Dass eine Partei mit 44,3 Prozent der Stimmen in
allen Ausschüssen über die absolute Mehrheit und damit die absolute Macht
verfügt, ist ein demokratiepolitisch unhaltbarer Zustand. Hier ist eine
demokratische Grenze eindeutig überschritten. Auch die Wiener SPÖ muss
sich an demokratiepolitische Standards halten. Die vergangenen Freitag von SPÖ
und Grünen verkündete Einigung auf eine Nicht-Einigung war aber ganz
offensichtlich eine Farce. Häupl muss noch vor der Wahl alle Register
ziehen um nicht ganz verloren zu gehen. Und was bedeutet schon Demokratie für
ihn, wenn es um seinen Posten geht?
„Ich werde meinen Freunden nicht raten, für
etwas zu stimmen, wo sie im Plenum dagegen waren“, ließ Häupl am Dienstag
wissen. „Wir sind ja nicht von einem Tag auf den anderen schizophren geworden“,
befand Häupl am Rande eines Pressetermins.
„Mache mir nicht den
geringsten Vorwurf“
„Wir haben dazu eine
klare Meinung“, untermauerte Häupl das Nein der SPÖ. Man habe in den
Verhandlungen ein Angebot gemacht, das die eigene Fraktion zwei Mandate (beim
Wahlergebnis 2010 als Ausgangsbasis, Anm.) gekostet hätte: „Wenn der Koalitionspartner
meint, dass er mit ÖVP und FPÖ eher gemeinsame Sache macht als mit uns, dann
muss er das selbst verantworten. Ich mache mir nicht den geringsten Vorwurf.“
„Ich bin der tiefen Überzeugung, dass es in
Wien ein demokratisches mehrheitsförderndes Wahlrecht gibt. Ich verstehe manche
Vorwürfe gar nicht, denn in Wien zählt zum Beispiel die Wahl der Parteien noch
mehr als die Wahl einer Person. Das ist auch etwas, was bewahrenswürdig ist“,
sagte Häupl gegenüber „Wien heute“.
Die Grünen erklärten
nach der gescheiterten Wahlrechtsreform, einen eigenen Antrag zwecks
Wahlrechtsänderung bzw. Eliminierung des umstrittenen mehrheitsfördernden und
damit die SPÖ begünstigenden Faktors einbringen zu wollen. Sollte die
Opposition - wie bereits angekündigt - zustimmen, hätte man im Landtag eine
mandatsmäßige Mehrheit von 51 zu 49 SPÖ-Stimmen. Das Problem: Vor der
Abstimmung im Stadtparlament muss ein Initiativantrag den zuständigen Ausschuss
passieren - und in diesem hat die SPÖ nach wie vor die absolute Mehrheit.
Kritik von Grünen und
ÖVP
Die Grünen zeigten
sich verärgert über Häupls Ankündigung einer Blockade. „Die SPÖ versucht
offenbar, mit aller Kraft ihre Privilegien zu erhalten“, sagte eine Sprecherin.
Es ändere sich jedenfalls nichts an dem Plan, im Landtag eine namentliche
Abstimmung über ein Verhältniswahlrecht zu erreichen. Häupls Aussage, wonach
die SPÖ in den Wahlrechtsverhandlungen dem kleinen Koalitionspartner ein
Angebot gemacht habe (das die SPÖ zwei Mandate gekostet habe), bestreiten die
Grünen: „Niemals hat uns die SPÖ so ein Angebot gemacht.“ Die SPÖ erklärte
wiederum gegenüber ORF.at, man habe ein solches sehr wohl gemacht.
Verärgert zeigte sich
auch die ÖVP. Landesparteichef Manfred Juraczka sprach via Aussendung von einem
„demokratiepolitisch gefährlichen Spiel“. „Dass eine Partei mit 44,3 Prozent
der Stimmen in allen Ausschüssen über die absolute Mehrheit und damit die
absolute Macht verfügt, ist ein demokratiepolitisch unhaltbarer Zustand“, so
Juraczka. Schon dieser Umstand zeige, wie nötig eine Wahlrechtsreform in Wien
sei: „Ich warne die SPÖ davor, den Beschluss eines fairen Wahlrechts durch
Nicht-Zulassung eines Abänderungsantrags vonseiten des Landtagspräsidenten zu
blockieren.“
Kopietz schließt nicht
aus, einen solchen Antrag zuzulassen. Allerdings will er ihn vorher eingehend
prüfen. „Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass Beschlüsse der
Stadtverfassung, der Geschäftsordnung oder auch den Fraktionsvereinbarungen
entsprechen“, sagte Kopietz am Dienstag im APA-Gespräch. Den angekündigten
Antrag kenne er noch nicht, darum könne er ihn auch noch nicht beurteilen.
Sobald der Antrag vorliege und man wisse, wie er laute, werde er ihn jedoch von
Verfassungsjuristen prüfen lassen - und dann eine Entscheidung fällen, so
Kopietz.
Grüne, FPÖ und ÖVP
wollen Blockade umgehen
Da die
Ausschussvariante also aussichtslos werden dürfte, dürften die Pläne von Grünen
und Opposition, ein SPÖ-Veto via Abänderungs- oder Zusatzantrag zu umschiffen,
umso notwendiger werden. Und tatsächlich wird derzeit bei Grün, Schwarz und
Blau bereits an entsprechenden Anträgen gefeilt. Nach den Grünen kündigten am
Dienstag auch die Wiener Freiheitlichen gegenüber der APA einen eigenen Antrag
in Sachen Änderung des Wahlrechts an.
„Es bleibt die
Möglichkeit, zu der von der rot-grünen Koalition vorangekündigten
Gesetzesvorlage bezüglich der Sanierung der Gemeindewahlordnung hinsichtlich
der verfassungswidrigen Bestimmungen zur Nachfrist für die Briefwahlstimmen
einen Zusatzantrag zu stellen“, meinte Verfassungssprecher Dietbert Kowarik.
Dieser könne von jedem Abgeordneten ohne vorherige Behandlung im Ausschuss
eingebracht werden. Man lade daher die anderen Fraktionen ein, gemeinsam einen
Zusatzantrag zu formulieren, einzubringen und zu beschließen.
Wahltermin zuerst „mit
Freunden“ besprechen
In diesem Fall gibt es
allerdings das Problem, dass der Zusatzantrag vom Landtagspräsidenten als
unzulässig eingestuft und damit begraben werden kann. Und den
Landtagspräsidenten stellt mit Harry Kopietz derzeit die SPÖ. Kowarik zeigt
sich allerdings optimistisch, dass Kopietz bei diesem wichtigen Thema nicht
eingreifen werde. Immerhin seien ähnliche Zusatzanträge in der Vergangenheit
bereits mehrfach zugelassen worden. „Sollte sich der Herr Präsident aber
tatsächlich dazu hinreißen lassen, Parteigehorsam vor überparteilicher
Amtsführung zu stellen, garantiere ich einen Sitzungsverlauf, den der Herr
Präsident so schnell nicht vergessen wird.“
Was den Wahltermin
anbelangt, wiederholte Häupl heute seinen Plan, diesen zuerst „mit meinen
Freunden“ sowie mit den Grünen besprechen zu wollen. Außerdem müsse man
diesbezüglich eine „Einschätzung treffen, wie sich die Gespräche auf
Bundesebene im Hinblick auf die Steuerreform entwickeln“, räumte der
Bürgermeister ein. Er versprach allerdings, die Spekulationen über den
Wahltermin - kolportiert wird eine Vorverlegung von Herbst auf Juni -
„demnächst“ zu beenden.
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