sofort wieder abreissen! (17): Sonnwendviertel Wien
Till Briegleb am 04 / 01 / 15 - 16:50 in Sofort wieder abreißen | No Comments
Gleich neben dem springenden Gletscher auf Stelzen (von Albert Wimmer, Ernst Hoffmann und Theo Hotz) geht es zwar auch erstmal los mit einem Hochhaus der McHotel-Kette Motel One mit 1066 Betten. Aber dann kommt schon gleich das attraktive Wohnen im schönen Wiener Viertel „Favoriten“, für das die Investoren den Mietern auf orangen Transparenten versprechen: „Hier werden Sie glücklich wohnen.“
Tja, wer jetzt bemerkt, dass das kleine Wohnhaus im Schatten des 60 Meter hohen Türkis-Riesen mit seinen roten Schiebeblechen vor den Balkonen irgendwie kaum anmutiger wirkt als die Baucontainer davor, der hat noch nicht dahinter nachgeschaut.
Da sieht es nämlich so richtig mono-attraktiv aus, allerdings auch nur, wenn man das Foto künstlich aufhellt, damit in dem schattigen Hinterhof vom weltweit größten Motel One überhaupt was von den seriellen Stanzfassaden zu erkennen ist.
Und weil zu glücklichen Mietern auch glückliche Kinder gehören, ist in der neuen Bahnhofssiedlung auch an Spielmöglichkeiten gedacht worden (ist vermutlich Vorschrift auch in Österreich).
Diese Entfaltungsflächen sind dann besonders gelungener Standard. Jedenfalls wenn man es nach dem Maßstab einer bahnhofsnahen Drogendealerszene bemisst, die hier ihre Heroinpäckchen vergraben kann, und den Stoff bei der aufgeräumten Bespielung garantiert auch im vollgedröhntesten Zustand wiederfinden.
Nur wenige Meter entfernt beginnt dann eines der Renomme-Projekte des neuen Wiener Wohnungsbaus auf alten Gleisflächen, das so genannte Sonnwendviertel. Das heißt so, weil bei seinem Anblick die Sonne sofort wieder wendet und lieber woanders scheint.
Doch nicht alle Wohnordnungen sind so grau, wie die Frontfassaden zur Sonnwendgasse, wo Produkte des österreichischen Qualitätsjournalismus für die einzigen Farbtupfer sorgen müssen. Etwa...
...ein Lieferwagen der Umsonstschmonzette für Alpen-Promis und Unfälle, „Österreich“, oder...
...das an jedem Urin-Pfosten der Stadt aufgehängte Fachblatt für Menschenjagd, die „Krone“.
Die meisten der hier aufgestellten Blocks sehen tatsächlich eher aus, wie bunt dekorierte, oder sollte man besser sagen: getarnte Plattenbauten.
Erlaubt ist in den Seitengassen, wo es nicht jeder sieht, Knallgrün wie Gelb, Lilatöne wie Blutrot.
Allerdings, wenn man sich mal ein wenig fort aufs nächste noch zu bebauende Feld bewegt, und die lügnerische Farbe mal rausdreht, dann sieht das Sonnwendviertel eigentlich genau so aus wie die billigen Nachkriegssiedlungen in der römischen Peripherie, die Pier Paolo Pasolini in seinen Filmen als Kulisse für rohe Gewalt, Einsamkeit und fehlende Perspektive gewählt hat.
Und ähnlich unwirtlich wie die Verwahrstapel für die Arbeiterklasse im Italien der Sechziger wirkt auch sein bunter Pedant in Favoriten. Ältere Hausfrauen mit Lockenwicklern im Haar rauchen auf den Balkonen (für die tatsächlich mit großer Aufmerksamkeit gesorgt wurde, was ein wirklich schöner Zug der Bauherren im Sonnwendviertel ist). Die üblichen einsamen Jogger und Hundehalter verlieren sich gehetzt zwischen den stummen Fronten und parkenden Autos. Junge Paare verlassen selten und dann hastig die Hausflure und eilen zu ihren Vierrädern, um rasch davon zu fahren. An einem sonnigen lauen Januar-Samstag am Rand der panonnischen Tiefebene sind dies die spärlichen Lebenszeichen der Austroiden, obwohl der Stadtteil für seine dichte Bebauung und seine außerordentlich attraktiven und intelligent geplanten Freiflächen gerühmt wird (natürlich von seinen Planern).
In Wahrheit präsentiert sich diese innovative Freiraumgestaltung so:
Aber ein bisserl originell ist im Hinterhof auch erlaubt. Die knallroten Knickblöcke von Klaus Kada, die hinter ein paar Wohnscheiben ihr Schattendasein fristen, sind mit lustigen gelben Luftbrücken verbunden und sehen wirklich ungewöhnlich, humorvoll und attraktiv aus. Allerdings wohnen will man hier auch höchstens ganz oben. Im Erdgeschoss unter den ganzen weit auskragenden Balkonen wäre es vermutlich sogar einer Höhlenmuräne zu duster. Von wegen Sonnwend.
Gemeinsam mit ihrem eher faden Geschosswohnungsbaukragen beweisen die roten Schmankerl aber wirklich, was moderne Wohnmaschine heute alles leisten kann. In dem Komplex sind laut Projektträger untergebracht: „Ein Wellnesscenter samt Schwimmbad und Sauna, Gemeinschaftsküche, Heimkino, Gemeinschafts(Dach)Gärten und -Terrassen, Wintergärten, Spielbereiche, Kletterwand, Skaterbahn, Lernclub, Musikproberaum, Fahrradwerkstatt, Jugendräume, etc“. Vielleicht verbirgt sich hinter dem merkwürdigen „etc.“ der Grund, warum diese enorme Aktivitätsoption zu keinerlei städtischer Belebung führt.
Natürlich darf man nicht alles an diesem Sonnenwendfest für moderne Architekten verdammen. Die Stadtplaner haben den typischen geschlossenen Wiener Innenstadt-Block hier halbwegs wieder aufgenommen (wenn auch in zu groß und rhythmisch wenig schön), bekennen sich zur Parzellenbauweise (wenn auch mal wieder in trabantenstädtischer Überbreite), sowie zur hohen Dichte (zumindest im Verhältnis zum Zeilenbau). Sie zeigen also irgendwie Einsichten, die man aus der großartigen Lebendigkeit der historischen Wiener Stadt gewinnen kann. Und trotzdem steht am Ende ein Quartier im örtlichen Lehm, das so einsam, kummervoll und kalt erscheint, das es besser Sans Soleil hieße.
Es hilft also nichts: ein Stadtteil, der sich so der einsamen Resonanz verschreibt, dass seine Bewohner Angst haben, ihre Wohnzelle zu verlassen, muss leider sofort wieder abgerissen werden.
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