Montag, 5. Januar 2015

Wie fremdenfeindlich ist Wien?


Foto mit Kommentar Interessanterweise wird über Hakenkreuzschmierereien auf Gedenksteinen oder Friedhöfen berichtet. Bei Schmiereien im urbanen Raum eher nicht. Ein Gewöhnungeffekt?

Ein Nutzerbeitrag von Neil Y. Tresher

In meinem Grätzl - oder Kiez - finde ich immer wieder einige anarchistische oder linke Schmierereien.  Meist finden diese sich auf Häuserwänden. Ein Satz wie "Weiße Wände, teure Mieten" weist auf einen Gentrifizierungsprozess hin und kann daher als politisches Statement, das auf ein gesellschaftlich relevantes Problem hinweist, verstanden werden. Den oder die Hausbesitzer/in wird es trotzdem nicht freuen. Und "Morgen mache ich blau" gehört zwar zu meinen persönlichen Favoriten; ich halte es jedoch für kontraproduktiv diese Statements auf Häuserfassaden zu sprayen, da sie zum Ärger von (Ver)Mieter/innen führen. Die Reinigung zahlt sicher nicht die Hausverwaltung aus ihrem eigenen Budget, abgesehen davon, dass der Ärger über die "Schmiererei" auf der eigenen Hauswand selten dazu führt den Inhalt zu diskutieren. Aber genau darum geht: Inhalte.

Inakzeptabe  und absolut diskutabel  sind Schmierereien, die negativ, rassistisch oder gewaltverherrlichend sind.

Die SPÖ  ließ im vorweihnachtlichen Wien eine Reihe an Plakaten im öffentlichen Raum anbringen, auf denen Bürgermeister Michael Häupl mit vier Kindern beim Weihnachtsbacken posierte und allen Wiener/innen auf diesem Weg schöne Feiertage wünschte.

Nun, diese Form der politischen Jahreszeitenpropaganda ist nichts Neues. Den Herrn Bürgermeister als "A...." zu bezeichnen, mag man noch als emotionalen und sehr persönlichen Ausdruck der politischen Meinungsfreiheit gerade durchgehen lassen. Aber das berühmte Schimpfwort mit "Noch mehr Ausländer" in einen Schriftzug zu bringen ist inakzeptabel und zeigt wes Geistes Kind der/die Schreiber/in ist. Ich glaube es ist nicht zu spekulativ zu behaupten, dass der/die Schreiberin der Meinung ist, dass es in Wien zu viele Ausländer/innen gäbe und dass Bürgermeister Dr. Michael Häupl direkt dafür verantwortlich sei.

Es ist zwar richtig, dass laut Statistik Austria 31 Prozent der Wiener Bevölkerung im Jahr 2013 im Ausland geboren wurden, was jedoch nicht bedeutet, dass dies alles ausländische Staatsbürger/innen sind (rückkehrende Ex-Pats gehören ebenso dazu, wie Menschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen haben). Laut Volkszählung von 2011 leben in Wien 1,341.855 Menschen mit einer österreichischen Staatsbürgerschaft und nur 371.608 mit einer nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft.  Die führenden Herkunftsländer sind an erster Stelle das ehemalige Jugoslawien, dann die Türkei und an dritter Stelle Deutschland, wobei die Deutschen drauf und dran sind, den zweiten Platz einzunehmen.

Graffiti - wie es der Gründer des "Instituts für Graffitiforschung Norbert Siegl betont - seinen wichtige Zeitdokumente. Er geht davon aus, dass Graffiti bei "richtiger Interpretation" sehr viel über die jeweilige Gesellschaft aussagen könnten. Er sieht Graffiti - ob nun schön gestaltet oder nicht -  als ureigene Möglichkeit der Menschen, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Gerade politische Bereiche, die nicht durch offizielle Parteien oder im parlamentarischen Spektrum erfasst seien, könnten so leichter beobachtet werden. (vergleiche hierzu Augustin; Nr. 201; 08. Mai 2007)

2006 war die Diskussion über rechtsextreme Graffiti in Wien bereits einmal sehr präsent. Die Wiener Grünen, die Menschenrechtsorganisationen "ZARA" und "SOS Mitmensch" hatten die Diskussion forciert. Das Institut für Graffitiforschung trug zur Diskussion bei und kreierte eine Ausstellung mit Fotos zum Thema und eine entsprechende Publikation. Das war im Jahr 2007. Danach ist das Thema wieder ein wenig von der Bildfläche verschwunden. Dies bestätigt auch der Verein ZARA. In einem Artikel in der österreichischen Tageszeitung "die Presse" kann dies nachgelesen werden.

"Ob hetzerische Schmierereien tatsächlich zunehmen, ist empirisch derzeit aber nicht so leicht zu beantworten. Ein systematisches Monitoring gibt es nämlich nicht. Bekannt sind nur die Fälle, die dem Antirassismusverein Zara von aufmerksamen Passanten gemeldet werden. Dort hat man 2008 insgesamt 64 Fälle gezählt, den überwiegenden Teil davon in Wien. 2007 waren es noch 251, im Jahr 2006 sogar 793 gewesen.  Den Rückgang führt man bei Zara aber nicht darauf zurück, dass es weniger Fälle gäbe, sondern dass es 2006 zwei Sensibilisierungskampagnen gegeben habe, die in den Jahren darauf nicht weitergeführt wurden. Danach seien Wachsamkeit und Bewusstsein in der Bevölkerung wieder gesunken" (Die Presse: 07. 07. 2009).

Der ZARA Rassismus Report aus dem Jahr 2013 spricht von insgesamt 53 rassistischen Beschmierungen, die  an ZARA gemeldet wurden. 42 der Beschmierungen seien in Wien dokumentiert worden, 3 davon in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wie gesagt: dies bedeutet nicht, dass die Schmierereien weniger geworden sind, sondern eher, dass sie nicht an ZARA gemeldet werden.

Ob rassistische Schmierereien an sich schon ein Problem sind oder nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Strömung sind für mich zwei Seiten derselben Medaille.

Eine Studie zum Thema "Integration in Österreich" aus dem Jahr 2009, GfK Austria GmbH, von Peter Ulram hält folgendes bezüglich Einstellungen fest:

"Gut drei Viertel der Jungen stimmen mit der Ansicht überein, dass die meisten Ausländer Arbeiten machen, für die sich kaum noch Österreicher finden; mehr als Sechs von Zehn, dass die österreichische Wirtschaft ohne die vielen Ausländer gar nicht mehr auskommen könne bzw. halten Ausländer für eine Bereicherung des Landes. 45% treten dafür ein, dass Österreich vermehrt Einwanderer mit Kindern aufnehmen sollte, damit die Wirtschaft läuft und die Pensionen gesichert sind. Frauen, junge Menschen mit höherer Bildung, Personen, die wenige Probleme mit Ausländern orten bzw. keine schlechten Erfahrungen mit Ausländern gemacht haben, sowie Befragte mit Migrationshintergrund stimmen diesen Ansichten überdurchschnittlich zu.

Zugleich meinen 58%, dass es schon zu viele Ausländer in Österreich gibt, 43 Prozent befürchten, dass mit den Ausländern vor allem Kriminalität kommt, und ein Viertel (24%) meint, dass die vielen Ausländer den Österreichern die Arbeit wegnehmen. Diese Statements werden überdurchschnittlich von Männern, der unteren Bildungsschichte bzw. Befragten aus unteren Sozialmilieus sowie von jenen befürwortet, die große Probleme mit Ausländern sehen und schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Ein Vergleich mit der österreichischen Gesamtbevölkerung zeigt, dass die Haltung der Letzteren im Regelfall ausländerskeptisch er ist, zudem hat sich von 2004-2008 der Prozentsatz jener vergrößert, die eine Gefährdung „österreichischer“ Arbeitsplätze durch Ausländer befürchten bzw. jener verringert, die meinen, Österreich brauche Arbeitskräfte aus dem Ausland" GfK; 2009; 82)

Die Studie ist bekannt und teilweise auch umstritten, da sie einen Schwerpunkt auf die muslimische / türkische Bevölkerung setzt.  Die Gefahr, dass die Gleichung Ausländer=Muslime noch verstärkt wird, ist gegeben. Daher ist es vielleicht wichtig noch eine weitere Studie zu zitieren.

Die österreichische Tageszeitung "Der Standard" präsentiert am 17. 01. 2012 in einem Beitrag die "Europäische Wertestudie". Die Studie vergleicht 45 Länder. Ein Ergebnis dieser Studie wird wie folgt zusammen gefasst:

"Auffallend ist laut den Studienautoren Sieglinde Rosenberger und Gilg Seeber, dass die Antipathie gegenüber MigrantInnen im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 in Österreich am stärksten zugenommen habe. 1999 lag Österreich noch im Mittelfeld der "Antipathielandschaft". Besonders deutlich wurde die negative Einstellung gegenüber Ausländern im Jahr 2008.

Aber auch die Ablehnung gegenüber Minderheiten und Randgruppen ist in Österreich sehr hoch: Bei der Frage nach der negativen Einstellung zu "MigrantInnen, Juden und Romani" liegt Österreich an zweiter Stelle."

Ein kausaler Zusammenhang zwischen Schmierereien und Einstellungen kann nie eindeutig belegt werden. Die Koinzidenz ist jedoch mehr als auffällig. Ein umfassendes Monitoring ist nicht nur wünschenswert, sondern ein wichtiges Instrument für das Gemeinwohl.

Übrigens wurde die Schmiererei nicht irgendwo fotografiert, sondern direkt bei der Straßenbahnstation Burgtheater / Rathausplatz. Also Mitten in der Wiener Innenstadt. Sehr belebt, sehr populär vor allem in der Vorweihnachtszeit. Ich will gar nicht wissen, wie viele Menschen - punschbeseelt - beim Anblick dieses Statements innerlich zugestimmt haben.

Verwendete Literatur und Links:



 




Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

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