Wien - Als junger Mensch könne man sich in Wien derzeit praktisch nur ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft (WG) leisten; darin waren sich Julia Herr, Julian Schmid und Stefan Schnöll in der Diskussion der Jungpolitiker auf dem 50. Wohnsymposium durchaus einig. Und nicht nur darin - doch dazu später.
Wohnen verteuert sich zwar,
aber nicht mehr so schnell wie in den vergangenen Jahren. Schossen die
Angebotspreise für Wiener Eigentumswohnungen im Jahr 2011 noch um 17 Prozent
hoch, so betrug der Anstieg in den vergangenen zwölf Monaten zwei Prozent. Das
geht aus dem jüngsten Immobilienpreisspiegel von Immobilien.net hervor. Die
Zeiten des steilen Wachstums sind vorerst einmal zu Ende. Indes zieht die
Nachfrage nach Einfamilienhäusern wieder an. „Viele sagen sich: Wenn Wohnungen
so teuer sind, dann kaufe ich gleich ein Haus“, erklärt Patrick Schenner,
Geschäftsführer von Immobilien.net. Österreichweit kletterten die Preise für
Häuser seit dem Vorjahr um drei Prozent und damit stärker als für alle anderen
Arten von Wohnimmobilien. Für gebrauchte Häuser zahlt man österreichweit im
Schnitt 2076 Euro pro Quadratmeter, für neue 2406 Euro. Die teuersten
Neubauhäuser gibt es im Bundesland Salzburg mit durchschnittlich 3578 Euro. Die
teuersten gebrauchten Häuser stehen in Wien mit 4088 Euro. In der
Bundeshauptstadt sind übrigens alte Häuser deutlich teurer als neue (3504 Euro). Bei den Mieten hält sich der Anstieg
noch im Zaum. Derzeit werden gebrauchte Wohnungen österreichweit um
durchschnittlich 9,32Euro netto pro Monat und Quadratmeter feilgeboten, das ist
ein Plus von zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei Neubauwohnungen betrug der
Anstieg 0,81 Prozent auf zehn Euro. Dabei könnte es sich allerdings nur um eine
Ruhe vor dem Sturm handeln, meint Schenner. Da die Eigentumspreise bis 2013
kräftig angezogen haben, die Bautätigkeit gering sei und der Zuzug in die
Städte groß, müsse man damit rechnen, dass die Mieten irgendwann nachziehen.
Vor allem in den Ballungszentren.
Es gibt allerdings
Gegenden in Österreich, wo selbst Eigentum von Jahr zu Jahr billiger wird. Dazu
zählen Bezirke wie Gmünd, Horn, Krems-Land und Amstetten. Ein gegenläufiger
Trend zu ländlichen Gegenden zeigt sich im Speckgürtel, also in der Peripherie von
Wien oder Graz. Dieser wächst. St. Pölten zählt dank der guten
Verkehrsanbindung längst zum Speckgürtel von Wien. Die Preise für gebrauchte
Häuser kletterten dort in den vergangenen zwölf Monaten um 15 Prozent auf
1673Euro pro Quadratmeter. So billige Domizile findet man in Wien kaum noch.
Gebrauchte Wohnungen im billigsten Bezirk Simmering kosten 2246Euro. Immerhin
drei Viertel aller alten Wohnungen werden dort um mehr als 2025 Euro angeboten.
Generell gab es zuletzt bei einst billigen Bezirken wie Simmering, Favoriten,
Meidling oder Margareten starke Preisanstiege. Wer
viel Geld hat und sich eine Neubauwohnung in der Innenstadt leisten will,
findet zu 50 Prozent Angebote von 14.913 Euro pro Quadratmeter aufwärts. Jede
vierte Neubauwohnung im ersten Bezirk kostet mehr als 17.338 Euro pro
Quadratmeter. Damit ist die Wiener Innenstadt teurer als jene von München.
Bei den Mieten ist Wien mit Quadratmeterpreisen zwischen acht und zwölf Euro
billiger als München und Hamburg. In München zahlt man zwischen 10,4 und
16,6Euro, in Hamburg zwischen 6,4 und 14,5 Euro. (Innerhalb der einzelnen Lagen
kann es immer Ausreißer geben.) Deutlich billiger ist Berlin: Dort mietet man
zwischen 5,2 und 10,9 Euro und kauft zwischen 1134 und 3360 Euro.
"Immer nur WGs"
Schnöll, 26-jähriger
Vizepräsident der Jungen Europäischen Volkspartei, ließ zunächst ziemlich tiefe
Einblicke in seine aktuelle Wohnsituation zu. Er stammt aus Salzburg, studiert
in Wien Jus und hat in der Bundeshauptstadt "bisher immer nur in WGs
gewohnt", wie er berichtete.
Das Motto des Symposiums
musste er nun aber aus gewissen Gründen beinahe als Provokation auffassen:
"Wohnen im Jahr 2050? Ich weiß ja nicht einmal, wie ich in einem Monat
wohnen werde!" Er habe nämlich "nicht mehr die Möglichkeit einer
WG", sagte er etwas kryptisch, und sei deshalb aktuell auf Wohnungssuche.
"Aber es ist derzeit wirklich sehr schwierig, eine Wohnung im leistbaren
Segment zu finden."
Sein Hinweis, dass er
außer-dem gerade in Wiener Neustadt seine Gerichtspraxis absolviere
("schlecht bezahlt - um die 900 Euro netto"), sorgte bei Moderator
Gerfried Sperl für den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, dass er doch
eigentlich auch "im Gericht wohnen" könnte - "da ist ja in der
Nacht eh keine Verhandlung". Schnöll zog es aber vor, die zahlreichen
Vertreter gemeinnütziger und gewerblicher Bauträger im Publikum so ganz
nebenbei zu fragen, ob denn jemand für ihn "noch etwas frei" habe.
"Ausufernde Mieten"
Dass es als Junger
heutzutage "wahnsinnig schwer" sei, eine Wohnung zu finden,
bestätigte auch Julian Schmid, Jugendsprecher der Grünen im Nationalrat und
selbst mit 25 Jahren der jüngste Abgeordnete. Im Unterschied zu Schnöll hat er
zwar "seit kurzem eine neue Wohnung", wahrscheinlich sei er damit
aber auch "der einzige Abgeordnete, der noch in einer Wohngemeinschaft
wohnt" - und zwar zu viert. Auf die skeptische Frage des Moderators, ob
das denn wirklich schon eine WG sei, antwortete er keck: "Wie viele haben
denn 1968 in einer WG gewohnt, Herr Sperl?"
Julia Herr, SJ-Chefin
mit Wurzeln im Burgenland, hat trotz ihres jungen Alters von 21 ebenfalls schon
ein relativ bewegtes WG-Leben hinter sich: Doppelzimmer im Studentenheim
Margareten, danach eine Siebener(!)-WG in Ottakring, jetzt eine "kleine
Zweier-WG", ebenfalls im 16. Bezirk.
Auch sie kritisierte die
ausufernden Mieten und wies in diesem Zusammenhang auf eine ihrer Ansicht nach
äußerst besorgniserregende Statistik hin: Die (freien) Mieten in Österreich legten
von 2000 bis 2011 um 40 Prozent zu, "während die Löhne und Gehälter im
selben Zeitraum nur um 23 Prozent stiegen". Demnach werden Wohnungen also
"immer teurer, und zwar signifikant".
Dass es genügend
leistbaren Wohnraum gibt, nannte sie schon jetzt eine "Utopie",
weshalb sie lieber gar nicht so weit in die Zukunft blicken wollte, wie es das
Thema vorgab: "Leistbares Wohnen, darum muss man auch 2014 noch
kämpfen."
Paris als Abschreckung
Der Grüne Schmid malte
auch sogleich das Schreckgespenst Paris an die Wand: In der französischen
Hauptstadt gebe es "unvorstellbar hohe Mieten, das könnten wir uns dort
niemals leisten".
Mit Blick auf das Thema
des Abends - "Wie wohnen wir 2050?" - sagte der gebürtige Kärntner,
dass er angesichts der aktuellen Mietpreise in der verstärkten Wiederkehr des
WG-Lebens auch so etwas wie einen großen Trend sehe. "Die eigene Wohnung,
das wird abnehmen. Der neue Trend wird sein, eher wieder
zusammenzuwohnen." Nachsatz: "aber in neuer Form." Wie dies
aussehen könnte, blieb allerdings vage. Mehr Heimarbeit werde es wohl im Zuge
der weiter voranschreitenden Digitalisierung geben, so der Grüne, "ich
arbeite ja teilweise schon vom Smartphone aus".
VP-Politiker Schnöll
hielt dem entgegen, dass es angesichts immer mehr Singlehaushalten möglicherweise
auch in eine andere Richtung gehen könnte: "Shared Living, mit nur noch
dem Notwendigsten - Schlafen, die Notdurft verrichten - in den eigenen vier
Wänden." Arbeiten könne man ja woanders, etwa in der Bibliothek, mit den
Kindern spielen gehe auch im Park - sofern es "öffentlichen Raum gibt, der
diesen Namen auch verdient". Jedenfalls sollten vor allem kleinere
Wohnungen gefördert werden - "mit 60 m², so etwas suche ich gerade" -
und nicht Einfamilienhäuser.
Moderator Sperl stellte
irgendwann fest, dass die Diskussion sehr gesittet ablief und es kaum Dispute
gab. "Streiten - das machen wir Jungen nicht mehr", antwortete
Schmid. Und Schnöll fügte auch einen durchaus plausiblen Grund hinzu, warum das
so sei: "Wir müssen ja vielleicht irgendwann einmal zusammenwohnen."
(mapu, DER STANDARD, 22.10.2014)
Die Zukunft des Wohnens hängt weniger an Mauern
und Wänden als an raumplanerischen, gesetzlichen, gesellschaftlichen und
kulturellen Rahmenbedingungen. Das wurde in den Beiträgen der Experten und
Praktiker beim Wohnsymposium deutlich.
Für den Architekten
Walter Stelzhammer ist die Verdichtung der Stadt die Antwort auf die
wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Man müsse
wegkommen von der Vorstellung, dass Wohnzufriedenheit vor allem an der
Wohnfläche hängt, betonte der frühere Präsident der Architektenkammer für Wien,
Niederösterreich und Burgenland. "Mein Traum ist die kleinstmögliche
Wohnmaschine", sagte er und verwies auf die Arbeit eines japanischen
Kollegen, der in der elterlichen Wohnung auf 32 Quadratmetern durch flexible
Raumteiler und technische Ausstattung ein hochqualitatives Lebensumfeld
geschaffen hat.
"Offen planen"
Und weil Häuser für
viele Jahrzehnte gebaut würden und man die Trends der Zukunft nicht alle
abschätzen könne, "müssen wir Gebäudestrukturen schaffen, die technisch
und planerisch so offen sind, dass sie die Wohnform und Wünsche der nächsten
und übernächsten Generation abdecken - damit auch die Enkelkinder gut über uns
denken werden", erklärte Stelzhammer. Die große Herausforderung sei dabei,
dichter zu bauen oder bestehende Stadtviertel zu verdichten, um öffentliche
Ressourcen zu sparen, und dennoch die Privatsphäre des Einzelnen zu sichern.
Hier biete der Ausbau der Dachböden besondere Chancen. "Wohnen am Dach
soll für eine breite Bevölkerung leistbar und deshalb auch gefördert
werden", sagt Stelzhammer.
Die Zukunftsvision von
Jörg Wippel, Chef des Wohnbauträgers wvg, ist ein einheitliches Wohn- und
Mietrecht, das nicht nur das Leben für Vermieter und Mieter einfacher machen,
sondern auch den Wohnbau ankurbeln würde. Denn die jetzige rechtliche
Zersplitterung sei eine Gefahr für die immer noch ausgezeichnete Wohnversorgung
in Österreich sowie die soziale Durchmischung, die die Bildung von Armen- und
Reichenghettos verhindere. "Wir müssen erreichen, dass Wohnungen, die die
gleiche Qualität haben, ungefähr nachvollziehbar gleich viel kosten",
sagte Wippel. Dafür müsse man nicht nur die bestehenden Gesetze novellieren,
sondern ein umfassendes Bundeswohnrecht schaffen, das für alle Wohnbereiche
gilt.
Alt-Erlaa als Vorbild
Für Isabella Jandl,
Bereichsleiterin für Koordination und Beratung im Wohnservice Wien, und
Gesiba-Vorstand Klaus Baringer ist die Kernfrage das Zusammenleben der
Menschen. Jandl beschrieb verschiedene Modelle der Mitbestimmung der Bewohner
bei der Planung, des gemeinschaftlichen Wohnens wie das Projekt
"Ich-Du-Wir-Plus" in Wien-Floridsdorf, das der Vereinsamung der
Bewohner entgegenwirken soll, sowie noch weiter integrierter Wohngruppen.
Für Baringer bleibt der
von Harry Glück in den 1970er-Jahren für die Gesiba geplante Wohnpark Alt-Erlaa
ein Modell für die Zukunft. Die Herausforderung für Bauträger sind die alternde
Bevölkerung und der Wunsch der meisten Älteren, möglichst lange in den eigenen
vier Wänden zu leben. Dies sei realisierbar etwa durch "intensive
Betreuung durch professionelle Partner in einer gemeinsamen
Wohnsituation", also betreute Wohngruppen für Senioren, so Baringer.
"Häuslbauer sind effizient"
Für den Meinungsforscher
Werner Beutelmeyer vom Market-Institut muss der Wohnbau auf die Stimmungen der
Menschen eingehen. Derzeit herrschten viele Ängste vor, aber die Planer müssten
vor allem positive Wohnträume erfüllen, und die bestünden laut Umfragen in
Licht und Feuer, also Kaminen. Dabei sollte man viel genauer auf die Arbeit von
Heimwerkern schauen. Beutelmeyer: "Häuslbauer sind sehr effizient, weil
sie mit geringen Mitteln sehr gute Lösungen finden."
Und der Ökonom Michael
Wagner-Pinter, Chef von Synthesis Forschung, sieht die Selbstorganisation der
Zivilgesellschaft als wichtigste Gestaltungskraft der Zukunft. "Es wird in
Zukunft nicht mehr möglich sein, Verwerfungslinien durch den Einsatz
öffentlicher Mittel zu lösen", sagte Wagner-Pinter. Konflikte müssten in
Zukunft "mit intelligenter Innovation in der zivilen Gesellschaft bewältigt
werden. Die Fähigkeit zusammenzuleben ist der wichtigste Faktor für Frieden uns
soziale Stabilität."
Die Zukunft des Wohnens
in Wien liegt in den Dächern, sagen Experten wie der Architekt Walter
Stelzhammer. Durch den Ausbau von Dachböden kann die Stadt umweltfreundlich
verdichtet werden. (Eric Frey, DER STANDARD, 22.10.2014)
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