Wien ist „Welthauptstadt der Spione“
„Wenn etwas Seltsames
passiert, wenn etwas nicht erklärt werden kann und wenn diplomatische
Verwicklungen und Spionage im Spiel sind, dann heißt es immer, das sei der
österreichische Weg“, so Emil Bobi gegenüber wien.ORF.at. Der Journalist sorgt
derzeit mit seinem Buch „Die Schattenstadt“ für Aufsehen. Darin geht er der
Frage nach, wie Wien - bereits lange vor 9/11 und dem damit verbundenen
Aufschwung der Geheimdienste - zur internationalen Agentenhochburg wurde.
Es kommen ehemalige Polizisten,
Politiker, aber auch Kabarettisten und Psychoanalytiker zu Wort. Der Grazer
Spionageforscher Siegfried Beer behauptet etwa, dass in Wien mindestens 7.000
Personen damit beauftragt sind, geheime Informationen zu beschaffen und zu
übermitteln. Offiziell würden sie in den Botschaften und internationalen
Körperschaften arbeiten. Bobi: „Die Agenten stellen aber keine Gefahr für Wien
da. Es ist mehr als Fremdenverkehrsphänomen zu verstehen.“
Bobi: „Wiener sind Naturagenten“
Die österreichische
Staatspolizei hält in ihrem Verfassungsschutzbericht 2013 fest: "Auch nach
dem Kalten Krieg blieb Österreich ein zentrales Land in der Welt der
Nachrichtendienste.“ Für Bobi ist jedoch ein weit älteres Phänomen dafür
verantwortlich, warum Wien für Agenten attraktiv ist: „Der Grund ist, weil der
sogenannte echte Wiener im privaten Bereich das gleiche macht, was
Geheimdienste machen.“
Für Bobi ist der Wiener
ein Naturagent, der in einer Volkskultur der Spionage aufgewachsen ist. „Das
hat seinen Ursprung auf den Marktplätzen der Vormoderne, wo 40 Fremdsprachen
auf der Straße zu hören waren. Der Wiener war immer damit beschäftigt, Fremde
kennenzulernen und abzuwägen, was sie wollen. Er hat eine hohe Menschenkenntnis
im Umgang mit fremden Kulturen.“
Es sei eine Ureigenschaft der Wiener
Gesellschaft, seine eigenen Verhältnisse geheimzuhalten und die des anderen
herauszulocken und scheibchenweise gegen gesellschaftlichen Profit
weiterzuverkaufen. Bobi: „In Wien ist der bedeutsam, der viel zu flüstern weiß.
Das Geheime gehört zum Kern der Gesellschaft. Wenn die Dinge klar und bekannt
sind, kann man sie nicht mehr verhandeln. In Wien zählt das Nichtfestlegen,
damit man es rückblickend auch anders gemacht haben kann. Das ist ein
hochintelligenter Umgang und hat mit Wiener Schmäh zu tun.“
Spionage ist in Wien nicht strafbar
Ein wesentlicher Punkt
ist auch ein Urteil des Obersten Gerichtshof aus dem Jahr 1956, nachdem
Spionage in Osterreich nur dann strafbar ist, wenn sie sich direkt gegen
Österreich richtet. Wenn in Wien also ausländische Staaten andere ausländische
Staaten ausspionieren, ist das völlig legal.
Ex-Innenminister Karl
Blecha soll das Urteil wie folgt übersetzt haben: „Kummt’s alle her, mocht jo
nix. Tummelt’s eich, tauscht’s eich aus.“ Blecha hob jedoch auch den
Zeigefinger: „Nur ans: Umbringen dürft’s eich net bei uns. Ihr dürft’s bei uns
keine Gesetze verletzen. Net dass glaubt’s, ihr könnt’s do Leit kidnappen und
außezahn. Weil dann is aus.“
Welche Folgen das
OHG-Urteil in der Praxis hat, zeigte sich erst kürzlich, als bekannt wurde, wie
intensiv der amerikanische Geheimdienst Deutschland ausspioniert. „Wenn die
Amerikaner in Wien die Deutschen ausspionieren, ist das bei uns nicht nur
alltäglich, sondern auch legal. Wien ist für die Amerikaner so etwas wie das
europäische Guantanamo. Der Vergleich trifft es insofern, dass Guantanamo für
die Amerikaner ein rechtsneutraler Raum ist, auf dem sie Dinge tun dürfen, die
auf ihrem Territorium illegal wären. Auch in Wien dürfen sie in puncto Spionage
Dinge tun, die sie woanders nicht tun dürfen“, so Bobi.
Tuschelkultur beliebt bei Agenten
Ein Beleg dafür, dass
der Wiener ein guter Vermittler ist, sind die vielen internationalen
Organisationen wie UNO, OPEC, OECD, IAEA oder OSZE, die in Wien ansässig sind.
Entscheidend sind auch die geografische Lage, die Neutralität und die hohe
Lebensqualität. „Es ist für Spione die größte Auszeichnung, wenn sie von ihren
Organisationen nach Wien geschickt werden. Manche kommen nach ihrer Pension
sogar hierher zurück. Das liegt am Wiener Milieu, an der Geheimniskrämerei und
Tuschelkultur“, ist Bobi überzeugt.
Im Spionagegeschäft spielt Österreich selbst
eher eine Gastgeberrolle. Bobi: „Wir haben nur das Heeresnachrichtenamt, das
von den Amerikanern mitfinanziert wird, und das Bundesamt für Verfassungsschutz
und Terrorismusbekämpfung, das unterautorisiert ist und keine ernstzunehmende
Spionageabwehr betreibt. Das liegt daran, weil Spionage toleriert wird, dem
Land Geld bringt und Wien eine Wichtigkeit verleiht.“
Wiener Flughafen als Schutzzone
Auch die Wiener Polizei
sei machtlos gegen Spionage, wenn es sich um politisch relevante Fälle handelt.
Bobi: „Denn dann ist sofort das Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung zuständig. Die Polizei bekommt oft Prügel, wenn es zu
rechtsstaatlichen Auffälligkeiten kommt, wenn Leute außer Landes geschafft
werden, damit nicht zu viele Fragen gestellt werden. Dann steht Korruption und
Amtsmissbrauch im Raum. Dabei gibt es meist andere Gründe, die das
Erfolgsprinzip dieses Landes sind - der österreichische Weg.“
Als im Vorjahr der Verdacht bestand, dass sich
Edward Snowden auf dem Flugzeug des bolivischen Präsidenten Evo Morales
befinden könnte, sperrten zahlreiche europäische Staaten ihren Luftraum.
Schlussendlich landete das Flugzeug ausgerechnet in Wien. Was dann passierte,
bleibt laut Bobi die "Wiener Wahrheit“ - eine Spielform der „ganzen
Wahrheit“. Am Boden kam es jedenfalls zu keiner Verhaftung, sondern
Bundespräsident Heinz Fischer traf seinen Freund Evo Morales.
Bobi: „An diesem
Beispiel sieht man, wie Fischer diese Situaton virtuos löst. Am Ende waren alle
zufrieden und niemand hat gemerkt, dass Fischer an diesem Vormittag als erster
westlicher Politiker nicht mehr auf der amerikanischen Seite war. “
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