Wien (OTS) - Die
Tageszeitung "Die Presse" widmet heute die Titelseite und zwei
weitere Seiten dem österreichischen Pensionssystem. Die Schlagzeile dazu lautet
"Pensionen fressen Steuerreform auf".
Michael Häupl kann brutal sein: Das bekam zuletzt
nicht nur seine grüne Regierungspartnerin Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou
beim Wahlrecht zu spüren. Liebster Außenfeind für den Wiener SPÖ-Bürgermeister
ist derzeit Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Häupls unmissverständlich
getrommelte Botschaft: Schelling solle „Wien gefälligst in Ruhe lassen“, wie er
betonte. Unmittelbarer Anlass für die Auseinandersetzung: die Pensionen der
Wiener Beamten (und deren Kosten) gingen aus Häupls Sicht den Finanzminister
nichts an. Der Wiener Stadtchef wird schon seit Jahren nicht müde
hervorzustreichen, er wolle Pensionseinschnitte der bei der SPÖ verhassten
schwarz-blauen Bundesregierung, die bis Jänner 2007 im Amt war, nicht
nachvollziehen. ÖVP und FPÖ haben 2004/05 nach harten Verhandlungen mit dem
Sanktus der Beamtengewerkschaft unter anderem das schrittweise Auslaufen des
Beamtenpensionsmodells für die Bundesbediensteten beschlossen. Wien hat
hingegen nach wie vor ein günstigeres, weil mit längeren Übergangsfristen
ausgestattetes Pensionssystem für seine Beamten. Für diese gilt auch erst seit
Beginn dieses Jahres ein Pensionsalter von 65 Jahren wie für Beamte (Frauen und
Männer) im Bundesdienst. Bisher sind alle Bestrebungen der ÖVP in der Bundesregierung, das
Wiener Pensionsmodell rascher anzugleichen, am Widerstand von Häupls SPÖ
zerschellt. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hat zwar Anfang 2014
deutliche Verschlechterungen für ASVG-Versicherte, Bauern und Gewerbetreibende
eingeführt, Wiener Sonderrechte blieben jedoch aufrecht. Erst am vergangenen
Samstag hat sich Hundstorfer, der selbst aus dem Beamtenapparat des Wiener
Rathauses kommt, im ORF-Radio hinter die Wiener Sonderregelung gestellt, weil
diese beispielsweise anders als im Bund keine Hacklerregelung beinhalte.
Faktum ist allerdings, dass der
Rechnungshof schon vor Jahren vorgerechnet hat, dass die günstigere Regelung
für die Wiener Beamten in Summe langfristig 350Millionen Euro an Mehrkosten
verursacht. Für diese Privilegien dürfen letztlich alle österreichischen
Steuerzahler im Wege des Finanzausgleichs, mit dem die Steuereinnahmen an Bund,
Länder und Gemeinden zugeteilt werden, brav mitzahlen.
Es ist leider
wieder einmal eine Kraut-und-Rüben-Zusammenstellung der ewig gleichen
Halbwahrheiten zum Pensionssystem. Sich als kühl rechnende Expert/innen
ausgebende Pensionssystem-Spezialist/innen argumentieren und moralisieren dabei
stets nur in eine Richtung, nämlich in eine dem Geschäft der Versicherungen
dienliche.
Kaum ist die "Steuerreform" -
die im Wesentlichen eine Teilabgeltung der kalten Progression der letzten Jahre
ist - in der Öffentlichkeit angekommen und erhält ein wenig Anerkennung, da ist
sie auch schon geeignet, als Angstthema umgemünzt zu werden. Der Ökonom Dr.
Ulrich Schuh rechnet vor, dass sich bis zum Jahr 2019 die Deckungslücke bei der
Finanzierung der Pensionen um 4,9 Milliarden Euro erhöhen wird. Die inhaltlich
völlig sinnbefreite Gegenüberstellung dieser Zahlen hat nur einen Zweck,
nämlich Stimmung für Änderungen zu machen.
Dabei ist unstrittig, dass wir unser
Pensionssystem klug an die sich verändernden Bedingungen anpassen müssen. Hier
wurden in den letzten Jahren - auch in der Gemeinde Wien - schon einige
Maßnahmen eingeleitet, von denen manche ihre Wirkung erst Schritt für Schritt
entfalten. Mit klug meine ich beispielsweise, dass man die Perspektive der
Jungen im Blick hat und langfristig vorsorgt, dabei aber auch bedenkt, dass man
nicht für eine unbekannte Langfristperspektive jetzt ältere Menschen, die kaum
mehr auf die veränderten Bedingungen reagieren können, massiv in ihrem
Lebensstandard beschneidet.
Befremdlicher Weise wird oftmals so
getan, als ob die jungen Generationen im Erwerbsleben in den nächsten
Jahrzehnten keine Innovationen zusammenbringen werden, die Arbeitslosigkeit
nicht veränderbar ist und sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht zum
Besseren verändern können, wenn man sich dementsprechend engagiert.
Klug wäre es wohl auch, wenn man
Gerechtigkeit nicht nur zeitlich nach vorne andenkt, sondern auch die
Unterschiede der vergangenen Jahrzehnte mitberücksichtigt. In die Zukunft
gleich zu behandeln, was in den vergangenen Jahrzehnten ungleich war, ist nicht
gerecht, sondern ungerecht. Somit sollten bei Vergleichen verschiedener Systeme
- wie etwa zwischen ASVG-Pensionen und Beamtenruhebezügen -die
Lebensverdienstsummen und Leistungsaspekte mitverglichen werden, um zu seriösen
Vergleichen kommen zu können.
Pensionssystem-Zombies
Die Metapher des Zombies hat der
tschechische Ökonom Tomáš Sedláček jüngst in einem Buch verwendet, um
darzustellen, dass die Ökonomie versuchte die Wirtschaft berechenbar zu machen,
indem sie alles was sich auf moralische Werte bezog, oder irrational erschien,
verbannte. Entwickelt wurde ein rationales - mathematisches - System, das in
sich stimmig ist, in Wirklichkeit aber allen echten Fragen ausweicht, weil
diese nicht berechenbar scheinen. In vielen gesellschaftlichen Institutionen
führte dies dazu, dass sie eigentlich tot sind, weil sie das Lebendige nicht
mehr verarbeiten können - es sind aber lebende Tote, weil sie mangels
Alternativen weiter am Leben gehalten werden müssen.
Auf unsere Pensionssysteme übersetzt
kann man sagen, dass viele Expert/innen aufgrund von fehlenden Daten
vergangener Jahrzehnte, Transparenzdefiziten und extremer Komplexität
näherungsweise Statistiken angefertigt haben, die bestenfalls Halbwahrheiten
darstellen. Diese Halbwahrheiten werden den Halbwahrheiten anderer Länder
gegenüber gestellt - und daraus werden Reformansätze abgeleitet. Dass sich hier
dann auch verschiedenste Interessen in die politischen Verhandlungen zu
Reformbemühungen einschleichen, ist unvermeidbare Realität - wird aber von den
handelnden Akteur/innen meistens zu verschleiern versucht.
Wenn die "leblosen" Statistiken
dann unentwegt in einen Zusammenhang mit dem angeblich nicht lebensfähigen
System gebracht und ständig zu Ungerechtigkeits-Skandalen verzerrt werden,
verlieren die Menschen das Vertrauen in das System und engagieren sich nicht
mehr dafür -was im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung tatsächlich zum
Kollabieren des Systems führen könnte. Da wir bis jetzt keine ernsthafte
Alternative für einen sozial verträglichen und grundlegenden Systemwechsel
erarbeitet haben und wir deshalb weiter tun müssen "als ob" es
funktionieren würde, haben wir es hier mit einer Zombie-Institution zu tun.
Die "Expert/innen", die diesen
Vorgang vorantreiben, könnte man der Metapher folgend dann als
Pensionssystem-Zombies beschreiben. Sie verbeißen sich unentwegt in das System,
bis das System selbst zu einem Zombie geworden ist.
Sind diese Expert/innen aber vielleicht
doch keine Zombies?
Die Metapher der Zombies impliziert,
dass nur mit "kalten" Daten bzw. Zahlen gearbeitet wird und alles
Moralisierende, Weiche und Irrationale wegzulassen ist. Sieht man sich aber die
Beiträge der Presse an, dann strotzen diese vor moralisierenden Aussagen. Die
Wiener Beamten sind wie üblich die schlimmsten Privilegienritter. Es folgen die
oberösterreichischen Landesbeamten, eigentlich auch die Bundebeamten, die
Frauen, die Hacklerpensionist/innen und überhaupt alle die vor dem 65.
Lebensjahr in den Ruhestand oder die Pension übergetreten sind, oder dies noch
vor sich haben. All diese Privilegierten verkürzen in haltloser und
verwerflicher Art und Weise den Jungen die Chance auf eine realisierbare
Pension.
Im Mittelpunkt der drei Seiten in der
Presse steht bezeichnender Weise ein Interview mit der Psychologin Brigitte
Miksa, die ein Forschungszentrum des Allianz-Konzerns leitet. Die Allianz hat
einen Nachhaltigkeitsindex zur Sicherheit der Pensionen erstellt, der
-selbstverständlich - für Österreich einen hohen Reformbedarf aufzeigt. Sieht
man sich die Grafiken an, dann kann man beispielsweise sehen, dass Mexiko
sieben Plätze vor Österreich liegt. Als Pensionsantrittsalter werden für Mexiko
72,2 Jahre angegeben und in den Statistiken zu "staatlichen
Pensionsausgaben in Prozent des BIP" und "Pension im Verhältnis zum
Einkommen" scheint Mexiko gar nicht unter den angeführten 49 bzw. 44
Ländern auf.
Das heißt: Hohes Pensionsantrittsalter,
kaum staatliche Ausgaben und sehr niedrige Pensionen - also ein wahres Eldorado
für Versicherer. Wenn dies ein Beispiel für die Nachhaltigkeit unseres
Pensionssystems sein soll, dann sollte sich die Allianz ihre Versicherungen an
den Hut stecken - ein wahrlich passendes Beispiel für interessengeleitete
Zombie-Methoden.
In einem anderen Beitrag wird wieder
einmal versucht, uns das Automatismus-Modell Skandinaviens, Finnlands und
Norwegens schmackhaft zu machen. Es scheint auf den ersten Blick so vernünftig
zu sein, sich anhand von konkreten Daten leiten zu lassen und die Pensionshöhe
automatisch an die absehbaren Entwicklungen der zunehmenden Lebenserwartung,
der Entwicklung der Einkommen und der Beschäftigung zu binden.
Aber es gibt auch hier wieder
problematische Nebenwirkungen. Nimmt man konkrete Menschen, bei denen mehrere
negativ wirkende Aspekte wie z. B. Krankheiten, Teilzeitbeschäftigung
Kindererziehungs-, Alleinerziehungs- und Schwerarbeitszeiten zusammentreffen
und diese Menschen aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in die Pension
gezwungen werden, dann müssen diese oftmals nach jahrzehntelanger Arbeit mit
niedrigsten Pensionen auskommen. Werden diese Menschen dann auch noch von
automatisch errechneten weiteren Minderungen der Pensionen getroffen, ist das
schlichtweg unerträglich.
Mitunter beschleicht mich das Gefühl,
dass es tatsächlich Pensionssystem-Zombies gibt, die absichtlich mit derartigen
Effekten rechnen, da sie bei einer öffentlich wahrnehmbaren Anzahl von derart
Betroffenen eine Abschreckungsqualität entwickeln können, die erwartbar hohe
Effekte auf die Anhebung des durchschnittlichen Antrittsalters erzeugt.
Wenn wir aber mit unseren sozialen
Sicherungssystemen so weit gekommen sind, dass wir sehenden Auges unsere
Systemstabilität mit solchen Opfern erkaufen, dann wird mir angst und bang.
Es ist wichtig, dass Medien und
Expert/innen nach Transparenz, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit unserer
Sozialsysteme streben und kritisch bestehende Lösungen hinterfragen. Ich bin
voller Ärger mit auf der kritischen Seite, weil vielfach geeignetere Vergleiche
verhindert werden, indem Daten nicht offengelegt werden. Ebenso macht es mich
ärgerlich, wenn in der Gemeinde Wien versteckt Personalabbau auf Kosten von Bediensteten
stattfindet, weil diese "Frühpensionist/innen" hohe Abschläge in Kauf
nehmen müssen. Und wenn dies - mit vielen anderen verzerrenden Aspekten - dann
zu verfälschten Statistiken führt und "die Wiener Beamt/innen" dann
wieder einmal das Etikett "Frühpensionistenparadies" angeheftet
bekommen, dann ist mir mittlerweile nur mehr zum Kotzen.
Es muss doch möglich sein, unser System
so weiterzuentwickeln, dass wir solidarisch Fehlentwicklungen und
Ungerechtigkeiten korrigieren, ohne dass man mit Halbwahrheiten stets
Feindseligkeiten und Neidgefühle schürt und Menschen in prekäre Altersarmut treibt.
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