Donnerstag, 16. Oktober 2014

StR Ludwig und die Wohnqualität

Wohnbaustadtrat Dr. Michael Ludwig
Magistrat der Stadt Wien
Geschäftsgruppe für Wohnen, Wohnbau
und Stadterneuerung
Bartensteingasse 9
1082 Wien



Betrifft: „Verdichtung“ bedeutet Vernichtung von Lebensqualität in Wien


Sehr geehrter Herr Stadtrat!

In zahlreichen Postwurfsendungen an alle Haushalte Wiens werden Sie immer wieder als Verfechter von Wohnqualität und Anwalt für lebenswertes Wohnen in Wien präsentiert. Die Kompetenzen der MA 37 gehören daher zu Ihrem Ressort. Weiters habe ich auch gelesen, dass auf Grund der statistisch erwarteten Bevölkerungsentwicklung pro Jahr 7.000 neue Wohnungen in Wien errichtet werden sollen, wofür Investoren gesucht und auch gefunden wurden. 

Der sog Baulückenkataster gibt zudem potentiellen Investoren Auskunft, wo noch ein unbebauter grüner Innenhof oder ein Garten mit altem Baumbestand zubetoniert werden kann. Das zahnlose Baumschutzgesetz bietet hier keine Barriere. In vielen Bezirken Wiens erleben die Bewohner daher eine meist unerwartet brutale Vernichtung ihrer Lebensqualität durch die vielgepriesene sog „Verdichtung“ der Bebauung. 

Mit unförmigen Dachausbauten werden zudem vor allem in der Wiener Innenstadt nicht wieder gutzumachende Verschandelungen der Wiener Dachlandschaft produziert. Die neue Fassade von P&C in der Kärntnerstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk lässt die Wogen hochgehen. Sie zeigt, dass der Begriff „zeitgemäß“ ausschließlich eine Geschmacksfrage und keine Rechtsfrage (WBO) sein kann.

In den noch grünen Bezirken Wiens (Ottakring, Hernals, Hietzing, Döbling, Liesing) kann man beobachten, wie in Kleingarten und Einfamilienhausgegenden Luxuswohnungsklötze mit Tiefgaragen hochgezogen werden. Sie sind für den Normalbürger unerschwinglich, gehen aber mit großflächiger Vernichtung von Grünräumen einher. 

Der Erholungsraum Alte und Neue Donau erfährt zunehmend eine Verbauung mit den berühmt berüchtigten Glorithäusern, bald wird auch dieses Erholungsgebiet nur mehr Geschichte sein. In Jedlesee ging eine Bürgerinitiative wegen der Vernichtung des dörflichen Charakters, mit dem man diese Gegend zuvor immer beworben hat, auf die Barrikaden. Am Handelskai erregt die Bürger ein Hotelzubau nach dem umstrittenen § 69 der Wiener Bauordnung, der einen beträchtlichen Wertverlust ihrer Wohnungen bedeutet.

Rattenkäfigartige Wohnviertel mit schlechter Verkehrsanbindung, wie die „Wienerberg City“, entstehen nun auch jenseits der Reichsbrücke. Ihr Vorgänger als Wohnbaustadtrat, der jetzige Bundeskanzler Werner Faymann, sprach damals von einem Projekt, das „alle Wohnträume erfülle“. Die Menschen, die die Wienerberg City wirklich kennen oder dort leben müssen, sehen das mittlerweile anders.

Da sie von den Politikern immer nur hören, „alles entspricht der Wiener Bauordnung“, fragen sich viele Menschen in Wien, wie denn diese Rechtsgrundlagen wirklich aussehen und sie beginnen sich mit der Wiener Bauordnung auseinanderzusetzen. Ohne gewisse rechtskundige Vorbildung ist das ohnehin unmöglich. 

Aus zahlreichen Gesprächen mit von unverständlichen Bauvorhaben in ihrer Umgebung Betroffenen haben sich Kritikpunkte an dieser derzeitigen Fassung der Wiener Bauordnung herauskristallisiert. Als Hauptverantwortlichem für dieses Ressort darf ich Ihnen diese Liste der Änderungswünsche der Wiener Bauordnung im Anhang beilegen. Ich möchte auch die Bitte damit verbinden, bei einer Neuformulierung nicht nur an die vielleicht in zehn Jahren in Wien lebenden Menschen zu denken, sondern auch an die jetzige Wohnbevölkerung. 

Die Wünsche und Vorschläge für eine Neufassung einer „zeitgemäßen“ Wiener Bauordnung betreffen vor allem die schwammigen Text-Formulierungen, die findigen Bauwerbern zusammen mit der MA 37 einen viel zu weiten Auslegungsspielraum zugestehen. Missbrauch und Korruption wird hier Tür und Tor geöffnet und es gibt keine Rechtssicherheit.

Besonders kritisiert wird auch der neugefasste § 69, der dem Bezirksbauausschuss, einem Gremium von zumeist Nichtfachleuten, alle erdenklichen Möglichkeiten der Auslegung zugesteht. Mit den Wünschen der Wohnbevölkerung im Bezirk hat deren Entscheidung meist nichts zu tun, auch die „Unbefangenheit“ ist uU nicht immer gegeben.

Der § 71 WBO wird auch für auf lange Bestandsdauer ausgelegte Bauten angewendet, um Anrainer auszuschalten.

Da der Wildwuchs an Dachausbauten in Wien bereits ein unerträgliches Ausmaß erreicht hat und dieser so gewonnene Wohnraum in der Regel keineswegs für den Normalbürger erschwinglich ist, müssen diese Bestimmungen verschärft und nicht ausgeweitet werden. Die Bestimmungen über Dachgauben erlauben jede Auslegung, die sich ein findiger Architekt nur wünschen kann.

Auch der forcierte Bau von Bürohochhäusern ist entbehrlich, tausende m² an Büroflächen stehen in Wien leer und die Dichte an Einkaufszentren ist bei uns so hoch, wie kaum sonst irgendwo.

Darf ich Sie, Herr Stadtrat, ersuchen, sich der Punkte der beiliegenden Wunschliste zur Änderung der Wiener Bauordnung anzunehmen. Da die Anzahl der (bauwerberfreundlichen) Novellierungen dieses Landesgesetzes so groß wie kaum bei einem anderen Gesetz ist, wäre es doch einmal auch an der Zeit, bei den Bestimmungen einmal nicht nur an Investoren und reiche russische Oligarchen zu denken, sondern an die Menschen, die jetzt hier leben. Die sind nämlich genauso wichtig, wie die von der Statistik erwarteten Zuwanderer! 
Ich selbst bin im Gemeindebau am Engelsplatz in der Brigittenau aufgewachsen und erinnere mich noch gerne an die schönen grünen Höfe meiner Kindheit. Die heutigen sog Sozialbauten lassen leider diese Lebensqualität völlig vermissen.
 

Mit freundlichen Grüßen sehe ich interessiert Ihrer Antwort entgegen! Zu einem persönlichen Gespräch, sollten Sie das wünschen, bin ich gerne bereit.

Hochachtungsvoll

Dr.Johanna Kraft

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