Mittwoch, 22. Oktober 2014

"Für Junge in Wien nur WGs leistbar"

Wien - Als junger Mensch könne man sich in Wien derzeit praktisch nur ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft (WG) leisten; darin waren sich Julia Herr, Julian Schmid und Stefan Schnöll in der Diskussion der Jungpolitiker auf dem 50. Wohnsymposium durchaus einig. Und nicht nur darin - doch dazu später.

Wohnen verteuert sich zwar, aber nicht mehr so schnell wie in den vergangenen Jahren. Schossen die Angebotspreise für Wiener Eigentumswohnungen im Jahr 2011 noch um 17 Prozent hoch, so betrug der Anstieg in den vergangenen zwölf Monaten zwei Prozent. Das geht aus dem jüngsten Immobilienpreisspiegel von Immobilien.net hervor. Die Zeiten des steilen Wachstums sind vorerst einmal zu Ende. Indes zieht die Nachfrage nach Einfamilienhäusern wieder an. „Viele sagen sich: Wenn Wohnungen so teuer sind, dann kaufe ich gleich ein Haus“, erklärt Patrick Schenner, Geschäftsführer von Immobilien.net. Österreichweit kletterten die Preise für Häuser seit dem Vorjahr um drei Prozent und damit stärker als für alle anderen Arten von Wohnimmobilien. Für gebrauchte Häuser zahlt man österreichweit im Schnitt 2076 Euro pro Quadratmeter, für neue 2406 Euro. Die teuersten Neubauhäuser gibt es im Bundesland Salzburg mit durchschnittlich 3578 Euro. Die teuersten gebrauchten Häuser stehen in Wien mit 4088 Euro. In der Bundeshauptstadt sind übrigens alte Häuser deutlich teurer als neue (3504 Euro). Bei den Mieten hält sich der Anstieg noch im Zaum. Derzeit werden gebrauchte Wohnungen österreichweit um durchschnittlich 9,32Euro netto pro Monat und Quadratmeter feilgeboten, das ist ein Plus von zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei Neubauwohnungen betrug der Anstieg 0,81 Prozent auf zehn Euro. Dabei könnte es sich allerdings nur um eine Ruhe vor dem Sturm handeln, meint Schenner. Da die Eigentumspreise bis 2013 kräftig angezogen haben, die Bautätigkeit gering sei und der Zuzug in die Städte groß, müsse man damit rechnen, dass die Mieten irgendwann nachziehen. Vor allem in den Ballungszentren.
Es gibt allerdings Gegenden in Österreich, wo selbst Eigentum von Jahr zu Jahr billiger wird. Dazu zählen Bezirke wie Gmünd, Horn, Krems-Land und Amstetten. Ein gegenläufiger Trend zu ländlichen Gegenden zeigt sich im Speckgürtel, also in der Peripherie von Wien oder Graz. Dieser wächst. St. Pölten zählt dank der guten Verkehrsanbindung längst zum Speckgürtel von Wien. Die Preise für gebrauchte Häuser kletterten dort in den vergangenen zwölf Monaten um 15 Prozent auf 1673Euro pro Quadratmeter. So billige Domizile findet man in Wien kaum noch. Gebrauchte Wohnungen im billigsten Bezirk Simmering kosten 2246Euro. Immerhin drei Viertel aller alten Wohnungen werden dort um mehr als 2025 Euro angeboten. Generell gab es zuletzt bei einst billigen Bezirken wie Simmering, Favoriten, Meidling oder Margareten starke Preisanstiege. Wer viel Geld hat und sich eine Neubauwohnung in der Innenstadt leisten will, findet zu 50 Prozent Angebote von 14.913 Euro pro Quadratmeter aufwärts. Jede vierte Neubauwohnung im ersten Bezirk kostet mehr als 17.338 Euro pro Quadratmeter. Damit ist die Wiener Innenstadt teurer als jene von München. Bei den Mieten ist Wien mit Quadratmeterpreisen zwischen acht und zwölf Euro billiger als München und Hamburg. In München zahlt man zwischen 10,4 und 16,6Euro, in Hamburg zwischen 6,4 und 14,5 Euro. (Innerhalb der einzelnen Lagen kann es immer Ausreißer geben.) Deutlich billiger ist Berlin: Dort mietet man zwischen 5,2 und 10,9 Euro und kauft zwischen 1134 und 3360 Euro.

"Immer nur WGs"

Schnöll, 26-jähriger Vizepräsident der Jungen Europäischen Volkspartei, ließ zunächst ziemlich tiefe Einblicke in seine aktuelle Wohnsituation zu. Er stammt aus Salzburg, studiert in Wien Jus und hat in der Bundeshauptstadt "bisher immer nur in WGs gewohnt", wie er berichtete.
Das Motto des Symposiums musste er nun aber aus gewissen Gründen beinahe als Provokation auffassen: "Wohnen im Jahr 2050? Ich weiß ja nicht einmal, wie ich in einem Monat wohnen werde!" Er habe nämlich "nicht mehr die Möglichkeit einer WG", sagte er etwas kryptisch, und sei deshalb aktuell auf Wohnungssuche. "Aber es ist derzeit wirklich sehr schwierig, eine Wohnung im leistbaren Segment zu finden."
Sein Hinweis, dass er außer-dem gerade in Wiener Neustadt seine Gerichtspraxis absolviere ("schlecht bezahlt - um die 900 Euro netto"), sorgte bei Moderator Gerfried Sperl für den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, dass er doch eigentlich auch "im Gericht wohnen" könnte - "da ist ja in der Nacht eh keine Verhandlung". Schnöll zog es aber vor, die zahlreichen Vertreter gemeinnütziger und gewerblicher Bauträger im Publikum so ganz nebenbei zu fragen, ob denn jemand für ihn "noch etwas frei" habe.
"Ausufernde Mieten"
Dass es als Junger heutzutage "wahnsinnig schwer" sei, eine Wohnung zu finden, bestätigte auch Julian Schmid, Jugendsprecher der Grünen im Nationalrat und selbst mit 25 Jahren der jüngste Abgeordnete. Im Unterschied zu Schnöll hat er zwar "seit kurzem eine neue Wohnung", wahrscheinlich sei er damit aber auch "der einzige Abgeordnete, der noch in einer Wohngemeinschaft wohnt" - und zwar zu viert. Auf die skeptische Frage des Moderators, ob das denn wirklich schon eine WG sei, antwortete er keck: "Wie viele haben denn 1968 in einer WG gewohnt, Herr Sperl?"
Julia Herr, SJ-Chefin mit Wurzeln im Burgenland, hat trotz ihres jungen Alters von 21 ebenfalls schon ein relativ bewegtes WG-Leben hinter sich: Doppelzimmer im Studentenheim Margareten, danach eine Siebener(!)-WG in Ottakring, jetzt eine "kleine Zweier-WG", ebenfalls im 16. Bezirk.

Auch sie kritisierte die ausufernden Mieten und wies in diesem Zusammenhang auf eine ihrer Ansicht nach äußerst besorgniserregende Statistik hin: Die (freien) Mieten in Österreich legten von 2000 bis 2011 um 40 Prozent zu, "während die Löhne und Gehälter im selben Zeitraum nur um 23 Prozent stiegen". Demnach werden Wohnungen also "immer teurer, und zwar signifikant".
Dass es genügend leistbaren Wohnraum gibt, nannte sie schon jetzt eine "Utopie", weshalb sie lieber gar nicht so weit in die Zukunft blicken wollte, wie es das Thema vorgab: "Leistbares Wohnen, darum muss man auch 2014 noch kämpfen."

Paris als Abschreckung

Der Grüne Schmid malte auch sogleich das Schreckgespenst Paris an die Wand: In der französischen Hauptstadt gebe es "unvorstellbar hohe Mieten, das könnten wir uns dort niemals leisten".
Mit Blick auf das Thema des Abends - "Wie wohnen wir 2050?" - sagte der gebürtige Kärntner, dass er angesichts der aktuellen Mietpreise in der verstärkten Wiederkehr des WG-Lebens auch so etwas wie einen großen Trend sehe. "Die eigene Wohnung, das wird abnehmen. Der neue Trend wird sein, eher wieder zusammenzuwohnen." Nachsatz: "aber in neuer Form." Wie dies aussehen könnte, blieb allerdings vage. Mehr Heimarbeit werde es wohl im Zuge der weiter voranschreitenden Digitalisierung geben, so der Grüne, "ich arbeite ja teilweise schon vom Smartphone aus".
VP-Politiker Schnöll hielt dem entgegen, dass es angesichts immer mehr Singlehaushalten möglicherweise auch in eine andere Richtung gehen könnte: "Shared Living, mit nur noch dem Notwendigsten - Schlafen, die Notdurft verrichten - in den eigenen vier Wänden." Arbeiten könne man ja woanders, etwa in der Bibliothek, mit den Kindern spielen gehe auch im Park - sofern es "öffentlichen Raum gibt, der diesen Namen auch verdient". Jedenfalls sollten vor allem kleinere Wohnungen gefördert werden - "mit 60 m², so etwas suche ich gerade" - und nicht Einfamilienhäuser.
Moderator Sperl stellte irgendwann fest, dass die Diskussion sehr gesittet ablief und es kaum Dispute gab. "Streiten - das machen wir Jungen nicht mehr", antwortete Schmid. Und Schnöll fügte auch einen durchaus plausiblen Grund hinzu, warum das so sei: "Wir müssen ja vielleicht irgendwann einmal zusammenwohnen." (mapu, DER STANDARD, 22.10.2014)
Die Zukunft des Wohnens hängt weniger an Mauern und Wänden als an raumplanerischen, gesetzlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Das wurde in den Beiträgen der Experten und Praktiker beim Wohnsymposium deutlich.
Für den Architekten Walter Stelzhammer ist die Verdichtung der Stadt die Antwort auf die wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Man müsse wegkommen von der Vorstellung, dass Wohnzufriedenheit vor allem an der Wohnfläche hängt, betonte der frühere Präsident der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland. "Mein Traum ist die kleinstmögliche Wohnmaschine", sagte er und verwies auf die Arbeit eines japanischen Kollegen, der in der elterlichen Wohnung auf 32 Quadratmetern durch flexible Raumteiler und technische Ausstattung ein hochqualitatives Lebensumfeld geschaffen hat.
"Offen planen"
Und weil Häuser für viele Jahrzehnte gebaut würden und man die Trends der Zukunft nicht alle abschätzen könne, "müssen wir Gebäudestrukturen schaffen, die technisch und planerisch so offen sind, dass sie die Wohnform und Wünsche der nächsten und übernächsten Generation abdecken - damit auch die Enkelkinder gut über uns denken werden", erklärte Stelzhammer. Die große Herausforderung sei dabei, dichter zu bauen oder bestehende Stadtviertel zu verdichten, um öffentliche Ressourcen zu sparen, und dennoch die Privatsphäre des Einzelnen zu sichern. Hier biete der Ausbau der Dachböden besondere Chancen. "Wohnen am Dach soll für eine breite Bevölkerung leistbar und deshalb auch gefördert werden", sagt Stelzhammer.
Die Zukunftsvision von Jörg Wippel, Chef des Wohnbauträgers wvg, ist ein einheitliches Wohn- und Mietrecht, das nicht nur das Leben für Vermieter und Mieter einfacher machen, sondern auch den Wohnbau ankurbeln würde. Denn die jetzige rechtliche Zersplitterung sei eine Gefahr für die immer noch ausgezeichnete Wohnversorgung in Österreich sowie die soziale Durchmischung, die die Bildung von Armen- und Reichenghettos verhindere. "Wir müssen erreichen, dass Wohnungen, die die gleiche Qualität haben, ungefähr nachvollziehbar gleich viel kosten", sagte Wippel. Dafür müsse man nicht nur die bestehenden Gesetze novellieren, sondern ein umfassendes Bundeswohnrecht schaffen, das für alle Wohnbereiche gilt.
Alt-Erlaa als Vorbild
Für Isabella Jandl, Bereichsleiterin für Koordination und Beratung im Wohnservice Wien, und Gesiba-Vorstand Klaus Baringer ist die Kernfrage das Zusammenleben der Menschen. Jandl beschrieb verschiedene Modelle der Mitbestimmung der Bewohner bei der Planung, des gemeinschaftlichen Wohnens wie das Projekt "Ich-Du-Wir-Plus" in Wien-Floridsdorf, das der Vereinsamung der Bewohner entgegenwirken soll, sowie noch weiter integrierter Wohngruppen.
Für Baringer bleibt der von Harry Glück in den 1970er-Jahren für die Gesiba geplante Wohnpark Alt-Erlaa ein Modell für die Zukunft. Die Herausforderung für Bauträger sind die alternde Bevölkerung und der Wunsch der meisten Älteren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben. Dies sei realisierbar etwa durch "intensive Betreuung durch professionelle Partner in einer gemeinsamen Wohnsituation", also betreute Wohngruppen für Senioren, so Baringer.

"Häuslbauer sind effizient"

Für den Meinungsforscher Werner Beutelmeyer vom Market-Institut muss der Wohnbau auf die Stimmungen der Menschen eingehen. Derzeit herrschten viele Ängste vor, aber die Planer müssten vor allem positive Wohnträume erfüllen, und die bestünden laut Umfragen in Licht und Feuer, also Kaminen. Dabei sollte man viel genauer auf die Arbeit von Heimwerkern schauen. Beutelmeyer: "Häuslbauer sind sehr effizient, weil sie mit geringen Mitteln sehr gute Lösungen finden."
Und der Ökonom Michael Wagner-Pinter, Chef von Synthesis Forschung, sieht die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft als wichtigste Gestaltungskraft der Zukunft. "Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, Verwerfungslinien durch den Einsatz öffentlicher Mittel zu lösen", sagte Wagner-Pinter. Konflikte müssten in Zukunft "mit intelligenter Innovation in der zivilen Gesellschaft bewältigt werden. Die Fähigkeit zusammenzuleben ist der wichtigste Faktor für Frieden uns soziale Stabilität."
Die Zukunft des Wohnens in Wien liegt in den Dächern, sagen Experten wie der Architekt Walter Stelzhammer. Durch den Ausbau von Dachböden kann die Stadt umweltfreundlich verdichtet werden. (Eric Frey, DER STANDARD, 22.10.2014)


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