Freitag, 12. Juni 2015

Einmal Gemeindebau, immer Gemeindebau

Unmittelbar nach der Geburt scheinen sie alle gleich zu sein. Windel, Strampler, Bändchen mit Namen und Geburtsdatum um den Arm. Nur wenig später sind sie es nicht mehr. Bereits im Kindergartenalter entscheidet sich, inwieweit die Talente eines Kindes gefördert werden oder nicht. 98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt, sagt der Neurowissenschafter Gerald Hüther. Nach der Schule seien es nur noch zwei Prozent. Was passiert in den Jahren dazwischen, dass Genialität verkümmert - oder, anders gefragt: Was passiert nicht?
Es ist ein Teufelskreis. Eltern, die keine Arbeit haben, schicken ihre Kinder selten in den Kindergarten. 90 Prozent der Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, besuchen später laut "Bildung in Zahlen" der Statistik Austria eine Hauptschule. Von 100 Kindern, deren Eltern lediglich einen Pflichtschulabschluss haben, absolvieren nur 14 die Matura und fünf ein Hochschulstudium. Und hier schließt sich der Kreis: Denn unter den Personen mit maximal Pflichtschulabschluss ist die Arbeitslosigkeit am höchsten.
"Konzept der Gesamtschule scheitert an höherer Schicht"
Bildung ist nach wie vor vererbbar. Wer in ein kulturelles und soziales Umfeld hineingeboren wurde, kommt schwer wieder heraus. Die einen haben einen Startvorteil, die anderen nicht. Ein Beispiel: "In einem Haushalt, in dem keine Bücher stehen, haben Kinder einen geringeren Anreiz, zu lesen", sagt Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung. Seine Herkunft könne man nicht abstreifen wie eine Hose oder ein Kleid. Viele wollen es auch gar nicht - nämlich die, die aus einer höheren sozialen Schicht kommen.
Daran scheitere auch die Gesamtschule in ihrer derzeitigen Form, sagt Heinzlmaier. In ihrer Grundidee, dass alle Kinder die gleiche Schulform besuchen, hätte sie zwar den Effekt, dass Bildungsferne profitieren - hat sie aber nicht. "Weil höher Gebildete ihre Kinder abziehen." Wer es sich leisten kann, schicke seinen Nachwuchs in eine Privatschule oder -kindergarten. Wo die Kinder Geigespielen, Ballett und Reiten lernen können. Wo Exkursionen ins Museum auf dem Tagesplan stehen, Erzieherinnen fünf Sprachen sprechen. Und wo man von mehreren hundert Euro aufwärts im Monat zahlt.

Das Bestreben, in Sachen Bildung auf Gleichheit zu setzen, funktioniert laut Heinzlmaier daher nicht. Zielführender wäre es, die individuelle Förderung vom Kindergartenalter an voranzutreiben, der verpflichtende Gratis-Kindergarten sei ein erster Schritt dorthin (siehe Artikel unten). Dann könnten auch jene ohne Startvorteil aufholen, und man könnte dem Auseinanderklaffen der Schichten entgegenwirken.

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