Allein
in der österreichischen Hauptstadt hat der Wiener Architekt Harry Glück 16 000
(von insgesamt 18 000) Wohnungen errichtet. Obwohl Glück in den 1970er Jahren
der meistbeschäftigte Architekt der Stadt war (und ein Büro mit über hundert Angestellten
führte) und obwohl die meisten seiner Bauten – darunter viele Sozialwohnungen –
bis heute in überdurchschnittlich gutem Zustand und vor allem beliebt sind, ist
sein Einfluss auf den neueren Wiener Wohnbau gering geblieben. Dennoch wird
Glück, der dieses Jahr seinen 90. Geburtstag feiern kann, von seiner
Geburtsstadt Wien zu Recht mit dem Goldenen Ehrenzeichen sowie einer
Publikation zu seinen Wohnbauten geehrt.
Harry
Glück ist in erster Linie der Entwerfer einiger bemerkenswerter Terrassenhäuser,
deren erstes 1974 in der Inzersdorferstrasse in Wien entstand. Bereits hier
sind einige der charakteristischen Prinzipien, die gerade für den sozialen
Wohnbau neue Qualitäten bedeuteten, verwirklicht: privater Grünraum,
Gemeinschaftsflächen und Dachschwimmbäder. «Wohnen wie die Reichen» oder «Luxus
im sozialen Wohnbau» waren die Slogans, mit denen Glück im noch weitgehend von
Mangelwirtschaft geprägten Österreich für Furore sorgte.
Dabei
wurden seine Bauten formal wegen ihres konventionellen Erscheinungsbildes, aber
gerade auch wegen der genannten Ansprüche für eine «privilegierte
Mittelschicht» zunächst heftig angefeindet. Vor allem Glücks bekannteste
Wohnanlage, die Grosssiedlung «Wohnpark Alt-Erlaa» im Süden Wiens, wurde
aufgrund ihrer Monumentalität und eines «unmenschlichen Wohn- und Städtebaus»
kritisiert. Alt-Erlaa besteht aus drei gigantischen Blöcken, die 300 Meter lang
und bis zu 94 Meter hoch sind. Durch die Türmung auf einem breiten Sockel
gelang es Harry Glück jedoch, jede einzelne Wohneinheit mit eigener, besonnter
Terrasse auszustatten. Die Wohntürme Alt-Erlaas gehören heute zum Stadtbild
Wiens. Die geringe Mieterfluktuation spricht offenbar für außerordentliche
Wohnzufriedenheit.
Der nun
vom Stadtplaner Reinhard Seiss herausgegebene Band über Glücks Siedlungsbauten
versucht aus heutiger Perspektive eine Neubeurteilung des Vielbeschäftigten
unter dem Aspekt des sozialen Wohnbaus. Welche Kriterien müssen angesetzt
werden, um die «Architektur an den Bedürfnissen der Massen» zu orientieren? Seiss
rückt Glücks «pionierhaftes Werk», das durch «die damalige Ignoranz» der
«Publizistik und der Architektenschaft» lange Zeit nicht adäquat gewürdigt
worden sei, mit diesem Buch zu Recht in den Mittelpunkt. Allerdings werden die
überschaubaren, im Wesentlichen auf drei Prinzipien beruhenden Qualitäten von
Glücks Architektur bei aller Breitenwirksamkeit über das nötige Maß strapaziert
und in zum Teil redundanten Textbeiträgen betont – mehr, als für eine reine
Würdigung nötig gewesen wäre. Als informatives Überblickswerk ist die
Publikation mit den in mehreren Fotostrecken mit im wahrsten Sinne des Wortes
ins beste Licht gerückten Glück-Bauten von Hertha Hurnaus eine gelungene
Aufarbeitung des Lebenswerks eines wichtigen, wiewohl umstrittenen
österreichischen Architekten. Die dahinter stehende Absicht, den Diskurs über
den sozialen Wohnbau Wiens anzukurbeln, ist ehrenhaft. Eine gültige
Einschätzung dieses noch nicht abgeschlossenen baukünstlerischen Werks liegt
damit aber noch nicht vor.
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