Montag, 3. März 2014

Porträt: „Als Obdachloser wirst du entmündigt”

Porträt: „Als Obdachloser wirst du entmündigt”

By  on 4. März 2014

Ein Wiener über das teure Leben als Obdachloser, die Szene und über den problematischen Umgang mit Wohnungslosen im Sozialsystem
Sie sind ein Teil jeder Stadt und trotzdem für viele Unbekannte: Obdachlose, die auf der Straße oder in Notquartieren schlafen. Harald W. (Name von der Redaktion geändert), ein Wiener Mitte 40, ist einer von ihnen. Beim Gespräch mit mokant.at gibt er Einblicke in die Lebensrealität und die Szene der Wiener Obdachlosen. Er erzählt auch von den Hürden und Schikanen, die Wohnungslosen aus seiner Sicht von sozialen Einrichtungen in den Weg gelegt werden. Aus Angst, dass ihm seine Kritik Schwierigkeiten bereiten könnten, möchte der Wiener anonym bleiben.
„Ich hab es immer auf mich zukommen sehen“
Das erste Mal wurde Harald W. mit 20 Jahren obdachlos. Freunde und Familie versuchten ihn zunächst aufzufangen, schlussendlich landete er trotzdem auf der Straße. Immer wieder fand er aus der Obdachlosigkeit heraus und rutschte dann doch wieder ab. Dabei verlief der Weg in die Obdachlosigkeit immer nach dem gleichen Muster: Zuerst Jobverlust, dann konnte die Miete nicht mehr bezahlt werden und schließlich die Exekution. Auf die Frage, wie er sich dabei gefühlt hat, meint er: „Ich hab das immer auf mich zukommen sehen und war dadurch irgendwie vorbereitet. Dann ist es nicht mehr so schlimm, als wie wenn es Einen eiskalt erwischt“.
„Wo schlaf ich jetzt?“
 
Jeden Tag stellt sich Harald W. diese Frage aufs Neue. Wenn man von der Polizei beim Schlafen auf einem öffentlichen Platz erwischt wird, wird man sofort vertrieben. Obdachlosigkeit soll in der Gesellschaft nicht zu stark wahrnehmbar sein, meint HaraldW.: „Manchmal drücken sie ein Auge zu, aber meistens nicht, weil du bist ja sonst zu sichtbar“.
Es gibt aber auch noch andere Gefahrenquellen auf der Straße, nämlich Diebstahl unter Obdachlosen: „Man beklaut sich mehr oder weniger gegenseitig“, erzählt Harald W. Manchmal würden Obdachlose aber auch von Jugendlichen bestohlen oder attackiert.  Auch in den Obdachlosenquartieren ist man nicht vor  Diebstahl nicht geschützt, erklärt der Wiener.
Zudem seien dieses manchmal so überfüllt, dass man keinen Schlaf oder überhaupt keinen Platz zum übernachten finden könne. Auch im Winter bei minus zehn Grad ist es daher keine Seltenheit, dass Wohnungslose auf der Straße schlafen. „Die ersten fünf Minuten im und die ersten fünf Minuten aus dem Schlafsack sind die schlimmsten, weil du die volle Kälte abkriegst“, beschreibt Harald W. seine Übernachtungen auf der Straße im Winter. Wenn man auf der Straße lebt, ist man auf die Unterstützung anderer Obdachlose angewiesen, denn hier gelten eigene Gesetze, erzählt er.
Die „Giftler“, die „Alkis“ und die Spieler
Die meisten der Obdachlosen gehören laut Harald W. einer dieser Gruppen an. Es gibt aber noch eine vierte Gruppe, der sich auch Harald W. zuzählt: „Die nirgendwo reinpassen, weil sie einfach nicht mitmachen und beim Alkohol nur ab und zu mal zwei Bierchen trinken“. Man bewegt sich meistens innerhalb der eigenen Gruppe, meint Harald W. Dort gibt es starken Zusammenhalt und enge Freundschaften, aber auch Konflikte bis hin zu körperlicher Gewalt. Migranten würden von den einheimischen Obdachlosen meistens ausgeschlossen werden. Darin sieht Harald W. eine starke Parallele zur nicht-obdachlosen Gesellschaft: „Hier findest du hauptsächlich Rassisten, das bildet sich automatisch raus, weil jeder um sich selber kämpfen muss und schnell ein Schuldiger gesucht wird“. Er kennt aber auch andere Situationen: Jemand, der fließend deutsch spricht, werde nicht als Migrant wahrgenommen und im Alkoholrausch fänden Menschen aus allen Nationen schnell zueinander.
Als Obdachloser lebt man teuer
Das Wichtigste bei einem Leben auf der Straße sei warme Kleidung, zum Schutz vor der Kälte werden mehrere Kleidungsstücke übereinander getragen. In der Gruft und anderen Einrichtungen bekomme man zwar Kleidungsspenden, aber diese reichen oft nicht aus, erklärt Harald W. Die meisten Dinge des täglichen Gebrauchs müsse man selbst kaufen. Vor allem im Winter wird das teuer: „Du musst dir dann überlegen, wovon kann ich zwei kaufen, damit es die Wirkung von Einem hat“. Wohnungslose benötigen außerdem Matte, Schlafsack, Geschirr und Gaskocher. Gas sei besonders teuer, denn man verbrauche in etwa drei Gaskartuschen pro Woche. Fast alle Obdachlosen besitzen laut Harald W. auch ein Handy, weil das Arbeitsmarktservice von ihnen verlangt immer erreichbar zu sein.
Neben den Grundbedürfnissen benötigen viele zusätzlich Geld, um ihre Sucht zu finanzieren, erzählt er weiter. Da die meisten Obdachlosen laut Harald W. alleinstehend sind und die Partnersuche gerade für Wohnungslose schwierig ist, gehen viele gelegentlich ins Bordell. „Ums Geld dreht sich nicht nur in der normalen Gesellschaft, sondern auch bei den Obdachlosen alles”, meint er dazu. Die meisten Obdachlosen haben einen Anspruch auf Mindestsicherung oder Arbeitslosengeld. Vorausgesetzt sie sind österreichische Staatsbürger oder haben im Land gearbeitet. Obdachlose Migranten aus Drittländern bekommen diese Unterstützung nicht. “Für sie ist es noch viel schwieriger”, meint auch Harald W. dazu.
Missstände in der Gruft, oder doch Missverständnisse?
„Entmündigung und soziale Demütigung“ sind die Begriffe, die Harald W. einfallen, während er über den Umgang mit Obdachlosen im Sozialsystem sinniert. Zu Einrichtungen, wie der „Gruft“ hat er ein gespaltenes Verhältnis. So kritisiert Harald W., dass man trotz Umbau der Einrichtung nach wie vor am Boden schlafen müsse. Die Sitzplätze für die Betroffenen seien weniger geworden. Die Sozialarbeiter hätten hingegen eine für die Obdachlosen nicht zugängliche Etage mit Terrasse und Grillplatz bekommen. „Also, für wen wurde es gebaut?“, fragt sich Harald W. Der Sprecher der Gruft wehrt sich im mokant.at Gespräch gegen die Vorwürfe. Das Nachtquartier befinde sich im Gegensatz zur neu gebauten Tagesstätte noch im alten Gebäude. Eine Sanierung des Nachtquartiers stehe jedoch bevor und dann sollen auch Stockbetten zur Verfügung gestellt werden. Durch das neue Tageszentrum gebe es um vier Sitzplätze mehr als vorher. Dass ein eigener Bereich mit Terasse für die Mitarbeiter mit Teragebaut wurde, bestätigt der Sprecher. Früher hätten Einzelgespräche und Teamsitzungen in einem einzigen Raum im Notquartier stattfinden müssen. Nun gibt es dafür eigene Räumlichkeiten. Von einem eigenen Grillplatz ist ihm jedoch nichts bekannt.
Harald W. erzählt uns auch, dass in der Gruft bereits ab 22.00 Uhr Nachtruhe herrscht und dann weder gesprochen, noch geraucht oder getrunken werden darf. „Wenn du in der Gruft bist, wirst du entmündigt“, fasst er die Situation zusammen. Es bedarf gewisser Grundregeln, damit ein gutes Zusammenleben funktioniert, kontert der Sprecher der Gruft. Das Nachtquartier diene ja dazu, dass die Obdachlosen in Ruhe schlafen könnten, und bei über 90 Menschen in einem Raum, müsse man ein wenig aufeinander Rücksicht nehmen.
Wer bekommt die Spenden?
Harald W. äußert auch den Verdacht, dass nicht alle Spenden bei den Obdachlosen ankommen. Auf der Außentür der Notunterkunft der Gruft sei ein Schild mit der Aufschrift „Spenden bitte gegenüber abgeben“ angebracht. Die Spenden würden also nicht direkt den Betroffenen übergeben, sondern zunächst an einer anderen Stelle des Gebäudekomplexes der Gruft. Häufig würden auch Zigarettenpackungen gespendet, aber die Obdachlosen bekämen davon meist nur zwei, oder drei. „Was mit dem Rest passiert, wissen wir nicht“, meint er. Diesen Vorwurf weist die Gruft entschieden zurück. Die Spenden verwende man für die Arbeit mit Obdachlosen auf der Straße. Vor allem Zigarettenspenden eigneten sich gut, um mit Obdachlosen auf der Straße Kontakt aufzubauen.
„Vier Jahre auf eine Wohnung warten“
Auf die Frage, warum Obdachlose nicht sofort eine Sozialwohnung zugeteilt bekommen, bevor sie in die Obdachlosigkeit abrutschen, muss Harald W. lachen. Man hätte zwar einen Anspruch, aber eine Wohnung bekäme man so gut wie nie „Es heißt Sie sind jetzt zuerst einmal obdachlos und schlafen auf der Straße oder in der Notunterkunft.“ Danach bekomme man eine Übergangswohnung, für die man zahlen müsse. Übergangswohnungen bieten Einzelzimmer für Obdachlose und sind die letzte Station, bevor sie wieder in eine normale Wohnung ziehen können. Zwischen 187 und 265 Euro müssen die Obdachlosen für diese Übergangswohnungen bezahlen, wie auf der Homepage des Fond Soziales Wien nachzulesen ist. Dann bekomme man „irgendwann einmal“ eine reguläre Wohnung, erzählt Harald W. weiter. Allerdings kann das sehr lange dauern: „Ich kenne Fälle, die warten vier Jahre und länger auf eine Wohnung“. Harald W. selbst, wohnt gerade in einer Übergangswohnung und schläft in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer. Auch dort müssen sich Obdachlose an vorgegebene Regeln halten. Außenstehende Personen dürfen nicht mit ins eigene Zimmer genommen werden: „Ich habe ja jetzt wieder eine Freundin, aber eine gemeinsame Nacht gibt’s da schon mal nicht“, ärgert sich der Wiener.
„Ein Mensch vierter Klasse“
Harald W. findet, dass es einem das System in vielen Bereichen des Lebens nicht leicht macht. Eine Arbeit zu bekommen sei schwer, im Krankenhaus werde man behandelt, „wie ein Mensch vierter Klasse“. Obdachlose werden seiner Erfahrung nach auch bei schwerwiegenden Erkrankungen nur selten über Nacht im Krankenhaus behalten. Er erzählt von einem Freund, der bei einer schweren Lungenentzündung eine Infusion erhalten hat und dann sofort weggeschickt wurde. „Die Menschenrechte sind als Obdachloser nicht mehr vorhanden“, fasst er die Situation zusammen. Trotzdem schaffen es viele wieder zurück in ein Leben mit Wohnung und Arbeit, wie es auch Harald W. immer wieder gelungen ist. Er ist gerade auf Jobsuche und möchte so schnell wie möglich mit seiner Freundin eine eigene Wohnung finden.

Astrid Aringer ist als Redakteurin für mokant.at tätig. Kontakt: astrid.aringer[at]mokant.at

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