Montag, 20. Juli 2015

Aus für heimliche Steuererhöhung

Kalte Progression / Bild: (C) DiePresse 
Die ÖVP will die kalte Progression abschaffen. Die SPÖ ist gesprächsbereit. Über das Wie muss aber noch verhandelt werden. Ebenso über die Kosten von mindestens 400 Millionen Euro.
Wien. In der Schweiz wurde sie längst abgeschafft, in Deutschland wird gerade darüber diskutiert – und bald soll es auch in Österreich so weit sein. Zumindest, wenn es nach der ÖVP geht: Finanzminister Hans Jörg Schelling fordert das Ende der sogenannten kalten Progression. Am Montag kündigte er zusammen mit Parteichef Reinhold Mitterlehner einen Automatismus an, der diesen Effekt in Zukunft vermeiden soll.
Damit soll also die jährliche schleichende Steuererhöhung Geschichte sein: Sie entstand bzw. entsteht dadurch, dass die Löhne zwar steigen – die für die Lohnsteuer maßgebliche Einkommensgrenze aber gleich bleibt. Damit rücken Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen vor bzw. es wird innerhalb der Tarifstufen mehr Steuer fällig. Das Ergebnis: Das Realeinkommen sinkt.

Dauerhafte“ Entlastung von 5,2 Mrd.

Das will die ÖVP in Zukunft also verhindern. Vor allem soll das zusätzliche Geld, das die Arbeitnehmer in Österreich ab dem nächsten Jahr durch die Steuerreform zur Verfügung haben, nicht sofort wieder von der kalten Progression vernichtet werden. Durch den vorgesehenen Automatismus würden die Entlastungen der Steuerreform „dauerhaft“ in der Höhe von 5,2 Milliarden Euro im Jahr erhalten bleiben, so Schelling.
Wie dies im Detail funktionieren soll, steht allerdings noch nicht fest. „Jeder Plan beginnt mit einem Ziel“, sagte Schelling. Sein Ziel wäre eben: die Umsetzung der Regelung ab 2017. Dafür will Schelling bis Herbst ein Modell erarbeiten lassen. Bis Ende des Jahres müsste man mit der SPÖ darüber verhandeln.

Gewerkschaft stellt Bedingungen

Allerdings müsste sich die Regierung nicht nur über die Abschaffung der kalten Progression einig werden, sondern sich auch überlegen, wie die Entlastung gegenfinanziert werden soll. Schelling rechnet damit, dass die Maßnahme 400 Millionen Euro im Jahr kosten wird – mindestens. Derzeit würden verschiedene Varianten überprüft und durchgerechnet. Man könnte die Abgeltung jährlich vornehmen oder alle paar Jahre ab einer bestimmten Inflationsrate.
Und was sagt der Koalitionspartner dazu? Bei der SPÖ und bei der Gewerkschaft findet Schelling offene Türen. In der Kanzlerpartei wird ausdrücklich auf den ÖGB verwiesen, der mit der Arbeiterkammer eine entsprechende Forderung schon im Papier für die Steuerreform eingebracht hat.
Allerdings gibt es dabei, wie der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz im Gespräch mit der „Presse“ unterstreicht, eine entscheidende Bedingung: Es soll keinen Automatismus bei der Abgeltung der kalten Progression geben. Der Gewerkschaftsbund bleibt bei seinem Vorschlag, dass folgende Regelung fixiert wird: Wenn die Inflation über mehrere Jahre ein bestimmtes Niveau erreicht, soll eine steuerliche Abgeltung erfolgen.
Wie die Politik das tut, wie das verteilt wird, ist Sache der Politik“, betont Achitz. Es müsse ein Handlungsspielraum für die Politik erhalten bleiben. Die Frage, ab welcher Inflationsrate diese Abgeltung erfolgen müsse, sei dann Angelegenheit von Verhandlungen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid schlug einen Richtwert von fünf Prozent vor.
Auch Margit Schratzenstaller vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) begrüßt jedenfalls den Vorschlag des Finanzministers. „Das ist ein wichtiger Punkt, weil die kalte Progression am real verfügbaren Einkommen knabbert.“ Vor allem untere und mittlere Einkommen würden belastet. „Das Problem hat mit der Steuerreform an Dringlichkeit gewonnen, weil sich die Progressivität des Einkommensteuertarifs über weite Bereiche erhöht hat.“


Flexibilisierung der Arbeitszeit

Die ÖVP sprach am Montag außerdem (erneut) eine Forderung aus, auf die der Koalitionspartner weniger erfreut reagierte: die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Mitterlehner will den Druck auf die SPÖ erhöhen, um die Lockerung der Arbeitszeiten schneller voranzutreiben. Er fügte allerdings rasch hinzu: „Es geht uns nicht darum, dass jeder jeden Tag zwölf Stunden arbeiten muss.“
Der ÖGB hält wiederum an der Forderung fest, dass es für alle Arbeitnehmer nach 25 Dienstjahren sechs Wochen Urlaub geben müsse, auch wenn die Dienstzeit nicht beim selben Dienstgeber absolviert wurde. Daneben bleibt die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit gerade angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ein Thema.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)

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