Was ich ja an Wien besonders mag, das sind diese wunderbaren Widersprüchlichkeiten.
18.11.2014 | 18:52 | (Die Presse)
Dass das Riesenrad nicht rund, sondern ein
30-Eck ist. Dass die Schnellbahn nicht schnell, die Straßenbahn nicht immer auf
der Straße, die U-Bahn keineswegs durchgängig im Untergrund fährt. Oder dass
der Lainzer Tiergarten nicht zu Lainz, sondern zur Katastralgemeinde Auhof
gehört.
Diese Lust am Paradoxen erfährt derzeit reiche
Befriedigung in der Werbekampagne, die Wien seit einigen Wochen mit
Liebesbezeugungen für den Gemeindebau bestückt: „Mein Gemeindebau – liebenswert
lebenswert“ lautet die frohe Devise, unter der man frohe Menschen mit frohen
Blicken ins Plakat- oder Anzeigenbild rückt, um frohe Botschaften entsprechend
froh unters Gemeindevolk zu bringen. Denn was hat er nicht alles zu bieten,
„mein Gemeindebau“? „Gepflegte Grün- und Spielflächen für mehr Spaß und
Lebensqualität“ beispielsweise. Oder „faire Mieten und hohen Mieterschutz für
mehr Sicherheit im Leben“. Kurz: Nicht in der Hietzinger Villa, nicht im
Penthouse am Graben, nein, im Karl-Marx-Hof, am Rennbahnweg, in der
Per-Albin-Hansson-Siedlung müsste man sein!
Woran, für sich
genommen, noch nichts Paradoxes ist. Dass alle Krämer, auch die städtischen,
ihre Ware loben, ist hinlänglich geläufig, und so wird es niemanden
überraschen, dass es eine Gemeindebau-Kampagne mit der Gemeindebau-Wirklichkeit
nicht ganz genau nimmt. Paradox freilich ist es, wenn der Krämer ausgerechnet
jenes Produkt, auf das er annonciertermaßen so große Stücke hält, mittlerweile
selbst aus dem Sortiment genommen hat. Zehn Jahre ist es her, dass der letzte
Gemeindebau bezogen wurde, in der Rößlergasse zu Liesing übrigens. Seither ist
Gemeindebauruh über allen Wiener Wohnbaugipfeln.
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