Wien. 100 Flüchtlinge, die mitten in Wien dehydriert aus Pkw und Minivans stolpern; 25 Menschen, die Schlepper gar nicht erst in die Stadt karren, sondern gleich auf der Autobahn S1 aussetzen; 56 Menschen, die ein einziger Schlepper halbbewusstlos über die burgenländische Grenze bringt - drei Ausschnitte des Asyl-Dramas im Zeitraum von nur vier Tagen. Die Schlepper steigen verstärkt um von auffälligen Kastenwagen auf Pkw mit unauffälligen Kennzeichen.
„Dass Menschen so offen im Stadtgebiet ausgesetzt werden, das gab es bisher noch nicht und erhöht natürlich die Sichtbarkeit", sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Sichtbarer wird zudem der Asylnotstand in Traiskirchen. Im Erstaufnahmezentrum wurde die absolut kritische 4000er Marke gerissen. Aktuell warten 4300 Menschen auf ihr Asylverfahren, 2000 sind ohne Bett.
Pro Kopf vor Deutschland
Über Monate kolportierte das Ministerium die Zahl von 70.000 Flüchtlingen, die es heuer erwartet. Nun haben die Experten ihre Prognosen für die Antragszahl deutlich angehoben - auf über 80.000. Diese Zahl nannte Peter Webinger, Gruppenleiter für Asyl und Migration bei einem Vortrag im Innenministerium. Später war in den Vorträgen von 85.000 Menschen die Rede.
Im
Vergleich zu 2014 ist das eine Verdreifachung. Damals gab es 28.000
Anträge. Pro Kopf ist Österreich damit in Europa klares Zielland
Nummer eins. Mehr als 60 Prozent der Asylwerber stellen ihren Antrag
in nur vier Ländern: Deutschland, Österreich, Schweden und Ungarn.
Deutschland dürfte seine Prognosen von 450.000 Flüchtlingen - eine
Verdoppelung zu 2014 - ebenfalls bald anheben. Pro 1000 Einwohner
liegt Deutschland aber klar hinter Österreich. Auch die Schweden hat
Österreich bereits überholt, weil dort die Antragszahlen stagnieren
(siehe Grafik). Die Zahlen zu Ungarn verzerren die wahre Situation.
Die meisten ziehen weiter - vorrangig ins Nachbarland Österreich.
Das
Innenministerium, das wiederholt von einem Asylnotstand sprach, sieht
auch einen Solidaritätsnotstand in Europa. Denn laut Webinger nehmen
10 von 28 EU-Mitgliedsländern 92 Prozent der Flüchtlinge auf, "das
heißt, 18 Länder nur 8 Prozent". Er zitiert Portugal mit heuer
455 Asylanträgen und die Slowakei mit 300. Das sind weniger als die
500, die das Nachbarland Slowakei aus Traiskirchen solidarisch
übernimmt (mit einem positiven Asylbescheid kehren die Menschen
wieder nach Österreich zurück).
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