Montag, 23. März 2015

Steuergeld und Ehre: Wien ist anders

Polit-Kommunikation. Die Stadt Wien ist der größte Einzelwerber mit Steuergeld; 41,5 Millionen gab sie 2014 aus. Der Großteil landete bei jenen drei Boulevardblättern, die der Presserat am häufigsten verurteilt.

Die Stadt Wien hält ihre Bürger offenbar für einfältig. Dass es an Marktständen frische Ware gibt, muss der Leserschaft des Boulevards seitenweise klargemacht werden. "Unsere Märkte, unsere Stärke" heißt eine Kampagne mit der sensationellen Mitteilung: "Regionale und saisonale Lebensmittel gibt’s hier direkt vom Feld für den Teller."
Ähnlich heiße Informationen gibt es über die städtischen Parkanlagen ("Miteinander spielen, sporteln, reden") oder über die "fliegenden Klassenzimmer – innovative Module in Holzbauweise machen Wiens Schulen größer."
Letzteres soll die Tatsache behübschen, dass an vielen Schulen Platznot herrscht, nachdem die Stadt bei Neubauten und Renovierungen jahrelang säumig war.
Diese und ähnliche Wohlfühl-Inserate erscheinen vor allem in der "Krone" und in den Gratiszeitungen "Heute" und "Österreich".
Wie viel Steuergeld wo landet, verraten die laut Medientransparenzgesetz veröffentlichten Daten der Medienbehörde RTR.

"Wir machen, was wir wollen"

Die öffentliche Hand gab im Vorjahr insgesamt 192 Millionen Euro für Inserate und Werbekampagnen aus. Gegenüber dem Nationalratswahljahr 2013 war das ein leichter Rückgang. Damals warben Regierung, Länder, öffentliche Stellen und staatsnahe Unternehmen um 201 Millionen Euro.
Größter Einzelwerber war auch 2014 die Stadt Wien mit den ihr nahestehenden Beteiligungen. 41,5 Millionen Euro an Werbeschaltungen meldete Wien der Medienbehörde. Der Großteil der von der öffentlichen Hand eingesetzten Werbegelder ging erneut an "Krone", "Heute", "Österreich". Sie verbuchten über 50 Millionen Euro Einnahmen, mehr als ein Viertel aller Ausgaben öffentlicher Stellen.
Die "Krone" erhielt rund 22,5 Millionen aus öffentlichen Werbetöpfen, "Heute" 14,5 Millionen, "Österreich" 13,7 Millionen Euro.
Die teure Wiener Werbestrategie sorgte vergangene Woche für einen heftigen Wortwechsel zwischen Parteifreunden. Nachdem Kanzler und SP-Chef Werner Faymann zu mehr Sparsamkeit aufgerufen hatte, richtete ihm Wiens Bürgermeister Michael Häupl öffentlich aus: "Er macht, was er will, wir machen, was wir wollen." Böser Nachsatz Häupls: Er vertraue prinzipiell Faymanns Ratschlägen in Sachen Inserate, "weil davon versteht er was" – ein derber Hinweis auf die Probleme, die auch Faymann mit seiner Inseratenpolitik in der Vergangenheit hatte.

Spitzenreiter bei Verstößen

Die drei Boulevardblätter, die am meisten Steuergeld bekommen, sind gleichzeitig jene Tageszeitungen, die 2014 am häufigsten vom Presserat verurteilt wurden. Diese Einrichtung der journalistischen Selbstkontrolle stellt nach einem ausführlichen Verfahren Verstöße gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse fest.
Laut Fallstatistik gab es bei der "Krone" 16 erwiesene Verstöße, bei "Österreich" elf, bei "Heute" fünf (OÖNachrichten: null).
Keine der drei Boulevardzeitungen unterwirft sich dem Ehrenkodex. Er gibt Normen für die journalistische Arbeit vor, etwa für die Fairness der Berichterstattung, den Persönlichkeitsschutz und die Methoden der Recherche.
Dass jene, die das meiste Steuergeld kriegen, diese Richtlinien nicht anerkennen, ist für den Geschäftsführer des Presserates unvereinbar. Alexander Warzilek ruft die Politiker zur Haltungsänderung auf: "Ausschließlich Medien, die den Ehrenkodex ernst nehmen, sollten öffentliche Inserate bekommen."


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen