Der Wiener Gemeindebau als Zeichen des
"Roten Wien" war während der Februarkämpfe der Schauplatz der
Auseinandersetzungen zwischen Heimwehr und Schutzbund. Was blieb von damals in Erinnerung und wie geht eine Gesellschaft mit diesen Wunden um?
"Weg vom Fenster! Sie schießen
wieder!" Dieser Zuruf ist der bleibende Eindruck der Februarkämpfe 1934 im
Leben von Familie Keller. Es waren jene Worte, die die Mutter von Elisabeth Keller
ihrer Tochter, damals noch ein Kind, zurief. Bloß nicht den Kopf heben, nur
geduckt durch die Wohnung schleichen. Das war (über-)lebenswichtig. Und genau
das hört man nun von der Tochter, wenn man sie nach ihrer Erinnerung an damals
fragt. "Am gefährlichsten für die Zivilisten war es, sich am Fenster zu
zeigen. Von einer kleinen Anhöhe aus wurde der Gemeindebau vom Militär unter
Beschuss genommen. Die Kugel gingen bei einem Fenster hinein, beim anderen
wieder hinaus, und wo sie endeten, konnte wohl niemand sagen."
Während
der Februarkämpfe im Jahr 1934 standen die Arbeiterheime und Gemeindebauten in
vielen Wiener Bezirken – es gab auch einige Bezirke, in denen es zu keinen
Kampfhandlungen kam – im Zentrum der Auseinandersetzungen. Doch was wissen die
Bewohner von heute noch über die Ereignisse vor 80 Jahren? Gibt es ein
kollektives Geschichtsgedächtnis im kommunalen Wohnbau? Oder sind die Kämpfe
nur Relikte einer längst vergangenen Zeit, die mit jeder Renovierung wieder um
eine Schicht Farbe weniger sichtbar wird?
"Wissen Sie, was am 13. Februar 1934 gegen Mittag in Ihrer Küche passiert ist?" Ein Mann, der – widerwillig, aber doch – den Kopf aus der Tür gestreckt und dem lästigen Journalisten nun Aug' in Aug' gegenübersteht, schüttelt den Kopf: "Vermutlich wurde gekocht?" Nein. Auch ein Foto mit der zerschossenen Fassade bringt wenig Licht ins Dunkel. "Hier ereigneten sich die heftigsten Kämpfe in diesem Bezirk und gegen Mittag schlugen schwere Granaten in Ihrer Wohnung ein." "Interessant, wusste ich nicht. Hat mir niemand gesagt. Aber ich wohne erst seit fünf Jahren hier."
"Wissen Sie, was am 13. Februar 1934 gegen Mittag in Ihrer Küche passiert ist?" Ein Mann, der – widerwillig, aber doch – den Kopf aus der Tür gestreckt und dem lästigen Journalisten nun Aug' in Aug' gegenübersteht, schüttelt den Kopf: "Vermutlich wurde gekocht?" Nein. Auch ein Foto mit der zerschossenen Fassade bringt wenig Licht ins Dunkel. "Hier ereigneten sich die heftigsten Kämpfe in diesem Bezirk und gegen Mittag schlugen schwere Granaten in Ihrer Wohnung ein." "Interessant, wusste ich nicht. Hat mir niemand gesagt. Aber ich wohne erst seit fünf Jahren hier."
Anderer Bezirk, nächster Gemeindebau.
Auf der Suche nach der richtigen Wohnung, die auf der Aufnahme aus dem Jahr
1934, schwer von Maschinengewehr und schwerer Artillerie getroffen, ein
Schatten ihrer selbst scheint. Kurzes Klingeln, niemand öffnet. Die Suche nach
Zeitzeugen gestaltet sich schwerer als erwartet. Doch dann eine Fügung des
Schicksals. Frau Hertha, keine Zeitzeugin, aber schon einige Jahrzehnte hier wohnhaft,
kennt sich aus. "Ja, in meiner Küche lagen überall Trümmer. Die Kämpfe
hier bei uns waren sehr heftig. Es wurde von allen Seiten auf den Gemeindebau
geschossen." Woher sie all die Details wisse, wo sie doch hier nicht
gewohnt, sogar noch nicht einmal auf der Welt gewesen war? "Die älteren
Mieterinnen erzählen sehr viel über diese Zeit. Das hat sie geprägt. Aber
leider findet man immer weniger Parteien im Haus, die das noch erlebt haben und
erzählen können. Wissen Sie, in meinem Schlafzimmer steckte '45 auch noch eine
Fliegerbombe, aber das ist eine andere Geschichte." Der Journalist bohrt
weiter: "Wird hier noch viel über die Februarkämpfe gesprochen?"
"Nein. Leider. Die Alten sterben oder ziehen weg, die neuen Mieter
interessieren sich wenig für die Geschichte. Hauptsache eine Wohnung." Da
sich die Kampfhandlungen doch nun zum 80. Mal jähren, könnte man doch einige
Gedenkveranstaltungen erwarten? "Ich habe nichts über entsprechende Pläne
gehört. Dabei fände ich es schön, wenn die Mieter, es gibt ja nicht nur die
uninformierten Inländer, sondern auch viele Ausländer, die gar nichts darüber
wissen – manche wollen es auch nicht, aber Wissen schadet doch nicht – oder?
Wenn Sie mich fragen, so wird hier einfach zu vieles vergessen. Es wird
eigentlich alles schlechter hier. Der Gemeindebau wird schmutziger, es wird
lauter und lauter. Die Gemeinschaftsräume werden geschlossen. Alles, wofür
diese Bauten einmal standen, scheint nicht mehr wichtig. Aber ich frage Sie,
finden Sie nicht, dass die Zeiten sich wiederholen? Ich glaube, dass es in den
30er Jahren nicht so viel schlimmer war als heute. Das Vergessen ist das
Problem dabei. Man sollte wieder mehr darüber reden, aber vielleicht geschieht
das heuer ja noch." Ein resignierendes Schulterzucken. Der Wäschekorb wird
hochgehoben, Frau Hertha geht zum Waschsalon, neben dem Kindergarten der
einzige Gemeinschaftsraum, der wirklich noch genutzt wird.
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