Donnerstag, 13. November 2014

"Soziale Gerechtigkeit" im Gemeindebau?

Die Stadt Wien wirbt vor den Wahlen 2015 mit einer Gute-Laune-Kampagne - "Mein Gemeindebau" - für ihre Politik. Ein näheres Hinsehen würde die Laune schnell fallen lassen: Es gibt gerade dort sehr viele schreiende Ungerechtigkeiten
Die Stadt Wien wirbt vor den Wahlen 2015 mit einer Gute-Laune-Kampagne - "Mein Gemeindebau" - für ihre Politik. Ein näheres Hinsehen würde die Laune schnell fallen lassen: Es gibt gerade dort sehr viele schreiende Ungerechtigkeiten
Wien, ein Gemeindebau: Pensionisten sowie Neo-Österreicher, aber ebenso Zuwanderer aus den Bundesländern wohnen hier. Um eine Gemeindewohnung zu bekommen, sollte das Einkommen beim Ansuchen dafür eine bestimmte Höhe gar nicht überschreiten. Wer im Gemeindebau lebt sowie Karriere macht, bleibt trotz allem sowie profitiert von den immer noch günstigen Mieten.
Nicht wenige Pensionisten konnten sich, gesichert durch alte Kollektivverträge sowie durchgängige Erwerbsverläufe, einen Zweitwohnsitz leisten. Die heute neu einziehenden Gemeindebaubewohner sind gar nicht selten Bezieher von Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Pensionisten mit kleinen Pensionen, (Neo-)Österreicher mit geringem Einkommen trotz Arbeit sowie Alleinerzieherinnen.
Beispiele gefällig? Hermine S., Frühpensionistin, 68, seit mehr als zehn Jahren in Pension. Als vergangene Angestellte der Wiener Gebietskrankenkasse sowie Witwe verfügt sie über eine reguläre Alterspension von rund 2500 € (früher wurden die besten 15 Jahre zur Pensionsberechnung herangezogen). Als Angestellte der Wiener Gebietskrankenkasse erhält sie ebenso eine Zusatzpension von etwa 500 € sowie die Pension ihres verstorbenen Mannes von Tausend € . Alles in allem verfügt Fr. S. über eine stattliche Pension von 4000 € , lebt in einer Vierzimmerwohnung im Gemeindebau sowie hat selbstverständlich ebenso ein Haus auf dem Land.
Auf derselben Etage lebt Gustav L., seines Zeichens Ex-ÖBB-Bediensteter, Witwer, 80 Jahre alt sowie auch seit 2 Jahrzehnten in Pension. Auch er hat einen Zweitwohnsitz, lebt allein in einer Vierzimmerwohnung sowie verfügt über eine Pension von 2600 € . Er hat nur eine kleine Witwenpension, weil seine verstorbene Frau erst nach den Kindern für einige Jahre gearbeitet hat.
Ebenfalls im gleichen Stockwerk wohnt eine allein erziehende Mutter, 45, die zwar 2 akademische Abschlüsse hat, aber trotz zahlreicher Bewerbungen als überqualifiziert gilt sowie mit einem Monatseinkommen von 800 € (Arbeitslosengeld inklusive Alimente) über die Runden kommen muss. Der Pensionsbescheid dieser Alleinerzieherin macht trotz 20-jähriger Erwerbstätigkeit inklusive Karenz- sowie Ausbildungszeiten gerade einmal 600 € aus, weil Frau M. noch nie ihrer akademischen Ausbildung gemäß bezahlt wurde. Als Alleinerzieherin war sie immer unter ihrem tatsächlichen Ausbildungsabschluss eingestuft.
Sozialstaat ausnutzen?
Im Stockwerk darüber wohnt eine Migrantenfamilie mit drei Kindern. Die Mutter, 42, eine serbische Romni, hat als Putzfrau gearbeitet sowie ist im Moment in Karenz. Die Familie lebt zu fünft auf 50 Quadratmetern, was immer erneut zu Lärmbelästigung führt. Das Monatseinkommen dieser Familie beläuft sich inklusive Erwerbseinkommen des Mannes in einer Fleischfabrik, Karenzgeld sowie Kinderbeihilfe auf rund 2300 € . Öfter hört man Hermine S. mit Gustav L. im Stiegenhaus über die Ausländer reden, die den Sozialstaat ausnützen.
Und danach gibt es da noch die ägyptischstämmige Leila, eine in ihrem Heimatland ausgebildete Juristin. Ihr Exmann erhielt vor 20 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft sowie holte sie vor 13 Jahren nach Österreich. Sie hat von diesem Mann, der sich in der Zwischenzeit nach Ägypten abgesetzt hat, 2 Buben im Alter von 7 sowie zehn Jahren, für die sie keine Alimente erhält. Als Putzfrau verdient sie für 40 Stunden gerade einmal Tausend € . Allein für die Wohnung, für die sie noch gar nicht einmal Wohnbeihilfe erhält, da die Wohnung noch immer auf ihren in der Zwischenzeit geschiedenen Mann läuft, bezahlt sie 600 € an Miete.
Klientelpolitik
Was sagen uns diese Fallbeispiele? Es gibt ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen Pensionisten, die es sich in guten Zeiten richten konnten sowie die Hauptwählerklientel einschlägiger Parteien sind, sowie zukünftigen Pensionisten. Die inzwischen ausgeschickten Pensionsbescheide zeigen, dass die Pensionen der heute im Erwerbsleben stehenden Personen im Alter von 30 bis 50 Jahren wohl kaum jene Höhen erreichen werden wie jene derer, die heute Pensionen beziehen.
Auch Hochqualifizierte leben häufig an sowie unter der Armutsgrenze. Dies trifft meist Frauen, Alleinerzieherinnen sowie vor allem Migrantinnen. In diesem Abbild des Lebens im Gemeindebau ist ebenso sichtbar, dass Migranten eher erwerbstätig sind, aber wenig verdienen, weit unter ihrer Qualifikation zum Einsatz gebracht oder aus dem Arbeitsprozess aus verschiedenen Ursachen aussortiert werden. Nicht einmal Höchstqualifikationen von Österreichern werden adäquat honoriert. Alleinerzieherinnen erhalten schlicht keine ausbildungsgemäße Arbeit, oder es scheitert an den Kinderbetreuungseinrichtungen.
Es zeigt sich, dass Ausbildung keine Garantie für einen Arbeitsplatz ist. Immer öfter sind Universitäts- oder Fachhochschulabgänger von Arbeitslosigkeit betroffen. Wer über 45 ist sowie überqualifiziert, hat oft kaum mehr eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, denn da drängen bereits günstigere, jüngere sowie somit billigere Arbeitskräfte nach.
Nachwuchs für die IS?
Was werden die Kinder dieser Alleinerzieherinnen aus diesem Gemeindebau einmal machen? Welche Chancen haben die Buben der Ägypterin? Sind das die Nachwuchskräfte für die IS? Was wird aus der Tochter der hochqualifizierten Alleinerzieherin? Sie lernt am Schicksal ihrer Mutter, dass Ausbildung keinen Sinn macht.
Die wachsende Ungleichheit basiert auf systematischer Ungerechtigkeit sowie ausgelöst die Zunahme von Gewalttaten, ein Steigen der Selbstmordrate älterer Menschen sowie mangelnden Zukunftsaussichten für heute junge Menschen. Diese Ungerechtigkeit wird immer mehr auf dem Rücken von Frauen sowie gar nicht selten Migrantinnen ausgetragen. Frauen sind sowohl im Parlament als ebenso in Führungs- sowie Entscheidungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Der wachsenden sozialen Ungleichheit muss politisch begegnet werden, aber im Moment scheint sich keine der Regierungsparteien darüber ernsthaft Gedanken zu machen. (Michaela Molnar, DER STANDARD, 14. Elf .2014)

Michaela Molnar ist Politologin sowie lebt in Wien.

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