Walter Lehner lebte 21 Jahre auf der Straße. Nun startet er einen Neuanfang.
Draußen hat es nur ein paar Grad über null. Das Fenster im Zimmer von Walter Lehner ist trotzdem offen. Pullover braucht er keinen. "Aber das ist doch gar nichts. Ich bin andere Winter gewöhnt. Außerdem brauche ich die frische Luft", sagt er.
21 Jahre lang verbrachte der gebürtige Wiener
(mit einigen Zwischenstopps) auf der Straße. Vor eineinhalb Jahren trafen der
KURIER und Caritas-Sozialarbeiterin Susanne Peter den Mann an seinem damaligen
Schlafplatz im Stadtpark. Nun präsentiert Lehner sein neues WG-Zimmer. Fünf
weitere Männer wohnen ebenfalls in der betreuten Wohnung. Sozialarbeiter sehen
regelmäßig nach dem Rechten. Walter Lehner findet das ideal. Vom Alleinleben
hat er genug. Und wenn er doch einmal seine Ruhe haben will, kann er sich ja in
sein Zimmer zurückziehen.
Viel freien
Platz gibt es in dem Zimmer nicht mehr. Der große Kasten ist bis obenhin mit
Büchern angefüllt. An der Wand hängen Plüschherzen und Plastikefeu; daneben
Poster von Tieren. Pflanzen und Tiere sind seine große Leidenschaft.
"Menschen können einen enttäuschen, Tiere nicht", sagt Lehner.Das erste Mal verschlug es ihn 1994 auf die Straße – als er seine Freundin mit einem anderen Mann erwischte. Er ging nicht mehr zur Arbeit und begann zu trinken. Irgendwann konnte er seine Miete nicht mehr zahlen. "Und auf einmal kommst du nicht mehr raus." Menschen wollte er sowieso keine mehr sehen. Deshalb zog es ihn oft zu entlegenen Schlafplätzen. Monatelang verbrachte er bei der 43er-Endstation Neuwaldegg. In der kalten Jahreszeit wählte er überdachte Plätze. Und wenn es richtig kalt war, stieg er in den Nachtbus. Manche Linien brauchen für eine Strecke etwa eine Stunde. Wenn Lehner eine ganze Runde mitmachte, konnte er ein bisschen im Warmen dösen. Danach holte er sich einen Kaffee beim Würstelstand – und bestieg den nächsten Bus. Die Tage verbrachte er oft damit, Leergut zu sammeln. Die Gegend rund um den Volksgarten oder das Bermudadreieck waren besonders ergiebig – vor allem am Wochenende. "Manche Leute lassen sogar halb volle Kisten stehen."
Sozialarbeiterin Susanne Peter traf ihn im Laufe
der Jahre immer wieder. Aber Lehner verschwand dann immer, suchte sich neue
Plätze. Durch Anrufe beim Kältetelefon wurde sie vor einiger Zeit wieder auf
ihn aufmerksam.
Und dann kam
der Punkt, an dem Walter Lehner weg wollte – weg von der Straße, weg vom
Alkohol. Vor zwei Monaten war er in Kalksburg auf Entziehungskur. In dieser
Zeit erfuhr Susanne Peter von dem leeren WG-Platz. Noch während seiner Kur
begann Lehner sein Zimmer einzurichten. Seit Anfang Februar hat er ein fixes
Dach über seinem Kopf; ein Bett, einen Kühlschrank, einen Wohnungsschlüssel.
Bis September ist Lehner wegen seiner schlechten
körperlichen Verfassung krank geschrieben. Aber er möchte nicht untätig zu
Hause sitzen. Er will dem neuen TierQuarTier einen Besuch abstatten. Vielleicht
kann er dort ehrenamtlich helfen.
Neues Notquartier in der
Grangasse eröffnet. 17 Wärmestuben haben geöffnet.
Es war ein vergleichsweise milder Winter.
Dennoch ist der Bedarf an Schlafplätzen höher gewesen als im Vorjahr. Erst
kürzlich öffnete die Caritas in der Grangasse in Wien-Rudolfsheim ein neues
Quartier, in der 80 wohnungslose Männer einen Schlafplatz bekommen. Damit
bietet die Caritas in Wien insgesamt 190 Betten an.
Das Winterpaket, das der Fonds Soziales Wien gemeinsam mit verschiedenen Nothilfeorganisation in den kalten Monaten aktiviert, ist noch bis Ende April aufrecht – danach werden die Quartiere wieder geschlossen.
400 Mahlzeiten pro TagDas Winterpaket, das der Fonds Soziales Wien gemeinsam mit verschiedenen Nothilfeorganisation in den kalten Monaten aktiviert, ist noch bis Ende April aufrecht – danach werden die Quartiere wieder geschlossen.
Aber nicht nur Übernachtungsmöglichkeiten, auch
der Bedarf an warmen Mahlzeiten und Aufenthaltsmöglichkeiten untertags steigt.
Derzeit werden in der Gruft täglich rund 400 Mahlzeiten ausgegeben. Doppelt so
viele wie noch vor zehn Jahren.
Dazu kommen 17 Wärmestuben, in denen
wohnungslose Menschen tagsüber zu einem Tee und einer Partie Jolly oder einem
Gespräch kommen. „Die Situation wird schwieriger. Der Druck auf
obdachlose Menschen steigt. Unser Ziel ist es, trotzdem zu verhindern, dass
Menschen auf der Straße erfrieren“, sagt Caritas-Generalsekretär Klaus
Schwertner. Im Idealfall wird den Menschen geholfen, wieder auf eigenen Beinen
stehen zu können.
Schwertner: „Vor Kurzem bekam ich mit, dass ein
Mann, der lange Zeit auf einer Parkbank vor dem AKH nächtigte,
endlich wieder in eine Wohnung ziehen konnte. Vor wenigen Tagen ist der
Mann gestorben. Aber es war schön zu wissen, dass er in seinen eigenen vier
Wänden sterben konnte – und nicht einfach so auf der Parkbank.“
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