Donnerstag, 28. November 2013

Wohnungslos im Winter: Wenn leere Betten zur Mangelware werden

Wohnungslos im Winter: Wenn leere Betten zur Mangelware werden

Im Haus Otto im 14. Bezirk übernachten täglich bis zu hundert Obdachlose, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Heuer ist die Situation verschärft, schon im November sind die Plätze ausgebucht

Im Bus steht ein Mann mit Plastiksackerl. Seine Haube hat er tief ins Gesicht gezogen. Draußen ist es schon finster, der Mann steigt nervös von einem Bein auf das andere. Ein deutlich jüngerer Mann trägt einen Trecking-Rucksack, modische Kopfhörer und hört Musik. Beide halten einen weißen Zettel in der Hand, sie haben an diesem Abend dasselbe Ziel: das Haus Otto im 14. Bezirk.
Von der Bushaltestelle ist noch ein Fußmarsch von rund zehn Minuten zu bewältigen. Die Männer gehen an den Pavillons am Gelände des Otto-Wagner-Spitals vorbei, folgen den Pfeilen, die zum Männerheim weisen. Den Weg nehmen im Winter täglich rund 100 Wohnungslose, bis sie schließlich die Einrichtung des Roten Kreuzes erreichen. Sie zeigen ihren Zuweisungsschein, beziehen die Zimmer.
Auch eine kleine Mahlzeit erwartet sie, und es gibt Duschmöglichkeiten. Abends um 18 Uhr öffnet das Haus seine Pforten, morgens spätestens um halb zehn müssen die Männer wieder draußen sein.

Winter wirkt anziehend

Heute ist der Andrang besonders groß, nun hat es in diesem Winter bereits Minusgrade in der Nacht. Rumänen, Ungarn, Polen und Tschechen – die Männer, die hier übernachten, sind sogenannte nicht-anspruchsberechtigte Obdachlose, die nicht aus Österreich kommen. Um 19.30 Uhr sind bereits alle Plätze vergeben. "Ungewöhnlich viele für diesen Monat", sagt Gerald Dietmann, Leiter der Einrichtung, "der Winter zieht die Menschen an."
Mit November hat in Wien das Winterpaket gestartet. Die Vorgabe des Fonds Soziales Wien: Keiner soll auf der Straße schlafen müssen. "Noch nie waren wir so gut vorbereitet", sagt eine Sprecherin zum Standard. Es wurde ein Modell entwickelt, das den verschiedenen Kälteszenarien gerecht werden soll. Stufenweise – je nach Bedarf – werden die Unterkünfte aufgesperrt.
Trotz der Vorbereitung ist die Aufregung heuer jedoch besonders groß. Das liegt zum einen daran, dass der Stadtpark vor ein paar Wochen ins mediale Rampenlicht geriet, als Obdachlose von der Polizei aufgefordert wurden, ihre Plätze zu räumen. Zum anderen hat sich die Situation in Ungarn verschärft, der Verdacht liegt nahe, dass Wien die verschärften Gesetze durch zusätzliche Obdachlose aus dem Nachbarland zu spüren bekommt (siehe Interview).

Schachspielen und Zigaretten drehen

Rund die Hälfte der Männer, die heute im Haus Otto schläft, hat es sich im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht. Der Fernseher ist eine Spende einer Privatperson, es läuft eine Nachrichtensendung, die die Männer interessiert verfolgen. Eine Fernbedienung fehlt. Um das Programm zu wechseln, müssen sie aufstehen.
Auf einem anderen Tisch wird Schach gespielt, im Regal stehen Bücher, die Männer drehen sich Zigaretten und schmieren den Fleischaufstrich auf ihr Brot, das sie zuvor bei der Ausspeisung erhalten haben. Ein älterer Herr aus Ungarn schlurft in Badeschlapfen den Gang entlang. "Für Arme hat der Dritte Weltkrieg begonnen", schimpft er vor sich hin.
Das Haus Otto ist nicht die einzige Unterkunft für nichtanspruchsberechtigte Obdachlose, auch in der Zweiten Gruft in Wien-Währing, die von der Caritas betreut wird, stehen Schlafplätze zur Verfügung. Der Pavillion 17, ebenfalls am Gelände des Otto-Wagner-Spitals bietet ab Dezember zusätzlich 80 Schlafplätze. In Meidling gibt es außerdem das Corti-Haus, in Liesing ein altes Bahnhofsgebäude, das noch aufgesperrt werden kann. Und die Stadt verhandelt gerade über eine weitere Unterkunft.
"Die Kapazität hat sich verändert. Derzeit besteht ein großer Bedarf. Früher hatten wir maximal 70 Männer im Haus. Jetzt sind wir täglich ausgebucht", beschreibt Gerald Dietmann vom Haus Otto die Situation. "Es sind alle Altersgruppen vertreten, Arbeiter, Angestellte." Auch Leute, die eine höherwertige Ausbildung haben, seien immer öfter darauf angewiesen, die Zeit im Notquartier zu verbringen.

Schneeschaufeln

Viele der Männer führen ein geregeltes Leben, sie sind es auch, die sich schon früh am Abend in ihr Zimmer in die Stockbetten zurückziehen, weil am nächsten Morgen die Arbeit ruft. "Gerade im Winter erhalten die Männer oft sogar mitten in der Nacht Anrufe", sagt Dietmann. Dann nämlich, wenn die Stadt im Schnee versinkt und der Winterdienst der MA 48 Arbeitskräfte sucht. (Text: Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 28.11.2013)


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