Der Kongress hat getanzt und Wien hat verdrängt
Gastkommentar von Andreas Unterberger:
Die Stadt Wien hat sich entschlossen, von den zwei 2015 anstehenden großen
Jubiläen das eine fast ganz zu ignorieren und das andere nur lustlos
anzusprechen. Das ist doppelt unklug.Das erste, das total verdrängte Jubiläum hätte an den Wiener Kongress 1815 erinnern müssen. Denn dieser hatte trotz vieler Schattenseiten ein ganzes Friedens-Jahrhundert ohne so große Kriege wie davor und danach ermöglicht. Wien war damals die bedeutendste weltpolitische Drehscheibe in einer Intensität, wie es das heute höchstens bisweilen New York mit dem UNO-Sitz ist. Das was da vor 200 Jahren in Wien geschah, wäre eines ebenso intensiven Rückbesinnens, Reflektierens und auch Kritisierens wert gewesen, wie etwa im ablaufenden Jahr die Ereignisse vor 100 Jahren des großen Gedenkens würdig gewesen sind.
Es ist zwar irgendwie klar, dass die heutigen Stadtherren
wenig Sympathie für die 1815 fixierte konservativ-monarchische Restauration
haben. Aber es ist dennoch Faktum, dass damals eine Neuordnung Europas gelungen
ist, die dem Kontinent nicht nur ein ganzes Jahrhundert größere Kriege erspart
hat, sondern die auch eine unglaubliche industrielle, wissenschaftliche und
kulturelle Entwicklung ermöglicht hatte.
Auch wenn vielen die Friedensordnung des Wiener Kongresses
heute völlig überholt erscheint, so hat doch etwa ein Henry Kissinger, der
wahrscheinlich größte weltpolitische Denker der Nachkriegszeit, sie immer
wieder als Vorbild in den Mittelpunkt seines Denkens gerückt.
Aber In Österreich selber befasst sich seit längerem kaum
jemand mehr mit dem Kongress und seiner Epoche. Die heimischen Historiker sind
geistig weitgehend auf die Aufarbeitung auch des letzten winzigen Details der
NS-Zeit reduziert, sodass es kaum einen unter ihnen gibt, der mit Relevanz über
das 19. Jahrhundert reflektieren könnte. Und Politikwissenschaftler gibt es ja
hierzulande überhaupt keine mehr von irgendeiner Bedeutung (die Uni Wien hat in
dieser Disziplin statt interessanter Persönlichkeiten marxistische
DDR-Nostalgiker geholt, an denen in Deutschland naturgemäß niemand mehr Bedarf
hatte).
Aber selbst jenseits einer wissenschaftlichen Befassung mit
der historischen Bedeutung des Wiener Kongresses hätte Wien zumindest
touristisch das Bild jener Monate geschickt aufgreifen und vermarkten können.
Man denke nur an die schier unendliche Reihe von Veranstaltungen, Vergnügungen,
Bällen, Intrigen, Amouren rund um die monatelange Ansammlung der mächtigsten
Männer Europas. Man denke nur an die vielen literarischen Werke, die sich
seither damit – fiktional oder faktenbasiert – befasst haben.
Der Kongress hat getanzt, aber das heutige Wien schläft dazu.
Wien lässt damit eine große Chance der internationalen
Selbstdarstellung aus – sowohl in intellektueller wie auch in touristischer
Hinsicht. Statt dessen konzentrieren sich die Stadt und ihre Machthaber 2015
ganz auf die Abhaltung eines Fernseh-Schlager-Wettbewerbs, der zum Megaereignis
stilisiert wird, obwohl sich etwa in Deutschland alle großen Schlagerstars wie
etwa Helene Fischer weigern, da mitzumachen.
Aber die Stadt bewegt sich halt auf dem geistigen Niveau der
Rathausmänner und -frauen . . .
Die
explosive Ringstraße
Nicht ganz, sondern nur halb ignoriert wird das zweite
Jubiläum des anbrechenden Jahres: 150 Jahre Ringstraße. Auch das ist zweifellos
ein legitimes Gedenkobjekt. Sind doch die Ringstraße und die Gebäude rings um
sie – bis hin zur so genannten Zweierlinie – zweifellos in ihrer
Geschlossenheit und Schönheit das Imposanteste und Wichtigste am ganzen Wiener
Stadtbild. Die Ringstraße war und ist ein städteplanerischer Wurf, den es in
dieser Wucht kaum irgendwo sonst gibt. Sie hat eine ganze – auch nach ihr
benannte – Stilepoche geprägt. Sie ist zusammen mit dem gotischen Dom und den
barocken Schlössern der weltweit berühmte Inbegriff dieser Stadt.
Die Ringstraße hat – bisher – auch weitgehend alle Attacken
moderner Spekulationsinteressen und politischer Eitelkeit (oder Korruption)
überstanden. Wenn man von einigen verbrecherischen Dachbodenausbauten (etwa
Hegelgasse/Himmelpfortgasse) und dem nach wie vor hässlichen Ringturm samt
Umgebung absieht. Mit dem geplanten Hochhaus neben dem Konzerthaus ist freilich
der Zerstörungsschlag schon in Vorbereitung.
Aber nicht nur wegen dieses (nur der Wahlen wegen jetzt
zurückgehaltenen) Wahnsinnsprojekts ist es für die heutigen Stadtherren
gefährlich, den Ringstraßenbau allzu sehr in den Vordergrund zu rücken. Das
historische Gedenken ist nämlich für sie gleich in dreifacher Hinsicht
politisch explosiv. Sie gedenken daher nur pro forma und nicht einmal annähernd
etwa mit der Intensität, mit der Paris Jubiläen seines Eiffelturms begeht.
Denn:
Auftrag, Konzeption und Durchführung des Ringstraßenbaus war der eines
neoabsolutistisch regierenden Kaisers und dann einer liberalen Stadtverwaltung
gewesen. Beide aber sind für die heutige rotgrüne Rathausmannschaft
Hassobjekte.Die Ringstraße erinnert geradezu täglich daran, dass in den letzten hundert Jahren in Wien absolut nichts mehr von städtebaulichem Format gebaut worden ist. Die U-Bahn wurde um viele Jahrzehnte zu spät begonnen; und keines der Hochhäuser an der Donau hat auch nur im Entferntesten die architektonische Kreativität oder gar touristische Anziehungskraft, wie es die Hochhausviertel von Paris oder London haben; von nordamerikanischen oder asiatischen Metropolen ganz zu schweigen. Noch peinlicher ist für die heutigen Rathausherren, dass der letzte visionäre und gestaltende Bürgermeister dieser Stadt ausgerechnet der von ihnen verabscheute Karl Lueger gewesen ist. Und selbst die einzige halbwegs interessante moderne Architektur – die neue Wirtschaftsuniversität – ist ohne Zutun des Ratshauses entstanden.
Und schließlich war die finanzielle Konstruktion des Ringstraßenbaus ein Musterbeispiel für das, was die Linke heute als Neoliberalismus verteufelt. Mit einem anderen modernen Ausdruck kann man auch von einer genial gelungenen „Private Public Partnership“ sprechen. Das ganze Projekt hat dem Steuerzahler nämlich nichts gekostet. Denn die Grundstücke für die vielen privaten Ringstraßenpalais (die sich aber sehr präzisen planerischen Vorgaben zu unterwerfen hatten!) wurden so teuer verkauft, dass mit dem dadurch eingenommenen Geld all die öffentlichen Repräsentationsbauten finanziert werden konnten.
Keinen dieser drei Aspekte des Ringstraßenbaus will die
heutige Gemeinde Wien naturgemäß ansprechen. Sie passen nicht ins rotgrüne
Weltbild, welches das 19. Jahrhundert ja nur in den dunkelsten Farben sehen
will. Also wird 2015 auch das Ringstraßen-Jubiläum nur extrem schaumgebremst
gefeiert werden. Also wird auch diese Chance vergeben werden, wie Wien sich und
seine große Geschichte darstellen und reflektieren könnte.
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