Auf dem Areal einer ehemaligen Friedhofsgärtnerei und umgeben von Gräbern sollen bald geförderte Wohnungen errichtet werden. Gegner sprechen von Pietätlosigkeit.
6000 Unterschriften hat eine Bürgerinitiative namens "Rettet den Neustifter Friedhof" bereits gesammelt. Vergeblich. Vor wenigen Wochen wurde das Areal der ehemaligen Friedhofsgärtnerei von der rot-grünen Stadtregierung endgültig in Bauland umgewidmet. Mitten im ersten Wiener Umweltfriedhof, von drei Seiten umgeben mit Gräbern, sollen von Wohnfonds Wien insgesamt 70 geförderte Wohnungen errichtet werden.
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"Es ist mit Sicherheit die ruhigste Lage von Währing mit einem wunderschönen Ausblick, wenn man so etwas mag", erzählt Andreas Fitzka, Wirt vom Häuserl am Stoan, mit gewissem Sarkasmus. Das Grab seiner Familie befindet sich in Reihe 5 von Gruppe 1 und damit in unmittelbarer Nähe des Bauprojekts. Denn auf dem 7500 Quadratmeter großen Grundstück soll bis auf fünf Meter an die Friedhofsmauer herangebaut werden.
Kritiker des Bauvorhabens in einem der begehrten Nobelbezirke Wiens sprechen von Störung der Totenruhe und Pietätlosigkeit, in den Friedhof am Rande des Wienerwalds werde richtiggehend eine Schneise hineingeschnitten. Die Verbauung des Friedhofs sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt Michael Eischer, Heurigen-Betreiber in Neustift am Walde und FPÖ-Obmann des Bezirks. "Dass in einer Grünzone der Friedhof filetiert wird, ist der erste Sündenfall. Als Nächstes werden die Weingärten geopfert." Der gesamte Weinbauverein sei gegen das Projekt. Eischer befürchtet, dass wegen des großen Interesses von Wohnungssuchenden in der elitären Zone die Heurigenkultur bald verloren gehen könnte. "Je mehr Leute zuziehen, umso mehr Gegner bekommen die Heurigen. Wegen der Lärmbelästigung, weil es in der Nacht immer einen gewissen Wirbel gibt. Der Heurigenort Neustift ist zum Sterben verurteilt." Jedes Jahr sperrten wieder Kollegen zu, schließlich sei es lukrativer und weniger anstrengend, Grund und Boden teuer zu verkaufen, als dort Wein anzubauen.
SPÖ und Grüne wollen sich dem Gegenwind nicht beugen. Freie Bauflächen, die im Eigentum der Stadt Wien stehen und für geförderten Wohnbau verwendet werden könnten, seien rar und müssten verwertet werden, lautet deren Argument.
Die grüne Bezirkssprecherin Silvia Nossek spricht von einem "tragbaren Kompromiss". Forderungen, wie ortsübliche Verbauung mit maximal neun Metern Höhe oder Begrünung der Dachflächen, seien berücksichtigt worden. Zudem sei das Grundstück dort bisher gewerblich genutzt worden. "Ich will gar nicht wegreden, dass die Gräber direkt an die Grundstücksgrenze heranreichen", sagt Nossek. Pietätlos sei ein geförderter Wohnbau dort aber keinesfalls. "Der Tod ist Teil des Lebens und viele Menschen leben in unmittelbarer Nähe von Friedhöfen."
Nicht nur im 18. Bezirk könnten bald Menschen auf dem Friedhofsgelände wohnen. Die Friedhofsverwaltung hat zuletzt auf mehreren Friedhöfen auf Reserveflächen verzichtet und sie der Stadt Wien zur Nutzung zurückgegeben. Weil der Bedarf an Grabflächen aus zweierlei Gründen geringer wird: Viele Menschen bevorzugen heutzutage Feuerbestattungen, Urnen benötigen weniger Platz. Zudem werden immer mehr Gräber vorzeitig aufgelassen, weil Hinterbliebene für die letzte Ruhestätte ihrer Angehörigen nur mehr zehn Jahre bezahlen und das Grabnutzungsrecht anschließend nicht mehr verlängern.
Christoph Chorherr, Planungssprecher der Wiener Grünen, will in jedem Einzelfall prüfen, ob die genannten Reserveflächen nun für Wohnbau genutzt werden oder nicht und wenn, in welchem Ausmaß. Wenn man vermeiden möchte, dass die Wohnungspreise in Wien stark ansteigen, dann ist es Chorherr zufolge in Zeiten einer wachsenden Stadt (Wien wächst jährlich um rund 25.000 Menschen) durchaus sinnvoll, solche frei werdenden Reserveflächen auf eine mögliche Nachnutzung als Bebauungsfläche für Wohnungen - und hier mit speziellem Augenmerk auf sozialen Wohnbau - zu prüfen.
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