Donnerstag, 9. Januar 2014

Obdachlosen-Praxis: Nur mit Spenden zu retten? Wie sozial ist der Fonds Soziales Wien? Gebietskrankenkasse muss medizinische Versorgung für Obdachlose gewährleisten

Obdachlosen-Praxis: Nur mit Spenden zu retten?

Seit einem Jahr werden in der Hausarztpraxis im Neunerhaus in Margareten Obdachlose medizinisch versorgt. Jetzt fehlt das Geld. Doch das Neunerhaus will die Praxis weiterführen, notfalls mit einer Spendenkampagne.
Das gute Fonds Soziales Wien, sie reden viel, wissen aber wenig bis gar nichts. Sie müssen auch einen Spagat vollbringen, auf der einen Seite müssen sie ihre Partei schützen, auf der anderen Seite die Stadt Wien, die auch die Partei ist, und sie müssen auch noch das Fonds Soziales Wien schützen. Ein E-Card für Obdachlose kann keine Lösung sein, dass ist ganz eindeutig. Nicht nur, weil das AMS ihnen den Zugang für den Arztbesuch sperrt, sondern auch, weil die E-Card Geld kostet. Die Argumente vom Fonds Soziales Wien greifen viel zu kurz um überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Das nächste Problem ist, dass der/die Obdachlose keine Adresse hat, wenn es eine Nachricht vom AMS geben sollte, wohin soll diese denn geschickt werden? Zugang zu einem regulären Gesundheitssystem hat ein obdachloser nicht, nicht einmal ein Arbeitsloser und das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Das AMS streicht – ohne eine Nachricht – ganz einfach die E-Card, dass habe ich selbst erlebt. Ich musste ins Spital und da war ich nicht mehr versichert. Nach Nachfrage beim AMS wurde mir mitgeteilt, dass man mir die E-Card gesperrt hatte. Und noch eines: Der Zugang zur Mindestsicherung. Auch der ist gar nicht so einfach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Obdachloser diese Vorgaben erfüllt. Welcher Obdachlose hat schon ein Konto? Welche Bank gibt einem Obdachlosen ein Konto?  Meines Wissens nach gibt es nur eine einzige Bank/Zweigstelle die das macht.
Seit der Eröffung wurden 600 Menschen im Neunerhaus betreut. Kurz vor Weihnachten hieß es, dass die Ordination, die Menschen ohne Versicherung behandelt, ohne Finanzmittel der Stadt Wien mit 1. April zusperren muss. Dann wird das Startkapital des Pharmakonzerns Baxter in der Höhe von über 100.000 Euro aufgebraucht sein. Jetzt heißt es aus dem Neunerhaus: „Es ist nicht so, dass wir am 1. April zusperren.“ Als Nächstes stehe die Terminvereinbarung für Gespräche mit der Krankenkasse an.
„Wir sehen die Hauptverantwortung bei der Gebietskrankenkasse“, stellt Markus Reiter, Geschäftsführer des Wiener Sozialvereins Neunerhaus, gegenüber wien.ORF.at klar. Die Wiener Gebietskrankenkasse bleibt aber bis dato dabei, dass es nicht zu ihren Aufgaben gehöre, die Infrastruktur einer Arztpraxis zu bezahlen. Allerdings gibt der Geschäftsführer des Neunerhauses zu bedenken, dass die Kosten für die Behandlung einer medizinischen Akutsituation für das Gesundheitssystem teurer wären als ein Ordinationstag im Neunerhaus in der Höhe von etwa 500 Euro.

Keine Notfallmedizin

„In unserer Praxis geht es nicht um Notfallmedizin, sondern um eine integrative medizinische Versorgung“, erklärte Reiter gegenüber der „Presse“. Die Besonderheit der Arztpraxis stelle die Kombination aus medizinischer und sozialarbeiterischer Betreuung bei niederschwelligem Zugang dar. „Wir verhindern damit Spitalsaufenthalte und fachärztliche Betreuung“, versicherte der Geschäftsführer des Neunerhauses. Es handle sich also um ein „Gesundheitsförderangebot, das vom Gesundheitssystem getragen werden soll“.
Falls die Gebietskrankenkasse keine Finanzierungsmittel zusichert, gibt es aber auch einen Plan B. Notfalls soll eine Spendenkampagne ins Rollen gebracht werden, heißt es aus dem Neunerhaus. Das Ziel sei aber eine langfristige Finanzierung.

Fonds Soziales Wien: E-Card ausreichend

Neben der Gebietskrankenkasse zeigt sich auch der Fonds Soziales Wien weiterhin nicht offen für eine Finanzierungszusage. Die Institution der Stadt Wien argumentiert mit der Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Dadurch habe sich die medizinische Versorgung von Menschen in Notsituationen geändert. „Mittlerweile hat jeder Anspruch auf die E-Card und somit Zugang zum regulären Gesundheitssystem“, sagte Iraides Franz, die Sprecherin des Fonds Soziales Wien, in der „Presse“.
„Das Argument der E-Card greift zu wenig“, heißt es dazu von einer Sprecherin des Vereins Neunerhaus. Die E-Card alleine könne nicht die Lösung sein. Durch das Leben auf der Straße haben die Menschen nicht mehr die Ressourcen, um die Voraussetzungen für die Mindestsicherung zu erfüllen. Somit verlieren sie zum Beispiel durch verpasste AMS-Termine das Anrecht auf eine E-Card, so die Sprecherin.
Das Angebot der Arztpraxis im Neunerhaus richtet sich speziell auch an Menschen ohne E-Card. Damit gehen die Leistungen über das reguläre Gesundheitssystem hinaus. Der Geschäftsführer des Sozialvereins hofft weiterhin „auf die nötige Weitsicht seitens der Verantwortlichen“.

Gemeinsam für die Behandlung Obdachloser


„Wir sind froh, wenn wir entlastet werden“, sagt Carina Spak von AmberMed. 2013 verzeichnete die Initiative 2.531 Neuaufnahmen bei insgesamt 5.000 Arztkontakten. Das Kooperationsprojekt der Diakonie und des Österreichischen Roten Kreuzes bietet medizinische Behandlung, Medikamentenhilfe und soziale Beratung für Menschen ohne Versicherungsschutz an. Seitens der AmberMed wird es begrüßt, wenn mehrere Seiten Druck auf die Politik ausüben.

Grüne Wien/Hebein: Unterstützung für die neunerhaus-Arztpraxis für obdachlose Menschen

Gebietskrankenkasse muss medizinische Versorgung für Obdachlose gewährleisten


 "Selbstverständlich müssen die wichtigen medizinischen
Leistungen der neunerhaus- Arztpraxis auch zukünftig gewährleistet
sein", meint Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Grünen Wien zu der
ungesicherten Folgefinanzierung der neunerhaus-Arztpraxis ab 1.
April. Hier erhalten kranke obdachlose Menschen mit mehreren
Diagnosen medizinische Versorgung und sozialarbeiterische Betreuung
bei einem niederschwelligem Zugang. Damit werden auch mitunter
kostenintensive Spitalsaufenthalte frühzeitig verhindert. Die
Gebietskrankenkasse zögert aber, hier eine ausreichende Finanzierung
zu gewährleisten, ohne praxistaugliche Angebote für Versicherte zu
schaffen.

Wohnungslose Menschen haben ein Anrecht auf bestmögliche medizinische
Versorgung, wie jeder andere auch. Die Barrieren zum
Regelgesundheitssystem sind derzeit aber für die Betroffenen oft zu
hoch. Daher ist es ein zentrales Ziel der neunerhaus Arztpraxis,
obdachlose Menschen in dieser akuten prekären Lebenssituation genau
dabei zu unterstützen, in weiterer Folge wieder das
Regelgesundheitssystem in Anspruch nehmen können. 
Für 600 PatientInnen im vergangenen Jahr - Tendenz,
neunerhaus-Angaben zufolge, steigend - haben die MitarbeiterInnen der
Arztpraxis enorm wichtige Arbeit geleistet. Ein Ordinationstag kostet
500 Euro. Insgesamt hat das neunerhaus vergangenes Jahr 3.000
PatientInnen medizinisch versorgt. Für einen großen Teil davon werden
durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung
Sozialversicherungsbeiträge geleistet.
Noch ist es Zeit genug, dass die Sozialversicherung mit dem wichtigen
Gesundheitsanbieter neunerhaus zu einer sinnvollen Lösung im ersten
Quartal des Jahres kommen wird, um die medizinische Versorgung von
wohnungslosen Menschen zu gewährleisten.
"Das Angebot der neunerhaus Arztpraxis richtet sich auch an Menschen
ohne E-Card. Hier wird die Stadt Wien auch ihren Beitrag zu adäquaten
Angeboten leisten müssen," so Hebein abschließend.

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OTS0100 2014-01-10 12:11 101211 Jän 14 GKR0001 0266

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