Wohnungslos im Winter: Wenn leere Betten zur
Mangelware werden
Im Haus Otto im 14. Bezirk übernachten
täglich bis zu hundert Obdachlose, die keine österreichische Staatsbürgerschaft
haben. Heuer ist die Situation verschärft, schon im November sind die Plätze
ausgebucht
Im Bus steht ein Mann mit Plastiksackerl. Seine
Haube hat er tief ins Gesicht gezogen. Draußen ist es schon finster, der Mann
steigt nervös von einem Bein auf das andere. Ein deutlich jüngerer Mann trägt
einen Trecking-Rucksack, modische Kopfhörer und hört Musik. Beide halten einen
weißen Zettel in der Hand, sie haben an diesem Abend dasselbe Ziel: das Haus
Otto im 14. Bezirk.
Von der Bushaltestelle ist noch ein Fußmarsch
von rund zehn Minuten zu bewältigen. Die Männer gehen an den Pavillons am
Gelände des Otto-Wagner-Spitals vorbei, folgen den Pfeilen, die zum Männerheim
weisen. Den Weg nehmen im Winter täglich rund 100 Wohnungslose, bis sie
schließlich die Einrichtung des Roten Kreuzes erreichen. Sie zeigen ihren
Zuweisungsschein, beziehen die Zimmer.
Auch eine kleine Mahlzeit erwartet sie, und es
gibt Duschmöglichkeiten. Abends um 18 Uhr öffnet das Haus seine Pforten,
morgens spätestens um halb zehn müssen die Männer wieder draußen sein.
Winter wirkt anziehend
Heute ist der Andrang besonders groß, nun hat es
in diesem Winter bereits Minusgrade in der Nacht. Rumänen, Ungarn, Polen und
Tschechen – die Männer, die hier übernachten, sind sogenannte
nicht-anspruchsberechtigte Obdachlose, die nicht aus Österreich kommen. Um
19.30 Uhr sind bereits alle Plätze vergeben. "Ungewöhnlich viele für
diesen Monat", sagt Gerald Dietmann, Leiter der Einrichtung, "der
Winter zieht die Menschen an."
Mit November hat in Wien das Winterpaket
gestartet. Die Vorgabe des Fonds Soziales Wien: Keiner soll auf der Straße
schlafen müssen. "Noch nie waren wir so gut vorbereitet", sagt eine
Sprecherin zum Standard. Es wurde ein Modell entwickelt, das den verschiedenen
Kälteszenarien gerecht werden soll. Stufenweise – je nach Bedarf – werden die
Unterkünfte aufgesperrt.
Trotz der Vorbereitung ist die Aufregung heuer
jedoch besonders groß. Das liegt zum einen daran, dass der Stadtpark vor ein
paar Wochen ins mediale Rampenlicht geriet, als Obdachlose von der Polizei
aufgefordert wurden, ihre Plätze zu räumen. Zum anderen hat sich die Situation
in Ungarn verschärft, der Verdacht liegt nahe, dass Wien die verschärften
Gesetze durch zusätzliche Obdachlose aus dem Nachbarland zu spüren bekommt
(siehe Interview).
Schachspielen und Zigaretten drehen
Rund die Hälfte der Männer, die heute im Haus
Otto schläft, hat es sich im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht. Der Fernseher
ist eine Spende einer Privatperson, es läuft eine Nachrichtensendung, die die
Männer interessiert verfolgen. Eine Fernbedienung fehlt. Um das Programm zu
wechseln, müssen sie aufstehen.
Auf einem anderen Tisch wird
Schach gespielt, im Regal stehen Bücher, die Männer drehen sich Zigaretten und
schmieren den Fleischaufstrich auf ihr Brot, das sie zuvor bei der Ausspeisung
erhalten haben. Ein älterer Herr aus Ungarn schlurft in Badeschlapfen den Gang
entlang. "Für Arme hat der Dritte Weltkrieg begonnen", schimpft er
vor sich hin.
Das Haus Otto ist nicht die einzige Unterkunft
für nichtanspruchsberechtigte Obdachlose, auch in der Zweiten Gruft in
Wien-Währing, die von der Caritas betreut wird, stehen Schlafplätze zur
Verfügung. Der Pavillion 17, ebenfalls am Gelände des Otto-Wagner-Spitals
bietet ab Dezember zusätzlich 80 Schlafplätze. In Meidling gibt es außerdem das
Corti-Haus, in Liesing ein altes Bahnhofsgebäude, das noch aufgesperrt werden
kann. Und die Stadt verhandelt gerade über eine weitere Unterkunft.
"Die Kapazität hat sich verändert. Derzeit
besteht ein großer Bedarf. Früher hatten wir maximal 70 Männer im Haus. Jetzt
sind wir täglich ausgebucht", beschreibt Gerald Dietmann vom Haus Otto die
Situation. "Es sind alle Altersgruppen vertreten, Arbeiter,
Angestellte." Auch Leute, die eine höherwertige Ausbildung haben, seien
immer öfter darauf angewiesen, die Zeit im Notquartier zu verbringen.
Schneeschaufeln
Viele der Männer führen ein geregeltes Leben,
sie sind es auch, die sich schon früh am Abend in ihr Zimmer in die Stockbetten
zurückziehen, weil am nächsten Morgen die Arbeit ruft. "Gerade im Winter
erhalten die Männer oft sogar mitten in der Nacht Anrufe", sagt Dietmann.
Dann nämlich, wenn die Stadt im Schnee versinkt und der Winterdienst der MA 48
Arbeitskräfte sucht. (Text: Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 28.11.2013)
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