Mittwoch, 3. Dezember 2014

Obdachlos im Winter

In Wien steigt die Zahl der Obdachlosen seit Jahren stetig an. 2013 gab die „Gruft“ (Notschlafstelle der Caritas in Wien-Mariahilf) an, dass sie 97.000 warme Mahlzeiten an Menschen ausgegeben haben, denen das Geld oft für das Nötigste fehlt. So viele wie noch nie zuvor. Das Problem nicht leistbarer Mieten hat die Mittelschicht längst erreicht. Über Ziffern kann man nicht reden, sie bloß schätzen. Wenigstens einige hundert schlafen immer im Freien, ebenso viele nehmen Zuflucht in den vielen Notschlafstellen der Stadt.
Lt. Wiener Tafel weist Wien mit 17% der Bevölkerung das größte Armutsrisiko auf. Längst schon geht Armut durch alle Bevölkerungsschichten. Neben den geschätzten 800 permanent Obdachlosen nehmen über 7.100 Menschen zeitweise Obdachloseneinrichtungen in Anspruch. In Wien stehen 4.500 Wohn- und Schlafplätze für Menschen ohne Wohnung zur Verfügung. Expertenschätzungen zufolge, sind in Österreich insgesamt rund 12.000 Menschen wohnungslos. Armut macht krank und einsam. Sie grenzt aus, entwürdigt den Menschen, schwächt ihn und die Gesellschaft.
Obdachlosigkeit trifft auch immer häufiger Menschen unter 30, heißt es von der Caritas. „Das Bild des klassischen Sandlers hat ausgedient. An seine Stelle treten vermehrt junge Menschen, Frauen und psychisch erkrankte Personen“, sagte Klaus Schwertner, der Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Viele von ihnen finden akut Hilfe bei der zentralen Anlaufstelle „P7“. [Mehr dazu in: Hilfe für Obdachlose: „P7“ ist zehn]
Auch immer mehr europäische Besucher in Österreich sind von Obdachlosigkeit betroffen und sie kommen aus vielen Ländern Europas, vornehmlich aber aus den früheren Ostblock-Staaten Bulgarien, Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien. Sie kommen, um Arbeit zu finden. Doch wenn das nicht funktioniert, bleiben sie trotzdem. Sie denken wohl, „besser in Wien obdachlos, als in Budapest“. Die ungarische Regierung hat bekanntlich das Übernachten auf der Straße verboten, Obdachlosen drohen Geld- und Gefängnisstrafen.
Die ersten zwei Monate sind für die Obdachlosen in den Notschlafstätten kostenlos. Danach aber müssen sie einen Kostenbeitrag von 4 € pro Nacht bezahlen, wie die Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Sonja Wehsely (SPÖ), per 1. September 2010 einführte. Sie begründete dies damals als Maßnahme „im Sinne der sozialpolitischen Steuerung“.
Mehr Zynismus geht nicht mehr.
Gleichzeitig hat die Stadt Wien noch dazu den Heizkostenzuschuß halbiert und im Winter 2012-2013 von Geldleistungen auf Sachleistungen umgestellt.
Durch Wien, diese Glitzer-Metropole, streunen nach einer Schätzung der Caritas-Einrichtung a_way mindestens 300 obdachlose Minderjährige. Seltsam frühreife Wesen mit übertriebener Selbstständigkeit, die ihre Tage mit der Beschaffung des nächsten Schlafplatzes, von Lebensmitteln und Drogen verbringen. Sie haben gelernt zu nehmen, was kommt, auch wenn nichts kommt. Seit der frühen Kindheit in desolaten Familien misshandelt, vernachlässigt, traumatisiert und schließlich verjagt.
Im Vorjahr wurden aufgrund von Anrainerbeschwerden, die Obdachlosen aus dem Stadtpark von der Polizei vertrieben. Im Anschluß daran herrschte große Aufregung bei allen NGOs, den Ämtern und der Bevölkerung. Der Vorschlag, eine Zeltstadt zur Verfügung zu stellen, wurde abgelehnt. Eine Expertenkommission sollte etabliert werden, dies fand jedoch keine Mehrheit. Ob sonst jemand über eine gute Lösung nachdachte, ist fraglich. Und der nächste Winter steht schon vor der Tür.


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