Samstag, 16. November 2013

JOSCHI UND DER CAMPING-PARAGRAPH

JOSCHI UND DER CAMPING-PARAGRAPH

Aus dem Augustin-Archiv der sozialen Obszönitäten

Der Augustin war gerade erst gegründet worden, als er sich im Dezember 1997, damals als einziges Medium, mit dem Missbrauch der Wiener Kampierverordnung durch die Polizei auseinandersetzte. Der «Fall Josef Cerny» konnte nicht zum Stadtgespräch werden, weil der Augustin damals noch eine bescheidene Auflage hatte, weil den anderen Medien randständige Menschen wie Cerny wurscht waren – und wohl auch, weil die SPÖ mit ihrer unangefochtenen Dominanz die Thematisierung von Armut in der reichen Stadt nicht zuließ.
Robert Sommer 13.11.2013
Im Mai 1997 wurde der seit 1992 obdachlose Pensionist Josef Cerny bei einer «Verwaltungsübertretung» ertappt. Er war auf «seiner» Parkbank im Meidlinger Füchselhofpark gelegen, mit einem Schlafsack vor den nächtens sinkenden Mai-Temperaturen geschützt. So hatte er die Nächte außerhalb der Wintermonate seit vier Jahren verbracht: Diese Bank war sein Schlafzimmer. Beweis: Sein Name stand eingeritzt im Holz.

Sein wirkliches Schlafzimmer, seine alte Wohnung, hatte Cerny 1991 verloren, als seine Hausverwaltung das Gebäude in eine lukrative Gastarbeiter_innenmelkadresse verwandelte. Den Sozialarbeiter_innen war er als der «elegante Joschi» bekannt: Selbst als er angesichts der Drohung des uniformierten Schlafstörers aus dem Schlafsack kroch, stecke er in einem tadellosen Anzug und einem gebügelten weißen Hemd. «Ich bin kein Sandler», soll der dem Polizisten gesagt haben.

Der elegante Joschi wurde zu einer Geldstrafe von 500 Schilling verdonnert, und seine Sozialabeiterin wurde von der zuständigen Sachbearbeiterin im magistratischen Bezirksamt Meidling wie folgt belehrt: «Das Auflegen und das Benützen von Schlafsäcken außerhalb von Campingplätzen ist an im Freien gelegenen öffentlichen Orten verboten. So lautet der § 1 der Wiener Kampierverordnung. Raten Sie Ihrem Klienten, künftig nicht mehr, im Schlafsack zu liegen, sondern sich mit einem Mantel zu bedecken. In der Kampierverordnung findet man kein Verbot, sich auf eine Bank zu legen und sich mit einem Mantel zuzudecken.»

Der Sozialarbeiterin war nicht ganz evident, ob es sich bei dem Mantel-Tipp um einen empathischen Rat oder bürokratischen Zynismus handelte.

Josef Cerny und seine Sozialarbeiterin wandten sich an die drei auflagenstärksten Tageszeitungen dieser Zeit: «Krone», «Täglich Alles» und «Kurier». Keine der Lokalredaktionen hatte Interesse an dieser Story. Die Redaktion der «Kronen Zeitung»: «Die Wiener sehen es nicht gerne, wenn Obdachlose auf Parkbänken schlafen.»

Im Oktober 2013 ist die Vertreibung Unerwünschter aus dem Stadtpark Thema sämtlicher Medien. Was hat sich geändert in diesen eineinhalb Jahrzehnten? Vielleicht hat die Augustin-Schreiberei ein klein wenig beigetragen, die Sensibilität für Armutsfragen zu schärfen. Vielleicht spielt die Teilnahme der Grünen in der Stadtregierung eine Rolle. «Einen Obdachlosen für seine Obdachlosigkeit zu bestrafen, kann nicht Politik des rot-grünen Wiens sein», ärgerte sich Birgit Hebein, Sozialsprecherin der grünen Fraktion im Wiener Rathaus. «Es kann nicht sein, dass die Wiener Kampierverordnung jederzeit dazu herangezogen werden kann, Armutsbetroffene bzw. Obdachlose zu bestrafen und zu vertreiben. Diese Unsicherheit muss aus dem Weg geschafft werden. Es darf keinen ‹Joker›gegen Arme geben.»

Im Vergleich mit der Amtshandlung im Füchselhofpark vor 16 Jahren fällt eines auf: Die Strafhöhe für den eleganten Joschi betrug damals zehn Prozent des Sozialhilferichtsatzes: 500 Schilling für einen, der im Monat 5000 Schilling verdiente.
Heute kann die Sicherheitsbehörde für dasselbe Delikt 700 Euro verlangen – hundert Prozent des Monatsverdienstes eines Mindestsicherungsbeziehers. Die Gefängnisse des Innenministeriums sind heute voll von Menschen, die diesen explodierenden Strafhöhen nicht gewachsen sind. Der Gesellschaft kosten 24 Stunden Gefängnisaufenthalt ca. 15O Euro pro Person. Die Sanierung des Staatshaushaltes kann also nicht der Grund für die Verhärtung staatlichen Strafens sein.
Robert Sommer 11/2013


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