Rund 400 Berliner sind am Mittwochabend der Einladung von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) gefolgt, über die Frage zu diskutieren, "Welchen Wohnungsneubau braucht Berlin?"
In der überfüllten kleinen Arena des Tempodroms am
Anhalter Bahnhof appellierte Stadtentwicklungssenator Andreas
Geisel (SPD) an seine Gäste, toleranter auf den Wandel in der
Nachbarschaft zu reagieren, den das Bevölkerungswachstum der
vergangenen Jahre mit sich bringt. Befürchtungen, dass
Bebauungsgegner die Veranstaltung stören würden, die
insbesondere durch den Brandanschlag auf den Dienstsitz des
Senators am Vortag eine besondere Brisanz erlangt hatten,
erwiesen sich glücklicherweise als unbegründet
"Um die große Wohnungsnachfrage zu decken, müssen in den nächsten zehn Jahren über 100.000 neue Wohnungen entstehen. Das geht nicht, wenn alle sagen: Hier bitte keine Veränderung. Baut überall, nur nicht in unserer Nachbarschaft. Diese Haltung bedeutet Stillstand", sagte Geisel. Das passe nicht zu einer Metropole wie Berlin. Während der Senator noch an die Einsicht seiner Zuhörer appellierte, verteilten Mitglieder des Bündnisses "100 % Mauerpark" bereits Flugblätter, um gegen das dortige Bauvorhaben zu protestieren.
Die Groth-Gruppe plant dort 700 Wohnungen, 120 davon sollen mit Mietpreisbindung versehen werden. "Zu Haltungen wie dieser sage ich klar: nein", so der Senator. Damit dass Wohnen in Berlin auch in Zukunft bezahlbar bleibe, müsse in allen Teilen der Stadt Neubau möglich sein.
In Wien werden Bürger einbezogen
Anschließend übergab der Senator das Mikrofon am Michael Ludwig, den Stadtrat für Wohnen der Stadt Wien, die vor ähnlichen Herausforderungen seht wie Berlin. Die Donaumetropole zählt 1,8 Millionen Einwohner und verzeichnet einen Zuwachs von jährlich rund 20.000 Menschen (Berlin: 3,5 Millionen, jährlich 40.000 zusätzlich).
Anders als in Berlin wohnen jedoch 60 Prozent der Wiener in Sozialwohnungen und auch der Wohnungsneubau wird vom städtisch geförderten Bauvorhaben dominiert. "Das hilft natürlich bei der Akzeptanz von Neubauten", sagte Ludwig. Zudem versuche man Neubauten in Wien mit Umfeldverbesserungen für die Nachbarschaft zu verbinden. "Das hilft ungemein", so Ludwig. Viel Applaus erntete Ludwig, als er berichtete, dass in Wien die Bewohner stark in die Gestaltung ihrer Kieze einbezogen werden.
Da können wir froh sein, dass wir in Wien wohnen, wo hier der Mieter, der Bürger „einbezogen“ wird. Gefragt hat mich noch keiner, aber das wird schon noch kommen, später, in einem anderen Leben.
Partikularinteressen abwägen
Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag, ebenfalls auf dem Podium, betonte, Berlin dürfe sich glücklich schätzen, dass es zu den Wachstumsregionen Deutschlands zähle. Die Beteiligung der Bürger an diesem Prozess sei jedoch noch ausbaufähig, mahnte von Lojewski an.
Den Applaus der Bebauungsgegner würgte er jedoch gleich dadurch ab, dass er betonte, dass es nicht dazu führen dürfe, dass die Partikularinteressen einiger Anwohner über die Interessen der Allgemeinheit gestellt werden. "Bürger, die mitgestalten wollen, stehen zudem auch in der Pflicht, sich über das Machbare zu informieren", mahnte er. Unrealistische Forderungen nach mehr als 50 Prozent Sozialwohnungsanteil bei Bauvorhaben seien wenig hilfreich.
In der anschließenden Diskussion kamen dann schließlich auch die Bebauungsgegner zu Wort. Wir haben schon zu wenig Grünflächen in der Stadt, da können wir nicht alles zubauen", forderte etwa Jörg Simon von der Initiative Stadtplanung von unten. Und Helmut Schmidt vom Aktionsbündnis Landschaftspark Lichterfelde-Süd plädierte dafür, dass die vielen Zuzügler doch auch im brandenburgischen Umland Berlins mit Wohnraum versorgt werden könnten.
In der Online-Abstimmung zur Frage "Sind wir zu Veränderungen in unserer Nachbarschaft bereit?" konnten die Berliner bereits vor der Diskussion ihre Meinung mitteilen. Immerhin: 55 Prozent stimmten mit Ja, 45 Prozent dagegen sagten dazu Nein. (www.berlin.de/stadtforum).
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