Bei
seiner Kritik an den vielen Bundesvorgaben, unter denen die Wirte in Österreich
leiden, hatte Landeshauptmann Erwin Pröll in der ORF-Pressestunde vor kurzem
auch die vorgeschriebene Barrierefreiheit genannt. Darauf gab es heftige Kritik
von Behindertenverbänden. Seither ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit
bekannt. Was aber steht hinter dieser Vorgabe?
Grundlage ist das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz
(BGStG), das Anfang 2006 in Kraft trat und dessen Übergangsfrist zum
Jahreswechsel ausläuft. Bis dahin haben Betriebe also noch Zeit, ihre Lokale
und Geschäfte behindertengerecht umzugestalten. Ansonsten drohen saftige
Strafen (siehe Artikel unten).
Sauer stößt vielen Unternehmern dabei eine
Spezialregelung auf. „Wir haben kein Verständnis dafür, dass öffentliche
Gebäude im Gegensatz zu den Betriebsgebäuden bis Ende 2019 vom Geltungsbereich
der neuen Bestimmungen ausgenommen sind“, sagt Sonja Zwazl (VP), Präsidentin
der Wirtschaftskammer NÖ. Und: „De facto stellt dies den Sinn des Gesetzes
infrage, da es bei Amtswegen ja kaum Ausweichmöglichkeiten für behinderte
Mitbürger gibt.“
„De facto stellt dies den Sinn
des Gesetzes infrage, da es bei Amtswegen ja kaum Ausweichmöglichkeiten für
behinderte Mitbürger gibt.“
Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer NÖ, zur Umbau-Ausnahme bei Gebäuden des Bundes
Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer NÖ, zur Umbau-Ausnahme bei Gebäuden des Bundes
Verärgert
ist auch Michael Svoboda, Präsident des Behindertenverbandes KOBV Wien, NÖ und
Burgenland: „Es ist nicht einzusehen, dass der Privatwirtschaft die Umsetzung
mit Ende 2015 zugemutet wird und sich die öffentliche Hand aus der
Verantwortung nimmt und sich eine längere Frist gibt.“
„Die Regelung kennt man schon seit zehn Jahren“, entgegnet Norbert Schnurrer, Sprecher von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SP). Die Betriebe hätten schon bislang genug Zeit für eine Umstellung gehabt.
„Die Regelung kennt man schon seit zehn Jahren“, entgegnet Norbert Schnurrer, Sprecher von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SP). Die Betriebe hätten schon bislang genug Zeit für eine Umstellung gehabt.
Warum
aber hat sich dann der Bund eine Ausnahmeregelung gegönnt? „Es stehen relativ
viele Gebäude unter Denkmalschutz, daher hat man 2011 diese Fristverlängerung
beschlossen“, sagt Schnurrer. In den allermeisten Bereichen des Bundes, wie
etwa auf Finanzämtern, wo Publikumsverkehr herrsche, habe man die
Barrierefreiheit ohnedies schon umgesetzt.
Sechs Länder ohne gesetzliche
Abbaupläne
Doch
das BGStG findet im öffentlichen Bereich – grob gesagt – nur Anwendung auf die
Tätigkeiten des Bundes und seiner Unternehmungen. In den Ländern und deren
Gemeinden ticken die Uhren anders: In Wien, Tirol und der Steiermark gibt es
aufgrund von Landesgesetzen zwar langfristige Etappenpläne zum Abbau von
Barrieren. In den übrigen Bundesländern sucht man nach rechtlich verbindlichen
Vorgaben vergebens.
Behindertenvertreter
Michael Svoboda ist darüber – ob mit oder ohne Zeitplan – nicht glücklich,
„weil man von den Ländern und Gemeinden eine gewisse Vorbildwirkung erwarten
könnte.“ Er wisse aber, dass in den Ländern und Gemeinden sehr viel in Richtung
Barrierefreiheit passiert oder geplant sei.
Auch
NÖ-Gleichbehandlungsbeauftragte Christine Rosenbach vermisst gesetzlich
vorgegebene Etappenpläne für die Nachjustierung von öffentlichen Gebäuden im
Land. Viele Dienststellen wie Bezirkshauptmannschaften, Pensionistenheime oder
Kindergärten seien auch so schon nachgerüstet worden.
Über 1.000 Immobilien zu durchforsten
Warum
gibt es also im NÖ Antidiskriminierungsgesetz keinen Umrüstplan für Gebäude der
öffentlichen Hand? Es bleibe Aufgabe in den einzelnen Materiengesetzen, gemäß
den Antidiskriminierungsbestimmungen Regelungen zu treffen, heißt es aus dem
Büro von Soziallandesrat Maurice Androsch (SP). „Für Landesbauten ist der
Landeshauptmann selbst zuständig, sofern diese Aufgabe keinem anderen Mitglied
der Landesregierung zugewiesen wird“, sagt Androsch.
„Der
Landeshauptmann hat schon lange angeordnet, dass Barrierefreiheit in
Landesgebäuden gewährleistet sein muss und es gibt einen klaren Ausbauplan
dafür“, heißt es aus dem Büro von Erwin Pröll. Dafür brauche es kein Gesetz.
Schon jetzt wären 85 Prozent der betroffenen rund 240 Gebäude barrierefrei, bis
2020 solle der Rest folgen.
Ohne
verbindliche Landesregelung sind allerdings die Gemeinde-Gebäude in NÖ an
keinen Zeitplan gebunden. Die Kommunen bestimmen somit selbst, ob und wann was
umgebaut wird.
In
Wien wurde hingegen 2012 im Wiener Antidiskriminierungsgesetz ein 30-jähriger
Etappenplan aufgesetzt. „Land und Gemeinde Wien verpflichten sich zum Abbau von
Barrieren bis Ende 2042“, erklärt An dreas Meinhold von der Wiener
Baudirektion.
Über
1.000 Immobilien müssten durchforstet werden, wobei nicht überall
Parteienverkehr herrsche. Wichtige Dinge wie Aufzüge würden rasch umgesetzt,
die übrigen Sachen erst später, weiß Meinhold. Auch müssten bestimmte Objekte
stillgelegt oder verkauft und Institutionen umgesiedelt werden, sollten
Umbauten nicht machbar sein.
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