INTERVIEW |
29. Oktober 2014, 07:17
Günstige
Wohnungen sind knapp, sagt Renate Kitzman von der Fachstelle für
Wohnungssicherung
STANDARD: Die Fachstelle für Wohnungssicherung der
Volkshilfe berät Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Wer ist das?
Kitzman: Es können alle Mieter sein, in Privat-
wie in Genossenschaftswohnungen. Wir sind seit 1996 als Teil der Volkshilfe im
Auftrag der Stadt Wien tätig.
STANDARD: Wie viele Fälle bearbeiten Sie pro Jahr?
Kitzman: 15 Mitarbeiter bieten jährlich mehr als
5000 Personen Unterstützung an. Der häufigste Grund, warum ein Verfahren beim
Bezirksgericht eingebracht wird, ist und bleibt der Mietrückstand.
STANDARD: Wie erfahren Sie von geplanten
Delogierungen?
Kitzman: Das österreichische Mietrecht beinhaltet
zwei Paragrafen, die die Gerichte verpflichten, die Gemeinden über geplante
Räumungstermine zu informieren. In Wien werden die betroffenen Personen
brieflich kontaktiert: Ein Viertel meldet sich bei uns zurück.
STANDARD: Wie viele Räumungsklagen gab es in Wien
2013?
Kitzman: Von den Bezirksgerichten wurden wir über
972 eingebrachte Kündigungen, 16.271 Räumungsklagen, 87 Räumungsvergleiche, 104
Übergabeaufträge und 3058 Räumungstermine verständigt. Laut dem
Bundesrechenzentrum wurden insgesamt 21.060 Räumungsverfahren oder Kündigungen
in Wien eingebracht. Diese Zahl betrifft Privat-, Genossenschafts- und
Gemeindewohnungen.
STANDARD: Wie sieht die gesellschaftliche
Verteilung Ihrer Klienten aus?
Kitzman: 48,6 Prozent sind Frauen und 51,4 Prozent
Männer. Rund 55 Prozent ist zwischen 30 und 59 Jahre alt. 56,4 Prozent sind
österreichische Staatsbürger.
STANDARD: Welche gesellschaftlichen Gruppen sind
besonders gefährdet?
Kitzman: Treffen kann es jeden, sobald weniger
Haushaltseinkommen vorhanden ist. Für Alleinerzieherinnen ist es fatal, wenn
die Unterhaltszahlungen ausbleiben, und es dauert, bis ein Unterhaltsvorschuss
übers Bezirksgericht genehmigt wird. Unterhaltspflichtige Männer wiederum
können, wenn sie nicht zahlen, auf 25 Prozent unter dem Existenzminimum
gepfändet werden. Auch die Gruppe der Pensionisten ist in den vergangenen
Jahren von sechs auf dreizehn Prozent unserer Klienten gestiegen.
STANDARD: Spiegelt sich hier die Wirtschaftskrise
wider?
Kitzman: Steigende Arbeitslosigkeit, Schulden und
Mieten, die überproportional zum Einkommen steigen: Irgendwann geht es sich
nicht mehr aus. Das Argument "Suchen Sie sich doch einfach eine billigere
Wohnung!" ist sinnlos, da es kaum noch günstige am Markt gibt. Auch die
Mittelschicht ist betroffen. Das war zwar schon immer so, aber es wird
schlimmer. (Julia Schilly, DER STANDARD, 29.10.2014)
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