Donnerstag, 2. Oktober 2014

SPÖ: Die Rückbesinnung auf den Arbeiter

SPÖ: Die Rückbesinnung auf den Arbeiter


Was SPÖ und ÖVP gemeinsam haben? Nicht viel, möchte man meinen. Das stimmt so nicht. Die SPÖ und die ÖVP haben alles gemeinsam. Da gibt es keine Unterschiede mehr. Mit der Beginn der großen Koalition wurden diese Unterschiede, die immer klein waren, ganz ausgemerzt. Und jetzt, da es der SPÖ an den Kragen geht, denn auch der Dümmste hat es begriffen, dass die SPÖ eine kapitalistische Partei geworden ist, da gibt es eine Rückbesinnung.

Gemeinsam mit der Basis überarbeitet die Parteispitze bis 2016 das SPÖ-Programm. Die Stoßrichtung dabei ist klar: Man will sich in Zukunft wieder stärker um den „kleinen Mann“ bemühen.
   (Die Presse)
Wien. Was SPÖ und ÖVP gemeinsam haben? Nicht viel, möchte man meinen, mit Ausnahme eines Regierungsvertrages und der Erkenntnis, dass ihre Parteiprogramme nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit sind. Die ÖVP hat ihre Programmreform bereits vor einigen Wochen unter dem mehrdeutigen Titel „Evolution“ begonnen. In der SPÖ läuft der Prozess – er nennt sich „Gemeinsam. Reform.“ – gerade erst mit Kick-off-Veranstaltungen in den Ländern an. Den Anfang vom Anfang machte am Donnerstagabend die Wiener SPÖ. Sie hat nächstes Jahr eine Landtagswahl zu schlagen und durfte wohl auch deshalb Kanzler Werner Faymann als Ehrengast im Rathaus begrüßen.
Das Neue an der programmatischen Arbeit in der SPÖ sei das „Bottom-up-Prinzip“, sagt Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos im Gespräch mit der „Presse“. Soll heißen: Während frühere SPÖ-Programme von einigen Parteiintellektuellen ausgearbeitet und dann dem Parteitag zum Beschluss vorgelegt wurden, ist die Basis dieses Mal von Beginn an eingebunden. Inhaltlich will Darabos daher auch „nichts präjudizieren“, wobei er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält: Die SPÖ müsse sich wieder stärker ihrer Kernklientel, den Arbeitern, widmen. „Viele fühlen sich nicht mehr ausreichend von der Partei vertreten und wenden sich ab“ – meistens in Richtung FPÖ, wie auch Darabos nicht leugnet.

Auf kapitalistischen Abwegen

Die Ursache dafür vermutet er im „Dritten Weg“, den der Brite Tony Blair, der Deutsche Gerhard Schröder und in deren Windschatten auch der Österreicher Viktor Klima in den Neunzigerjahren beschritten haben. Dieser Weg mündete ins SPÖ-Programm von 1998, das noch heute gilt und, wie der heutige Bundesgeschäftsführer findet, „sicher nicht das beste in der Parteigeschichte war“. Denn damals habe es „eine gewisse Öffnung in Richtung Kapitalismus“ gegeben.
Außerdem seien viele Positionen „zu schwammig“ formuliert. So bekenne sich die SPÖ zwar zu neuen Arbeitsformen, führe aber nicht aus, was sie darunter verstehe. Nicht nur beim Wähler, auch an der SPÖ-Basis gebe es seither „eine Sehnsucht nach klaren Positionen“.
Ob eine Rückbesinnung auf die unteren Einkommensschichten, den sogenannten kleinen Mann, umgekehrt nicht den Abschied vom breiten Mittelstand bedeute? Darabos verneint: Beides sei miteinander vereinbar, wiewohl es auch innerhalb der SPÖ Interessenkonflikte gebe. So befürworte etwa das studentische Milieu eine Arbeitserlaubnis für Asylwerber, während die Arbeiterschaft einen Verdrängungswettbewerb befürchte. Es werde nicht leicht sein, hier eine Lösung zu finden, aber in die Programmdebatte seien eben alle eingebunden.
In einer ersten Phase werden nun Vorschläge gesammelt. Ein wissenschaftlicher Beirat, der vom Direktor des Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, geleitet wird, erarbeitet parallel ein eigenes Papier. Die Fäden laufen in der „Ständigen Arbeitsgruppe“ zusammen, die von Darabos, Ex-Klubobmann Josef Cap und Pensionistenchef Karl Blecha geleitet wird. Auch Parteichef Werner Faymann ist eingebunden.
Ab Mai 2015 sollen die Ergebnisse ausgewertet und erste Maßnahmen umgesetzt werden. Am Ende dieser zweiten Phase steht ein Textentwurf, der ab November in allen Bezirken diskutiert und danach überarbeitet wird. Beschlossen werden soll das neue Parteiprogramm im November 2016 – und zwar zunächst per Mitgliederentscheid und erst dann vom Parteitag.
Das sind bereits die ersten Vorboten einer Organisationsreform, die mit dem Programmprozess einhergeht. Dabei geht es vor allem um direkte Demokratie innerhalb der SPÖ, also um die Frage, wie man der Basis zu mehr Mitsprache verhelfen kann. Derzeit kann zum Beispiel eine Entscheidung am Parteitag erzwungen werden, wenn 15 Prozent der 240.000 Mitglieder ein Anliegen unterstützen. Diese Hürde könnte künftig gesenkt werden.

Frauenquote: Instanz offen

Auch dem will Darabos allerdings nicht vorgreifen. Unmittelbar ist ohnehin eine andere Neuregelung dringlicher: eine, die sicherstellt, dass die 40-prozentige Frauenquote in der SPÖ eingehalten wird. Geplant ist ein Durchgriffsrecht auf die Kandidatenlisten in den Ländern und Bezirken. Offen ist aber noch, wer diese regulierende Instanz sein wird. Im Gespräch sind der Bundesparteirat, also der kleine Parteitag, der immer vor Wahlen zusammentritt, und der Parteivorstand. Der Vorschlag sei noch nicht fertig, sagt Darabos. Die Entscheidung dürfte am 4. November fallen – bei einer Sitzung des Parteivorstands.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2014)


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