[18. Nov 2013]
Soll Obdachlosigkeit tatsächlich strafbar sein? - Die Wiener Kampierverordnung genauer betrachtet
Ein Text der 'Solidaritätsgruppe' anlässlich der Vertreibung von obdachlosen Menschen aus dem Wiener Stadtpark. Kritisiert wird die sog. Wiener Kampierverordnung - sie wurde ebenfalls angewandt, als das Refugee-Camp vor der Votivkirche Ende Dezember 2012 aufgelöst wurde.
Soll Obdachlosigkeit tatsächlich strafbar sein? - Die Wiener Kampierverordnung genauer betrachtet
Derzeit gehen die Wogen hoch, da den bereits seit einiger Zeit im zentral gelegenen Wiener Stadtpark aufhältigen obdachlosen Menschen der dortige Verbleib von der Polizei verboten wird. Weniger bekannt ist, worauf sich dieses behördliche Handeln gründet. Was ist das für eine Rechtsgrundlage, die bereits im Februar 2013 bei den damaligen Flüchtlingsprotesten vor der Votivkirche in Wien rigoros sowohl gegen Aktivist_innen als auch Demonstrant_innen zur Anwendung kam?
Die Wiener Behörden stützen sich dabei auf die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend das Verbot des Kampierens, kurz Wiener Kampierverordnung genannt, die in ihrer Urfassung aus dem Jahre 1985 stammt. Diese aus lediglich drei Paragraphen bestehende Verordnung bestimmt in § 1, dass an außerhalb von Campingplätzen im Freien gelegenen Orten das Auflegen und Benützen von Schlafsäcken sowie das Aufstellen und Benützen von Zelten verboten sind. Weiters wird in öffentlichen Plätzen das Abstellen von Personenkraftwagen, Wohnmobilen, etc zu Wohnzwecken sowie deren Benützen zum Wohnen (Schlafen) untersagt.
§ 3 der Wiener Kampierverordnung ist zu entnehmen, was gegen diese Bestimmung Zuwiderhandelnden geschieht. Diese Verwaltungsübertretung ist nach der Wiener Stadtverfassung zu bestrafen, die in § 108 Abs. 2 für derartige Übertretungen wiederum eine Geldstrafe bis zu 700 Euro vorsieht. Erste Geldstrafen wurden gegen die Betroffenen auch bereits verhängt. Für die Betroffenen und ihre Unterstützer_innen sicherlich auch interessant ist, dass überdies der Verfall von Gegenständen ausgesprochen werden kann, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde. Diese Norm könnte daher den Einzug von Schlafsäcken, Decken oder anderer Habseligkeiten rechtfertigen.
Bereits beim Durchlesen der Rechtslage in Wien ergeben sich Unklarheiten. Dem Gesetzestext ist nämlich zu entnehmen, dass das bloße Auflegen von Schlafsack und das Aufstellen von Zelten ohne deren aktive Benutzung keinen Verstoß darstellt. Damit eine Verwaltungsübertretung vorliegt, muss der Betroffene daher schon in Schlafsack bzw. Zelt liegen bzw. schlafen. Dies wird auch die Behörde zu eruieren und im Verwaltungsstrafverfahren festzustellen haben.
Sucht man im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) nach ausjudizierten Entscheidungen zur Wiener Kampierverordnung und deren konkrete Ausgestaltung, bleibt man erfolglos. Soweit überblickbar, finden sich keinerlei Entscheidungen der zuständigen Behörden, die Klarheit in die oben aufgezeigten Gesetzesbegriffe bringen würden. Wurde die über zwei Jahrzehnte alte Wiener Kampierverordnung bis vor wenigen Monaten vielleicht gar nicht angewendet? Will man mit einer solcherart herbeigezogenen und niemals wirklich durchgesetzten Regelung den Ärmsten der Armen schaden?
Die Kampierverordnung wurde dazumal beschlossen, um ein übermäßiges Kampieren etwa von Tourist_innen (Stichwort Zeltstädte) zu verhindern. Sie ist aber keinesfalls geeignet, um obdachlose Mitmenschen mit drakonischen Strafen zu belegen und somit weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Dies zumal sie sich keines Fehlverhalten schuldig gemacht haben, sondern lediglich ihr Recht in Anspruch nehmen, unter freiem Himmel in öffentlichem Raum zu nächtigen. Mit einer derartigen ungerechtfertigten Kriminalisierung Notbedürftiger stellt sich die Zivilgesellschaft selbst ein Armutszeugnis aus. Nicht zuletzt ginge eine derartige Handhabung auch völlig an den Intentionen des Gesetzgebers vorbei.
Es ist daher höchste Zeit, einen menschenwürdigen Umgang miteinander zu pflegen und nicht auf die Einhaltung unausgereifter Rechtsvorschriften zu pochen. Wie es anders geht, zeigt beispielsweise das Tiroler Campinggesetz aus dem Jahre 2001, welches auf den ersten Blick in § 3 mit einem generellen Kampierverbot außerhalb von Campingplätzen eine strengere Regelung als die Wiener Schwesternnormen enthält. Kampieren im Sinne dieses Gesetzes ist jedoch nur das Nächtigen von Personen in mobilen Unterkünften, wie Zelte, Wohnmobile und dergleichen im Rahmen des Tourismus. Eine wiederum andere Herangehensweise findet man im Vorarlberger Campingplatzgesetz. Nach § 14 ist sind die Aufstellung von Zelten, Wohnwagen und ähnlichen beweglichen Unterkünften außerhalb von Campingplätzen vom Bürgermeister zu untersagen, wenn Interessen der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft oder des Schutzes des Naturhaushaltes sowie des Landschafts- und Ortsbildes gröblich verletzt werden. Dies kann man unseren wohnungslosen Mitmenschen wohl kaum unterstellen.
Nicht zuletzt sind die Strafhöhen bei Zuwiderhandlungen von Land zu Land höchst unterschiedlich. Mit der oben angeführten Grenze von ? 700,- pro Zuwiderhandlung befindet sich Wien im Vergleich noch im unteren Bereich, wurden doch erst im Oktober 2013 die Strafen für illegales Kampieren, Zelten oder Abstellen von Wohnwagen in Salzburg auf bis zu ? 10.000,- oder im Falle der Uneinbringlichkeit 14 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe angehoben.
Im Ergebnis zeigt dies, dass die Zwangslage von wohnungslosen Menschen in einigen Bundesländern kriminalisiert wird, in anderen wiederum nicht. Für die Normunterworfenen bedeutet dies, dass ein Zustand höchster Rechtsunsicherheit besteht. Eine Überarbeitung der Wiener Kampierverordnung ist daher unerlässlich.
Rechtsquellen:
:: Wiener Kampierverordnung
:: Tiroler Campinggesetz
:: Voralberger Campingplatzgesetz
:: Salzburger Campingplatzgesetz
Derzeit gehen die Wogen hoch, da den bereits seit einiger Zeit im zentral gelegenen Wiener Stadtpark aufhältigen obdachlosen Menschen der dortige Verbleib von der Polizei verboten wird. Weniger bekannt ist, worauf sich dieses behördliche Handeln gründet. Was ist das für eine Rechtsgrundlage, die bereits im Februar 2013 bei den damaligen Flüchtlingsprotesten vor der Votivkirche in Wien rigoros sowohl gegen Aktivist_innen als auch Demonstrant_innen zur Anwendung kam?
Die Wiener Behörden stützen sich dabei auf die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend das Verbot des Kampierens, kurz Wiener Kampierverordnung genannt, die in ihrer Urfassung aus dem Jahre 1985 stammt. Diese aus lediglich drei Paragraphen bestehende Verordnung bestimmt in § 1, dass an außerhalb von Campingplätzen im Freien gelegenen Orten das Auflegen und Benützen von Schlafsäcken sowie das Aufstellen und Benützen von Zelten verboten sind. Weiters wird in öffentlichen Plätzen das Abstellen von Personenkraftwagen, Wohnmobilen, etc zu Wohnzwecken sowie deren Benützen zum Wohnen (Schlafen) untersagt.
§ 3 der Wiener Kampierverordnung ist zu entnehmen, was gegen diese Bestimmung Zuwiderhandelnden geschieht. Diese Verwaltungsübertretung ist nach der Wiener Stadtverfassung zu bestrafen, die in § 108 Abs. 2 für derartige Übertretungen wiederum eine Geldstrafe bis zu 700 Euro vorsieht. Erste Geldstrafen wurden gegen die Betroffenen auch bereits verhängt. Für die Betroffenen und ihre Unterstützer_innen sicherlich auch interessant ist, dass überdies der Verfall von Gegenständen ausgesprochen werden kann, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde. Diese Norm könnte daher den Einzug von Schlafsäcken, Decken oder anderer Habseligkeiten rechtfertigen.
Bereits beim Durchlesen der Rechtslage in Wien ergeben sich Unklarheiten. Dem Gesetzestext ist nämlich zu entnehmen, dass das bloße Auflegen von Schlafsack und das Aufstellen von Zelten ohne deren aktive Benutzung keinen Verstoß darstellt. Damit eine Verwaltungsübertretung vorliegt, muss der Betroffene daher schon in Schlafsack bzw. Zelt liegen bzw. schlafen. Dies wird auch die Behörde zu eruieren und im Verwaltungsstrafverfahren festzustellen haben.
Sucht man im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) nach ausjudizierten Entscheidungen zur Wiener Kampierverordnung und deren konkrete Ausgestaltung, bleibt man erfolglos. Soweit überblickbar, finden sich keinerlei Entscheidungen der zuständigen Behörden, die Klarheit in die oben aufgezeigten Gesetzesbegriffe bringen würden. Wurde die über zwei Jahrzehnte alte Wiener Kampierverordnung bis vor wenigen Monaten vielleicht gar nicht angewendet? Will man mit einer solcherart herbeigezogenen und niemals wirklich durchgesetzten Regelung den Ärmsten der Armen schaden?
Die Kampierverordnung wurde dazumal beschlossen, um ein übermäßiges Kampieren etwa von Tourist_innen (Stichwort Zeltstädte) zu verhindern. Sie ist aber keinesfalls geeignet, um obdachlose Mitmenschen mit drakonischen Strafen zu belegen und somit weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Dies zumal sie sich keines Fehlverhalten schuldig gemacht haben, sondern lediglich ihr Recht in Anspruch nehmen, unter freiem Himmel in öffentlichem Raum zu nächtigen. Mit einer derartigen ungerechtfertigten Kriminalisierung Notbedürftiger stellt sich die Zivilgesellschaft selbst ein Armutszeugnis aus. Nicht zuletzt ginge eine derartige Handhabung auch völlig an den Intentionen des Gesetzgebers vorbei.
Es ist daher höchste Zeit, einen menschenwürdigen Umgang miteinander zu pflegen und nicht auf die Einhaltung unausgereifter Rechtsvorschriften zu pochen. Wie es anders geht, zeigt beispielsweise das Tiroler Campinggesetz aus dem Jahre 2001, welches auf den ersten Blick in § 3 mit einem generellen Kampierverbot außerhalb von Campingplätzen eine strengere Regelung als die Wiener Schwesternnormen enthält. Kampieren im Sinne dieses Gesetzes ist jedoch nur das Nächtigen von Personen in mobilen Unterkünften, wie Zelte, Wohnmobile und dergleichen im Rahmen des Tourismus. Eine wiederum andere Herangehensweise findet man im Vorarlberger Campingplatzgesetz. Nach § 14 ist sind die Aufstellung von Zelten, Wohnwagen und ähnlichen beweglichen Unterkünften außerhalb von Campingplätzen vom Bürgermeister zu untersagen, wenn Interessen der Sicherheit, der Gesundheit, des Schutzes der örtlichen Gemeinschaft, der Landwirtschaft, der Fremdenverkehrswirtschaft oder des Schutzes des Naturhaushaltes sowie des Landschafts- und Ortsbildes gröblich verletzt werden. Dies kann man unseren wohnungslosen Mitmenschen wohl kaum unterstellen.
Nicht zuletzt sind die Strafhöhen bei Zuwiderhandlungen von Land zu Land höchst unterschiedlich. Mit der oben angeführten Grenze von ? 700,- pro Zuwiderhandlung befindet sich Wien im Vergleich noch im unteren Bereich, wurden doch erst im Oktober 2013 die Strafen für illegales Kampieren, Zelten oder Abstellen von Wohnwagen in Salzburg auf bis zu ? 10.000,- oder im Falle der Uneinbringlichkeit 14 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe angehoben.
Im Ergebnis zeigt dies, dass die Zwangslage von wohnungslosen Menschen in einigen Bundesländern kriminalisiert wird, in anderen wiederum nicht. Für die Normunterworfenen bedeutet dies, dass ein Zustand höchster Rechtsunsicherheit besteht. Eine Überarbeitung der Wiener Kampierverordnung ist daher unerlässlich.
Rechtsquellen:
:: Wiener Kampierverordnung
:: Tiroler Campinggesetz
:: Voralberger Campingplatzgesetz
:: Salzburger Campingplatzgesetz
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