SPÖ: Die Rückbesinnung auf den Arbeiter
Was
SPÖ und ÖVP gemeinsam haben? Nicht viel, möchte man meinen. Das stimmt so
nicht. Die SPÖ und die ÖVP haben alles gemeinsam. Da gibt es keine Unterschiede
mehr. Mit der Beginn der großen Koalition wurden diese Unterschiede, die immer
klein waren, ganz ausgemerzt. Und jetzt, da es der SPÖ an den Kragen geht, denn
auch der Dümmste hat es begriffen, dass die SPÖ eine kapitalistische Partei
geworden ist, da gibt es eine Rückbesinnung.
Gemeinsam mit der
Basis überarbeitet die Parteispitze bis 2016 das SPÖ-Programm. Die Stoßrichtung
dabei ist klar: Man will sich in Zukunft wieder stärker um den „kleinen Mann“
bemühen.
(Die Presse)
Wien. Was SPÖ und ÖVP gemeinsam haben? Nicht viel, möchte man
meinen, mit Ausnahme eines Regierungsvertrages und der Erkenntnis, dass ihre
Parteiprogramme nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit sind. Die ÖVP hat ihre
Programmreform bereits vor einigen Wochen unter dem mehrdeutigen Titel
„Evolution“ begonnen. In der SPÖ läuft der Prozess – er nennt sich „Gemeinsam.
Reform.“ – gerade erst mit Kick-off-Veranstaltungen in den Ländern an. Den
Anfang vom Anfang machte am Donnerstagabend die Wiener SPÖ. Sie hat nächstes
Jahr eine Landtagswahl zu schlagen und durfte wohl auch deshalb Kanzler Werner
Faymann als Ehrengast im Rathaus begrüßen.
Das Neue an der programmatischen Arbeit in der
SPÖ sei das „Bottom-up-Prinzip“, sagt Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos im
Gespräch mit der „Presse“. Soll heißen: Während frühere SPÖ-Programme von
einigen Parteiintellektuellen ausgearbeitet und dann dem Parteitag zum
Beschluss vorgelegt wurden, ist die Basis dieses Mal von Beginn an eingebunden.
Inhaltlich will Darabos daher auch „nichts präjudizieren“, wobei er mit seiner
Meinung nicht hinter dem Berg hält: Die SPÖ müsse sich wieder stärker ihrer
Kernklientel, den Arbeitern, widmen. „Viele fühlen sich nicht mehr ausreichend
von der Partei vertreten und wenden sich ab“ – meistens in Richtung FPÖ, wie
auch Darabos nicht leugnet.
Auf kapitalistischen Abwegen
Die Ursache dafür
vermutet er im „Dritten Weg“, den der Brite Tony Blair, der Deutsche Gerhard
Schröder und in deren Windschatten auch der Österreicher Viktor Klima in den
Neunzigerjahren beschritten haben. Dieser Weg mündete ins SPÖ-Programm von
1998, das noch heute gilt und, wie der heutige Bundesgeschäftsführer findet,
„sicher nicht das beste in der Parteigeschichte war“. Denn damals habe es „eine
gewisse Öffnung in Richtung Kapitalismus“ gegeben.
Außerdem seien viele
Positionen „zu schwammig“ formuliert. So bekenne sich die SPÖ zwar zu neuen
Arbeitsformen, führe aber nicht aus, was sie darunter verstehe. Nicht nur beim
Wähler, auch an der SPÖ-Basis gebe es seither „eine Sehnsucht nach klaren
Positionen“.
Ob eine Rückbesinnung
auf die unteren Einkommensschichten, den sogenannten kleinen Mann, umgekehrt
nicht den Abschied vom breiten Mittelstand bedeute? Darabos verneint: Beides
sei miteinander vereinbar, wiewohl es auch innerhalb der SPÖ
Interessenkonflikte gebe. So befürworte etwa das studentische Milieu eine
Arbeitserlaubnis für Asylwerber, während die Arbeiterschaft einen
Verdrängungswettbewerb befürchte. Es werde nicht leicht sein, hier eine Lösung
zu finden, aber in die Programmdebatte seien eben alle eingebunden.
In einer ersten Phase
werden nun Vorschläge gesammelt. Ein wissenschaftlicher Beirat, der vom
Direktor des Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, geleitet wird, erarbeitet
parallel ein eigenes Papier. Die Fäden laufen in der „Ständigen Arbeitsgruppe“
zusammen, die von Darabos, Ex-Klubobmann Josef Cap und Pensionistenchef Karl
Blecha geleitet wird. Auch Parteichef Werner Faymann ist eingebunden.
Ab Mai 2015 sollen die
Ergebnisse ausgewertet und erste Maßnahmen umgesetzt werden. Am Ende dieser
zweiten Phase steht ein Textentwurf, der ab November in allen Bezirken
diskutiert und danach überarbeitet wird. Beschlossen werden soll das neue
Parteiprogramm im November 2016 – und zwar zunächst per Mitgliederentscheid und
erst dann vom Parteitag.
Das sind bereits die
ersten Vorboten einer Organisationsreform, die mit dem Programmprozess
einhergeht. Dabei geht es vor allem um direkte Demokratie innerhalb der SPÖ,
also um die Frage, wie man der Basis zu mehr Mitsprache verhelfen kann. Derzeit
kann zum Beispiel eine Entscheidung am Parteitag erzwungen werden, wenn 15
Prozent der 240.000 Mitglieder ein Anliegen unterstützen. Diese Hürde könnte
künftig gesenkt werden.
Frauenquote: Instanz offen
Auch dem will Darabos
allerdings nicht vorgreifen. Unmittelbar ist ohnehin eine andere Neuregelung
dringlicher: eine, die sicherstellt, dass die 40-prozentige Frauenquote in der
SPÖ eingehalten wird. Geplant ist ein Durchgriffsrecht auf die Kandidatenlisten
in den Ländern und Bezirken. Offen ist aber noch, wer diese regulierende
Instanz sein wird. Im Gespräch sind der Bundesparteirat, also der kleine
Parteitag, der immer vor Wahlen zusammentritt, und der Parteivorstand. Der
Vorschlag sei noch nicht fertig, sagt Darabos. Die Entscheidung dürfte am 4.
November fallen – bei einer Sitzung des Parteivorstands.
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2014)
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