Donnerstag, 12. Dezember 2013

Temporär obdachlos

In der Kälte ist man aufmerksamer: Wie kannst du helfen, wenn du jemanden im Freien schlafen siehst und das nicht ignorieren willst?
„Wohnungslosigkeit heilt man nicht mit Schlafsäcken", erklärt Martin Auferbauer im Schlupfhaus in Graz. Die Einrichtung war die erste ihrer Art in Österreich: Gebaut als Notschlafstelle für Mädchen und Burschen unter 21 Jahren, hat sich das Schlupfhaus bewährt. Martin Auferbauer leitet das Haus, das keine zwanzig Gehminuten von der Innenstadt liegt. "Es muss einem bewusst sein, dass hinter Obdachlosigkeit Problematiken stehen, die natürlich mehr brauchen. Aber auf der anderen Seite ist diese Unterstützung mit einem Schlafsack in der Akutsituation eine sinnvolle Überlebenshilfe".
Was kannst du tun, wenn du jemanden bei eisigen Temperaturen draußen im Freien schlafen siehst? Wichtig ist, dem Menschen ein adäquates Hilfsangebot zu machen. Und das ist zuallererst der Weg zu einer Einrichtung mit Übernachtungsmöglichkeit. Kein adäquates Hilfsangebot ist, jemanden einen privaten Schlafplatz anzubieten. 
Dennoch: Es wird Menschen geben, die keine Notschlafstelle aufsuchen wollen und die das etablierte Hilfssystem nicht annehmen. Letzten Endes ist es die Autonomie der Menschen, die man akzeptieren muss. So schwer das als Außenstehender auszuhalten ist.
In Wien hat die Caritas im Winter 2012 das Kältetelefon gestartet. Unter der Telefonnummer 01/480 45 53 erreichst du rund um die Uhr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter: Angaben zu Ort, Zeit und einer Beschreibung der hilfsbedürftigen Person sind gefragt.
Speziell für junge Menschen

Jugendliche nehmen die Schlafstellen der erwachsenen Wohnungslosenhilfe nicht in Anspruch. Damit verbinden sie Bilder wie jenes von Menschen mit massiven Alkoholproblemen. DasSchlupfhaus in Graz ist eingerichtet wie ein schönes Hostel, im Aufenthaltsraum im Erdgeschoss stehen ein runder Tisch in der Mitte und zwei Waschmaschinen in einer Regalwand. Die Tür des freundlichen Hauses, das von den Architekten Ingrid Mayr und Jörg Mayr geplant wurde, die ein Jahr danach auch den Neubau der Grazer Synagoge abschlossen, steht täglich ab achtzehn Uhr offen. Vormittags kommen junge Menschen auch vorbei, um ihre Kleidung zu waschen und sich Infos zu holen.
Denn das Angebot des Schlupfhauses reicht weit über die Zahnbürsten hinaus, die abends jenen geschenkt werden, die ein Bett in Anspruch nehmen. So gibt es die Möglichkeit, sich Dokumente wieder beschaffen zu lassen. "Wenn jemand länger unterwegs war, weiß er vielleicht nicht mehr, wo der Ordner mit den Dokumenten steht. Gleichzeitig ist der Weg in jegliche Normalität versperrt, wenn man bestimmte Dokumente nicht hat", weiß Martin Auferbauer. Ein Drittel Mädchen, zwei Drittel Burschen nützen die Jugendnotschlafstelle. Wie kommt das? Junge Frauen bleiben länger in belastendenen Umfeldern bzw. begeben sich in andere, erneut belastende Kontexte.

Junge Erwachsene, für die kein Anspruch mehr auf Jugendwohlfahrt besteht, haben es oft besonders schwer. Erwachseneneinrichtungen fühlen sich für sie nicht zuständig: weil die jungen Menschen noch nicht psychisch krank genug sind oder noch nicht straffällig sind. Im Hilfesystem für Erwachsene gibt es Unterstützung erst, wenn sich Probleme verfestigen. Das Team des Schlupfhauses kann mobil betreute Plätze in Wohnungen anbieten, wo die Menschen zwölf Monate bleiben können. Viele bräuchten dann nicht viel an "pädagogischer Intervention", um ihre Lehre abzuschließen oder eine Ausbildung anzufangen.
Speziell im Winter sind wir alle äußerst sensibel, wenn es um obdachlose Menschen ginge. Doch: Wohnungslosigkeit ist ein Ganzjahresthema, weiß Martin Auferbauer vom Schlupfhaus. Die Arbeit in diesem Bereich endet nicht mit Ende April: "Menschen, die draußen schlafen, sind immer gefährdet. In Bezug auf einen Überfall oder auch körperliche Schwierigkeiten. Auch im Sommer kann man durch die Feuchtigkeit, wenn man draußen liegt, eine Niere verlieren".


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