30 "Häusern zum Leben" 8400 Pensionisten
betreut. 1500 Bewohner davon benötigen keine Pflegebetreuung. Seit der
Umstellung des Konzeptes 2012 sind rund 400 Pensionisten ohne Pflegebetreuung
dazugekommen, sie konnten unter anderem soziale Gründe für ihren Einzug geltend
machen.
Laut FSW sind die Seniorenwohnheimplätze derzeit ausreichend, die
Nachfrage sei zurückgegangen. "Wir befinden uns in einer Delle. Es gibt
bei uns Häuser, wo man aktuell rasch aufgenommen werden kann", sagt
Warmuth. Ab 2019 wird ein starkes Ansteigen der älteren Bevölkerungsschicht
prognostiziert. (David Krutzler, DER STANDARD, 11.4.2015)
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