Freitag, 23. Januar 2015

Wohnen, das polarisierende Grundbedürfnis

MARTIN PUTSCHÖGL
23. Jänner 2015, 12:32

Die Immobilienwirtschaft ließ untersuchen, wie es mit der Leistbarkeit in Österreich aussieht. Gut, aber mit Schwächen, so das Ergebnis
Die steigenden Wohnkosten sorgen seit geraumer Zeit für Diskussionen. Um die Diskussion etwas zu versachlichen, hat der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI) nun bei Agnes Streissler-Führer, einer unabhängigen Ökonomin (Wirtschaftspolitische Projektberatung e. U.) mit Vergangenheit in der Wiener Arbeiterkammer, eine Studie in Auftrag gegeben. Dass die Versachlichung damit gelungen ist, darf allerdings bezweifelt werden. Doch der Reihe nach.
Wohnkosten unter EU-Schnitt
Die Ökonomin hat für ihre am Donnerstag vorgestellte Studie Daten von Eurostat, Statistik Austria, Arbeiterkammer, WKÖ und OECD neu analysiert. Anhand dessen wies sie etwa darauf hin, dass die durchschnittlichen monatlichen Kosten für eine österreichische Mietwohnung (inkl. Betriebs- und Energiekosten) mit 602 Euro unter dem EU-15-Schnitt von 617 Euro liegen (gerechnet nach Kaufkraftparitäten). Betrachtet man nur die Statistik für Alleinerziehende, so liegen diese mit 642 Euro jedoch über dem entsprechenden EU-Schnitt von 602 Euro; Single-Senioren-Haushalte (über 65-Jährige) wiederum zahlen hierzulande mit 440 Euro im Schnitt weniger als in der EU (471 Euro). Wohnen in Österreich sei also "insgesamt sehr leistbar", zeige bei differenzierterer Betrachtung allerdings auch Schwächen.
Diese offenbaren sich für Streissler-Führer insbesondere in der genaueren Analyse des Verhältnisses von gefördertem Wohnbau und privatem Mietwohnungsbereich. Zehn Prozent aller Gemeindebaumieter sowie 37 Prozent der Genossenschaftsmieter würden etwa der oberen Einkommensschicht angehören (mit mehr als 180 Prozent des Medianeinkommens), im Gegenzug würden 51 Prozent der Privatmieter ein niedriges Einkommen aufweisen (weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens). Für die Ökonomin - und erst recht für ihre Auftraggeber - ist das ein Beweis für die mangelnde Treffsicherheit des heimischen sozialen Wohnbaus.
Steigende Ansprüche
Dass sich Wohnen langfristig verteuert hat, liege allerdings auch an den gewachsenen Ansprüchen sowie der größeren Wohnfläche pro Kopf. 1986 hatte jeder Österreicher 30 Quadratmeter zur Verfügung, wobei nur 40 Prozent aller Mietwohnungen der Kategorie A angehörten. 2013 lauteten die entsprechenden Zahlen 44 Quadratmeter und 92 Prozent.
ÖVI-Präsident Georg Flödl und Geschäftsführer Anton Holzapfel fordern nun einen "Nationalen Aktionsplan zum Thema Wohnen". Die Entrümpelung der Baunormen stünde da nach ÖVI-Plänen ebenso auf der Agenda wie Maßnahmen zur Baulandmobilisierung und ein neues "marktaffines" Mietrecht.
Einkommens-Checks gefordert
Sollte Letzteres nicht kommen, wünscht man sich als "Plan B" eine Anhebung des Wiener Richtwerts von derzeit 5,39 Euro pro Quadratmeter auf "mindestens" das Niveau der Steiermark oder Salzburgs (7,44 bzw. 7,45 Euro) und/oder einen Lagezuschlag auch im Gründerzeitviertel (wo er bisher ausgeschlossen ist). Die Mittel aus höheren Mieten könnten dann den Neubau mitfinanzieren.
Ein besonders Anliegen wären der Immobilienwirtschaft freilich regelmäßige Überprüfungen, ob die Bewohner geförderter Wohnungen ihrem Einkommen zufolge noch förderungswürdig sind. Dies könne sich etwa an den Regeln für die sogenannte "Superförderung" orientieren, die es in manchem Bundesland gibt. Generell sollte die Wohnbauförderung jenen zugutekommen, die sie am dringendsten benötigen.
"Mehr Wohnbau"
Von Gemeinnützigen-Obmann Karl Wurm kam dafür prompt ein striktes Nein. Die Durchmischung im sozialen Wohnbau mithilfe relativ großzügiger Einkommensgrenzen habe sich bewährt, argumentiert Wurm, das Modell einer Fehlbelegungsabgabe hingegen - etwa in Deutschland - "überhaupt nicht". Er plädiert eher für die Ankurbelung des geförderten Wohnbaus, "da vor allem in den Ballungsräumen der Mangel an leistbaren Mietwohnungen speziell für Junge das brennendste Problem darstellt".
Mehr Wohnbau wäre allerdings ohnehin auch im Sinne des ÖVI, wie Präsident Flödl sagte. Er forderte diesbezüglich auch die vermehrte Vergabe von Baulandreserven der öffentlichen Hand im Baurecht, und außerdem hieße er es durchaus gut, wenn Wien wieder Gemeindewohnungen baute. Denn immerhin sei Wohnen ein Grundbedürfnis - das wird gleich am Beginn der Studie unmissverständlich betont. (Martin Putschögl, DER STANDARD, 24.1.2015)

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