Foto mit Kommentar Interessanterweise wird über
Hakenkreuzschmierereien auf Gedenksteinen oder Friedhöfen berichtet. Bei
Schmiereien im urbanen Raum eher nicht. Ein Gewöhnungeffekt?
Ein Nutzerbeitrag von Neil Y. Tresher
In meinem Grätzl - oder Kiez -
finde ich immer wieder einige anarchistische oder linke Schmierereien.
Meist finden diese sich auf Häuserwänden. Ein Satz wie "Weiße Wände, teure
Mieten" weist auf einen Gentrifizierungsprozess hin und kann daher als
politisches Statement, das auf ein gesellschaftlich relevantes Problem
hinweist, verstanden werden. Den oder die Hausbesitzer/in wird es trotzdem
nicht freuen. Und "Morgen mache ich blau" gehört zwar zu meinen
persönlichen Favoriten; ich halte es jedoch für kontraproduktiv diese
Statements auf Häuserfassaden zu sprayen, da sie zum Ärger von
(Ver)Mieter/innen führen. Die Reinigung zahlt sicher nicht die Hausverwaltung
aus ihrem eigenen Budget, abgesehen davon, dass der Ärger über die
"Schmiererei" auf der eigenen Hauswand selten dazu führt den Inhalt
zu diskutieren. Aber genau darum geht: Inhalte.
Inakzeptabe
und absolut diskutabel sind Schmierereien, die negativ, rassistisch oder
gewaltverherrlichend sind.
Die SPÖ ließ im
vorweihnachtlichen Wien eine Reihe an Plakaten im öffentlichen Raum anbringen,
auf denen Bürgermeister Michael Häupl mit vier Kindern beim Weihnachtsbacken
posierte und allen Wiener/innen auf diesem Weg schöne Feiertage wünschte.
Nun, diese Form der
politischen Jahreszeitenpropaganda ist nichts Neues. Den Herrn Bürgermeister
als "A...." zu bezeichnen, mag man noch als emotionalen und sehr
persönlichen Ausdruck der politischen Meinungsfreiheit gerade durchgehen
lassen. Aber das berühmte Schimpfwort mit "Noch mehr Ausländer" in
einen Schriftzug zu bringen ist inakzeptabel und zeigt wes Geistes Kind der/die
Schreiber/in ist. Ich glaube es ist nicht zu spekulativ zu behaupten, dass
der/die Schreiberin der Meinung ist, dass es in Wien zu viele Ausländer/innen
gäbe und dass Bürgermeister Dr. Michael Häupl direkt dafür verantwortlich sei.
Es ist zwar richtig,
dass laut Statistik Austria 31 Prozent der Wiener Bevölkerung im Jahr 2013 im
Ausland geboren wurden, was jedoch nicht bedeutet, dass dies alles ausländische
Staatsbürger/innen sind (rückkehrende Ex-Pats gehören ebenso dazu, wie
Menschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen haben). Laut
Volkszählung von 2011 leben in Wien 1,341.855 Menschen mit einer
österreichischen Staatsbürgerschaft und nur 371.608 mit einer
nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft. Die führenden Herkunftsländer
sind an erster Stelle das ehemalige Jugoslawien, dann die Türkei und an dritter
Stelle Deutschland, wobei die Deutschen drauf und dran sind, den zweiten Platz
einzunehmen.
Graffiti - wie es der Gründer
des "Instituts für Graffitiforschung Norbert Siegl betont - seinen
wichtige Zeitdokumente. Er geht davon aus, dass Graffiti bei "richtiger
Interpretation" sehr viel über die jeweilige Gesellschaft aussagen
könnten. Er sieht Graffiti - ob nun schön gestaltet oder nicht - als
ureigene Möglichkeit der Menschen, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Gerade
politische Bereiche, die nicht durch offizielle Parteien oder im
parlamentarischen Spektrum erfasst seien, könnten so leichter beobachtet
werden. (vergleiche hierzu Augustin; Nr. 201; 08. Mai 2007)
2006 war die Diskussion über
rechtsextreme Graffiti in Wien bereits einmal sehr präsent. Die Wiener Grünen,
die Menschenrechtsorganisationen "ZARA" und "SOS Mitmensch"
hatten die Diskussion forciert. Das Institut für Graffitiforschung trug zur
Diskussion bei und kreierte eine Ausstellung mit Fotos zum Thema und eine
entsprechende Publikation. Das war im Jahr 2007. Danach ist das Thema wieder
ein wenig von der Bildfläche verschwunden. Dies bestätigt auch der Verein ZARA.
In einem Artikel in der österreichischen Tageszeitung "die Presse"
kann dies nachgelesen werden.
"Ob hetzerische
Schmierereien tatsächlich zunehmen, ist empirisch derzeit aber nicht so leicht
zu beantworten. Ein systematisches Monitoring gibt es nämlich nicht. Bekannt
sind nur die Fälle, die dem Antirassismusverein Zara von aufmerksamen Passanten
gemeldet werden. Dort hat man 2008 insgesamt 64 Fälle gezählt, den
überwiegenden Teil davon in Wien. 2007 waren es noch 251, im Jahr 2006 sogar
793 gewesen. Den Rückgang führt man bei Zara aber nicht darauf zurück,
dass es weniger Fälle gäbe, sondern dass es 2006 zwei
Sensibilisierungskampagnen gegeben habe, die in den Jahren darauf nicht
weitergeführt wurden. Danach seien Wachsamkeit und Bewusstsein in der Bevölkerung
wieder gesunken" (Die Presse: 07. 07. 2009).
Der ZARA Rassismus Report aus
dem Jahr 2013 spricht von insgesamt 53 rassistischen Beschmierungen, die
an ZARA gemeldet wurden. 42 der Beschmierungen seien in Wien dokumentiert
worden, 3 davon in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wie gesagt: dies bedeutet
nicht, dass die Schmierereien weniger geworden sind, sondern eher, dass sie
nicht an ZARA gemeldet werden.
Ob rassistische Schmierereien
an sich schon ein Problem sind oder nur Ausdruck einer gesellschaftlichen
Strömung sind für mich zwei Seiten derselben Medaille.
Eine Studie zum Thema
"Integration in Österreich" aus dem Jahr 2009, GfK Austria GmbH, von
Peter Ulram hält folgendes bezüglich Einstellungen fest:
"Gut
drei Viertel der Jungen stimmen mit der Ansicht überein, dass die meisten
Ausländer Arbeiten machen, für die sich kaum noch Österreicher finden; mehr als
Sechs von Zehn, dass die österreichische Wirtschaft ohne die vielen Ausländer
gar nicht mehr auskommen könne bzw. halten Ausländer für eine Bereicherung des
Landes. 45% treten dafür ein, dass Österreich vermehrt Einwanderer mit Kindern
aufnehmen sollte, damit die Wirtschaft läuft und die Pensionen gesichert sind.
Frauen, junge Menschen mit höherer Bildung, Personen, die wenige Probleme mit
Ausländern orten bzw. keine schlechten Erfahrungen mit Ausländern gemacht
haben, sowie Befragte mit Migrationshintergrund stimmen diesen Ansichten
überdurchschnittlich zu.
Zugleich
meinen 58%, dass es schon zu viele Ausländer in Österreich gibt, 43 Prozent
befürchten, dass mit den Ausländern vor allem Kriminalität kommt, und ein
Viertel (24%) meint, dass die vielen Ausländer den Österreichern die Arbeit
wegnehmen. Diese Statements werden überdurchschnittlich von Männern, der
unteren Bildungsschichte bzw. Befragten aus unteren Sozialmilieus sowie von
jenen befürwortet, die große Probleme mit Ausländern sehen und schlechte
Erfahrungen gemacht haben.
Ein
Vergleich mit der österreichischen Gesamtbevölkerung zeigt, dass die Haltung
der Letzteren im Regelfall ausländerskeptisch er ist, zudem hat sich von
2004-2008 der Prozentsatz jener vergrößert, die eine Gefährdung
„österreichischer“ Arbeitsplätze durch Ausländer befürchten bzw. jener
verringert, die meinen, Österreich brauche Arbeitskräfte aus dem Ausland"
GfK; 2009; 82)
Die
Studie ist bekannt und teilweise auch umstritten, da sie einen Schwerpunkt auf
die muslimische / türkische Bevölkerung setzt. Die Gefahr, dass die
Gleichung Ausländer=Muslime noch verstärkt wird, ist gegeben. Daher ist es
vielleicht wichtig noch eine weitere Studie zu zitieren.
Die österreichische
Tageszeitung "Der Standard" präsentiert am 17. 01. 2012 in einem
Beitrag die "Europäische Wertestudie". Die Studie vergleicht 45
Länder. Ein Ergebnis dieser Studie wird wie folgt zusammen gefasst:
"Auffallend ist laut den
Studienautoren Sieglinde Rosenberger und Gilg Seeber, dass die Antipathie
gegenüber MigrantInnen im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 in Österreich am
stärksten zugenommen habe. 1999 lag Österreich noch im Mittelfeld der
"Antipathielandschaft". Besonders deutlich wurde die negative
Einstellung gegenüber Ausländern im Jahr 2008.
Aber auch die Ablehnung
gegenüber Minderheiten und Randgruppen ist in Österreich sehr hoch: Bei der
Frage nach der negativen Einstellung zu "MigrantInnen, Juden und
Romani" liegt Österreich an zweiter Stelle."
Ein kausaler Zusammenhang
zwischen Schmierereien und Einstellungen kann nie eindeutig belegt werden. Die
Koinzidenz ist jedoch mehr als auffällig. Ein umfassendes Monitoring ist nicht
nur wünschenswert, sondern ein wichtiges Instrument für das Gemeinwohl.
Übrigens wurde die
Schmiererei nicht irgendwo fotografiert, sondern direkt bei der
Straßenbahnstation Burgtheater / Rathausplatz. Also Mitten in der Wiener
Innenstadt. Sehr belebt, sehr populär vor allem in der Vorweihnachtszeit. Ich
will gar nicht wissen, wie viele Menschen - punschbeseelt - beim Anblick dieses
Statements innerlich zugestimmt haben.
Verwendete Literatur und
Links:
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht
notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Schaut euch Wien wie es lebt von Karl Glanz mal
an!
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