Kalte
Progression / Bild: (C) DiePresse
Die
ÖVP will die kalte Progression abschaffen. Die SPÖ ist
gesprächsbereit. Über das Wie muss aber noch verhandelt werden.
Ebenso über die Kosten von mindestens 400 Millionen Euro.
Wien.
In der Schweiz wurde sie längst abgeschafft, in Deutschland wird
gerade darüber diskutiert – und bald soll es auch in Österreich
so weit sein. Zumindest, wenn es nach der ÖVP geht: Finanzminister
Hans Jörg Schelling fordert das Ende der sogenannten kalten
Progression. Am Montag kündigte er zusammen mit Parteichef Reinhold
Mitterlehner einen Automatismus an, der diesen Effekt in Zukunft
vermeiden soll.
Damit
soll also die jährliche schleichende Steuererhöhung Geschichte
sein: Sie entstand bzw. entsteht dadurch, dass die Löhne zwar
steigen – die für die Lohnsteuer maßgebliche Einkommensgrenze
aber gleich bleibt. Damit rücken Arbeitnehmer in höhere
Steuerklassen vor bzw. es wird innerhalb der Tarifstufen mehr Steuer
fällig. Das Ergebnis: Das Realeinkommen sinkt.
„Dauerhafte“ Entlastung von 5,2 Mrd.
Das
will die ÖVP in Zukunft also verhindern. Vor allem soll das
zusätzliche Geld, das die Arbeitnehmer in Österreich ab dem
nächsten Jahr durch die Steuerreform zur Verfügung haben, nicht
sofort wieder von der kalten Progression vernichtet werden. Durch den
vorgesehenen Automatismus würden die Entlastungen der Steuerreform
„dauerhaft“ in der Höhe von 5,2 Milliarden Euro im Jahr erhalten
bleiben, so Schelling.
Wie
dies im Detail funktionieren soll, steht allerdings noch nicht fest.
„Jeder Plan beginnt mit einem Ziel“, sagte Schelling. Sein Ziel
wäre eben: die Umsetzung der Regelung ab 2017. Dafür will Schelling
bis Herbst ein Modell erarbeiten lassen. Bis Ende des Jahres müsste
man mit der SPÖ darüber verhandeln.
Gewerkschaft stellt Bedingungen
Allerdings
müsste sich die Regierung nicht nur über die Abschaffung der kalten
Progression einig werden, sondern sich auch überlegen, wie die
Entlastung gegenfinanziert werden soll. Schelling rechnet damit, dass
die Maßnahme 400 Millionen Euro im Jahr kosten wird – mindestens.
Derzeit würden verschiedene Varianten überprüft und
durchgerechnet. Man könnte die Abgeltung jährlich vornehmen oder
alle paar Jahre ab einer bestimmten Inflationsrate.
Und
was sagt der Koalitionspartner dazu? Bei der SPÖ und bei der
Gewerkschaft findet Schelling offene Türen. In der Kanzlerpartei
wird ausdrücklich auf den ÖGB verwiesen, der mit der Arbeiterkammer
eine entsprechende Forderung schon im Papier für die Steuerreform
eingebracht hat.
Allerdings
gibt es dabei, wie der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz im
Gespräch mit der „Presse“ unterstreicht, eine entscheidende
Bedingung: Es soll keinen Automatismus bei der Abgeltung der kalten
Progression geben. Der Gewerkschaftsbund bleibt bei seinem Vorschlag,
dass folgende Regelung fixiert wird: Wenn die Inflation über mehrere
Jahre ein bestimmtes Niveau erreicht, soll eine steuerliche Abgeltung
erfolgen.
„Wie
die Politik das tut, wie das verteilt wird, ist Sache der Politik“,
betont Achitz. Es müsse ein Handlungsspielraum für die Politik
erhalten bleiben. Die Frage, ab welcher Inflationsrate diese
Abgeltung erfolgen müsse, sei dann Angelegenheit von Verhandlungen.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid schlug einen Richtwert
von fünf Prozent vor.
Auch
Margit Schratzenstaller vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo)
begrüßt jedenfalls den Vorschlag des Finanzministers. „Das ist
ein wichtiger Punkt, weil die kalte Progression am real verfügbaren
Einkommen knabbert.“ Vor allem untere und mittlere Einkommen würden
belastet. „Das Problem hat mit der Steuerreform an Dringlichkeit
gewonnen, weil sich die Progressivität des Einkommensteuertarifs
über weite Bereiche erhöht hat.“
Flexibilisierung der Arbeitszeit
Die
ÖVP sprach am Montag außerdem (erneut) eine Forderung aus, auf die
der Koalitionspartner weniger erfreut reagierte: die Flexibilisierung
der Arbeitszeiten. Mitterlehner will den Druck auf die SPÖ erhöhen,
um die Lockerung der Arbeitszeiten schneller voranzutreiben. Er fügte
allerdings rasch hinzu: „Es geht uns nicht darum, dass jeder jeden
Tag zwölf Stunden arbeiten muss.“
Der
ÖGB hält wiederum an der Forderung fest, dass es für alle
Arbeitnehmer nach 25 Dienstjahren sechs Wochen Urlaub geben müsse,
auch wenn die Dienstzeit nicht beim selben Dienstgeber absolviert
wurde. Daneben bleibt die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit
gerade angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ein Thema.
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)
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