Dienstag, 27. Januar 2015

Wiener Menetekel: Gewogen und zu schiach befunden

Mit Schriften an der Wand kann man ja, alttestamentarisch gesehen, ziemlich herbe Erfahrungen machen.
   (Die Presse)
Mit Schriften an der Wand kann man ja, alttestamentarisch gesehen, ziemlich herbe Erfahrungen machen. Freilich, nicht jede kommt düster wie das biblische Menetekel daher. Eine der besteingeführten Wandschriften Wiens etwa gibt sich nüchtern-pragmatisch: „Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren . . .“ kündet so gut wie jeder Gemeindebau von Feuer- oder sonstiger Mauer, und da ist nichts, was bedrohlich oder auch nur mysteriös schiene.
Womit sich die Sache schon erledigt hätte, wäre da nicht diese Schrift am Klose-Hof, Wien Döbling. Der nämlich ist „erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren 1924 und 1925“ – und zwar „nach den Plänen des Architekten Prof. Dr. Josef Hoffmann“. Ein Zusatz, der stutzig macht. Schließlich hielt sich die magistratische Praxis mit der öffentlichen Nennung jener, die für die Planung all der guten Gemeindebaudinge verantwortlich zeichneten, auffallend zurück.
Wieso ausgerechnet Josef Hoffmann so seltene Fassadenehre zuteil wurde? Womöglich, weil sie keine Ehre war. Mag man auch heutzutage kundigerseits den Klose-Hof „zum Feinsten“ zählen, „was der Wiener soziale Wohnbau zu bieten hatte“, so schien er manchen Zeitgenossen der 1920er „kahl“, „nackt“, ein „ungeheurer Würfel“. Kurz: ein kleiner Gemeindebauskandal. Auf den das zuständige Stadtbauamt augenscheinlich reagierte, wie es Ämter bis heute gerne tun: Man putzte sich magistratisch ab. Der Name des Planers, an der Wand kundgetan, lenkte jedenfalls die zornigen Blicke der Öffentlichkeit weg vom Bauherrn Gemeinde hin zum bösen Architekten.
Hoffmann selbst mutmaßte in der „Arbeiter-Zeitung“, das Stadtbauamt habe seine Urheberschaft so kenntlich gemacht, „um mir zur Strafe alle Verantwortung zu überlassen“. Der Architekt: ein Herr Belsazar, dessen Werk von demselben Stadtbauamt, das es in Auftrag gegeben und errichtet hatte, dann doch gewogen und zu schiach befunden ward. Menetekel nach Amtsart: wie man sich reinwäscht, ohne sich nass zu machen.

Josef Hoffmann studierte von 1892 bis 1895 an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Carl Freiherr von Hasenauer und Otto Wagner, in dessen Atelier er seine Laufbahn begann (Mitarbeit an der Wiener Stadtbahn).

Als Mitbegründer der Wiener Secession 1897 wurde er neben Joseph Maria Olbrich zu deren führendem Architekten (Ausstellungs- und Innenraumgestaltungen).
Von 1899 bis 1937 war er Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule. Mit F. Waerndorfer und Kolo Moser gründete Hoffmann 1903 dieWiener Werkstätte, die eine führende Rolle im österreichischen Kunstgewerbe spielte, bis sie 1932 aufgrund wirtschaftlicher Probleme geschlossen werden musste.
1912 gründete Hoffmann den Österreichischen Werkbund, dem er bis 1920 angehörte.

Seine bedeutendsten Leistungen im Monumentalen stellen das Sanatorium in Purkersdorf, Niederösterreich, (1903-05, 1927) und das Palais Stoclet (1905-11) in Brüssel dar. In Wien schuf Hoffmann zahlreiche Villenbauten, unter anderem in den Villenkolonien Hohe Warte und Kaasgraben (beide Wien 19) sowie in der Werkbundsiedlung (Wien 13). Auch mehrere Gemeindebauten (teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Architekten) stammen von Hoffmann (unter anderem Klosehof, Wien 19, Winarskyhof mit P. Behrens, J. Frank, O. Strnad und O. Wlach, Wien 20).
Innenraumgestaltungen schuf Hoffmann unter anderem für das Kabarett "Fledermaus" (1909), die Österreichische Staatsdruckerei (1909) und das Grabencafé (1912).

Ein häufig wiederkehrendes Motiv in seinen Werken ist das Quadrat ("Quadratl-Hoffmann"). Als einer der Wegweiser des Wiener Jugendstils stieß Hoffmann zu Beginn des Jahrhunderts zunächst zu einer radikalen, an kubistisch-abstrakte Gestaltungen gemahnenden Form vor, folgte dann aber gemäßigteren Idealen und griff später generationstypisch auch klassizistische Elemente auf (Villa Skywa-Primavesi, 1913-15), zum Teil nahm er auch Merkmale des Art déco vorweg.
1950 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis geehrt.

Text aus dem Buch "Große Österreicher":


Solange nicht unsere Städte, unsere Häuser, unsere Räume, unsere Schränke, unsere Geräte, unsere Kleider und unser Schmuck, solange nicht unsere Sprache und unsere Gefühle in schlichter, einfacher und schöner Art den Geist unserer eigenen Zeit versinnbildlichen, sind wir unendlich weit gegen unsere Vorfahren zurück, und keine Lüge kann uns über alle diese Schwächen täuschen.“ Der Mann, der dies schrieb, war 35 Jahre alt und von Beruf etwas, das heute nichts Ungewöhnliches ist, im Gegenteil: das gleichsam zum Alltag gehört. Damals, 1905, war es anders: das Wort „Design“ war noch nicht in das Vokabular des Selbstverständlichen eingereiht worden, und wenn man sich, wie Josef Hoffmann, „Entwerfer“ nannte, wussten nur die Eingeweihten, was damit gemeint war.
Man würde den Architekten, dessen Idee, Gebrauchsgegenstände auch künstlerisch schön zu gestalten, Wien zu einem Zentrum des Kunstgewerbes gemacht hat, heute wohl zu Recht als Designer bezeichnen. Josef Hoffmann war viel mehr als das. Er war einer der bedeutendsten Baukünstler der Jugendstilepoche und er hat, als Gründer der „Wiener Werkstätte“, einen neuen Stil auch für jene Gegenstände geprägt, die tagtäglich zur Hand genommen werden.
Nicht zuletzt für Messer, Gabel und Löffel. Josef Hoffmann ist neben Otto Wagner und Clemens Holzmeister einer der großen Architekten, die Österreich in den letzten 100 Jahren hervorgebracht hat. Aber er ist, wie gesagt, mehr gewesen. Er hat eine Epoche geprägt. Er ist der Repräsentant des Wiener Jugendstils schlechthin.
Man sagt, dass Josef Franz Maria Hoffmann früh zur Form und deren Prägung hingezogen worden sei, weil seine Familie an der fürstlich Collaltoschen Kattunfabrik beteiligt war und schon als Bub habe Hoffmann mit Handdruckmodeln gespielt. Das mag Legende sein; Tatsache ist, daß Josef Hoffmann, Sohn des Bürgermeisters von Pirnitz im Bezirk Iglau in Mähren, den Wunsch seines Vaters, Jurist zu werden, nicht erfüllte er fühlte sich mehr zur Technik hingezogen. Die verständigen Eltern schickten ihn daraufhin auf die Staatsgewerbeschule nach Brünn von wo er hervorragende Noten heimbrachte und schließlich, nach einem Praktikantenjahr am Militärbauamt in Würzburg, an die Akademie der bildenden Künste nach Wien.
Hier war einer der ganz Großen sein Lehrer: Otto Wagner. Hier atmete Josef Hoffmann das ein, was man später als „Moderne“ umschrieb einen neuen, revolutionären, dynamischen Geist der Kunst und des Künstlertums. Kein Wunder also, dass Hoffmann mit dabei war, als sich kurz vor der Jahrhundertwende die berühmte Spaltung der Wiener Künstlerschaft in einen traditionellen und einen neuen Zweig vollzog, und die Jungen, die „Neuen“ die bezeichnenderweise einen ganz alten, aber junggebliebenen großen Künstler, Rudolf von Alt, als Galionsfigur hatten in der „Secession“ ihre neue Heimstatt fanden. „Secession“ hieß erst nur die Künstlervereinigung, „Ver sacrum“ heiliger Frühling wurde ihre Zeitschrift getauft. Aber bald gab es gebaut von J. M. Olbrich auch schon ein Ausstellungsgebäude für die „modernen“ Künstler, eben die „Secession“. Und Hoffmann richtete dort die Büros ein.
Denn zu dieser Zeit hatte der junge Archtitekt bereits seinen eigenen Stil entdeckt und vor allem auch in der Einrichtung, bei den Interieurs, realisiert. Es war ein glatter, gleichsam rechtwinkeliger, einfacher, würfeliger Stil. Erste Anregungen dazu hat Hoffmann wohl in Süditalien erhalten, wo er, zum Abschluss seines Architekturstudiums mit dem Rom Preis der Akademie geehrt. ein Jahr lang lebte. Die kubischen Häuser, die flachen Dächer, die glatten Fassaden haben ihn tief beeindruckt.
„Architektonisches von der Insel Capri“ nannte er seinen Bericht, den er 1897 in der Zeitschrift „Architekt“ veröffentlichte. Bis jetzt sei es noch nicht gelungen, „einen wirklich brauchbaren Typus eines modernen Landhauses zu schaffen“, schrieb er damals. Und er habe wie ein Hoffmann Experte, Heribert Hutter, meint schon damals eine Art von künstlerischem Programm entwickelt, als er die Auffassung äußerte. dass „auch bei uns einmal die Stunde schlagen wird, wo man die Tapete die Deckenmalerei wie die Möbel und Nutzgegenstände nicht beim Händler. sondern beim Künstler bestellen wird“.
Hoffmann, der zuerst mit Otto Wagner zusammenarbeitete, ist bald als Lehrer an die Wiener Kunstgewerbeschule gerufen worden. In dieser Funktion kam er in Kontakt mit britischen Künstlerkreisen, unter anderem mit der „Guild of Handicraft“, die jene Richtung vertrat, die der Wiener Architekt und „Entwerfer“ so eindrucksvoll verfocht: die formschöne Gestaltung von Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Sie war nur eine logische Folge des Hoffmanschen Interieur Stils, der in direktem Gegensatz zur überladenen Dekoration der Makart Zeit stand. Die neue Zeit rief nach neuen Formen Josef Hoffmann und seine Freunde präsentierten sie.
Und als sich schließlich auch ein Mäzen fand, der Industrielle Fritz Warendorfer, konnte dieser Stil der neuen, glatten, modernen Form auch institutionalisiert werden. Hoffmann gründete ein Atelier, das formschöne Gebrauchsgegenstände entwerfen sollte, und nannte es „Wiener Werkstätte“. „Sie soll auf heimischem Boden, mitten im frohen Lärm des Handwerks, einen Ruhepunkt schaffen“, schrieb ihr Gründer. „Wir wollen einen innigen Kontakt zwischen Publikum, Entwerfer und Handwerker herstellen und gutes, einfaches Hausgerät schaffen. Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist unsere erste Bedingung, unsere Stärke soll in guten Verhältnissen und in guter Materialbehandlung bestehen.“
Dieses Programm das Programm der „Wiener Werkstätte“ hat Josef Hoffmann zum Inhalt seines gesamten künstlerischen Schaffens gemacht. Es gilt nicht nur für die kunstgewerblichen Arbeiten, wo vor allem die Funktionalität im Vordergrund stand, aber nie die Einzelfunktion, sondern stets das Zusammenwirken der Einzelgegenstände bedacht worden ist. Hoffmann hat dies in einer Ausstellung „Der gedeckte Tisch“ eindrucksvoll demonstriert jedes Be¬steckstück, jeder Teil der Tischdekoration war auf die Gesamtheit abgestimmt.
Dieses Funktionalitätsprogramm galt auch für den Baukünstler Hoffmann, den Villenbauer zumal: die Stadtvilla ist ja seit seiner Italienreise ein Mittelpunkt seiner architektonischen Ideen gewesen. Seine Häuser sie stehen heute meist unter Denkmalschutz zeigten jene quadratischen, rechtwinkeligen, würfeligen Formen mit vielen Ebenen, wie er sie im Süden kennengelernt hatte.
Funktionell waren auch die vielen Geschäftseinrichtungen, in denen Hoffmann seinen Stil verwirklichen konnte. Eines seiner Hauptwerke aber war das Sanatorium Purkersdorf, das wenngleich stillgelegt und zeitweilig vom Verfall bedroht europaweite Berühmtheit als architektonisches Juwel des Jugendstils erhalten hat.

Josef Hoffmann ist 1956 gestorben, im hohen Alter und geehrt von aller Welt. Er hat Spuren hinterlassen nicht alle sind verweht. Er hat das österreichische Kunstgewerbe zur Weltgeltung gehoben. Er war dabei, als Wien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu einer Metropole moderner Architektur wurde. Und er hat sein Wissen weitergegeben. Seine Kunst, die der einfachen Form, ist zeitlos.

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