Obdachlose in Wien
Campieren
verboten!
Meret Baumann, Wien
Österreich
ist eines der reichsten Länder der Welt und ein gut ausgebauter Sozialstaat.
Doch auch hier leben laut einer EU-Statistik aus dem Jahr 2011 eine halbe
Million Menschen in Armut. Arbeitslosigkeit oder steigende Wohnkosten können
nicht nur zu einem Leben am Existenzminimum führen, sondern sogar zu
Obdachlosigkeit. Nach einem Bericht des Sozialministeriums ersuchten 2006 40
000 Menschen um Hilfe für Wohnungslose, im Zuge der Krise dürften es inzwischen
deutlich mehr sein.
In Wien
stehen 5000 Schlafplätze für Obdachlose zur Verfügung, über 9000 Personen
wurden im vergangenen Jahr betreut. Der zuständige Fonds Soziales Wien schätzt,
dass zusätzlich etwa 200 Personen auf der Strasse leben. Mehrere Dutzend haben
schon vor Monaten ihr Quartier im zentralen Stadtpark aufgeschlagen, wo sie auf
Bänken und unter Plasticplanen ihr Hab und Gut verstauten und in Schlafsäcken
übernachteten. Vor gut einer Woche wurden die Bedürftigen nun aus dem
idyllischen Naherholungsgebiet vertrieben. Die Angaben über die Polizeiaktion,
an der acht Streifenwagen beteiligt waren, sind widersprüchlich. Ein
Obdachloser wurde wegen Widerstands gegen eine Amtshandlung mit 200 Euro
gebüsst, es sollen aber auch Bussen wegen Verstosses gegen die Campierverordnung
ausgesprochen worden sein.
Diese
Regelung aus dem Jahr 1985 verbietet unter anderem das «Auflegen und Benützen
von Schlafsäcken» ausserhalb von Campingplätzen. Einst erlassen gegen im Freien
übernachtende Rucksacktouristen, dient sie nun den Behörden als Grundlage für
ihr Vorgehen gegen Obdachlose. Vor allem bei der Caritas und den Grünen sorgt
dies für Empörung. Den Vergleich mit Ungarn, wo vor einem Monat ein strenges
Gesetz gegen das «Wohnen» an bestimmten Orten erlassen wurde, weist man in Wien
weit von sich. Die Betreuung Bedürftiger mag hier besser sein und die Toleranz
der Behörden höher. Auf Obdachlose angewandt, unterscheidet sich die
Campierverordnung aber kaum vom gerade auch in Österreich zu Recht heftig
kritisierten ungarischen Gesetz.
(NZZ, 2. 11. 2013)
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