Wohnung statt Parkbank
Stellen
Sie sich vor, sie sind obdachlos. Es ist eisig kalt, nass und feucht. Aller
Wahrscheinlichkeit nach haben Sie alles verloren: Eigentum, Job, Wohnung,
Partnerschaft, Familie, Freunde und Freundinnen. Hinzu kommen Krankheiten wie
offene Wunden an den Beinen. Atembeschwerden. Und die Fragen danach, wo Sie am
nächsten Tag schlafen sollen. Wo Sie in Sicherheit sind. Sie haben Angst, unter
Menschen zu gehen. Angst, Hilfe anzunehmen. Angst, Ihre Geschichte zu erzählen.
Angst, zu irritieren. Helfen könnte eine Sozialarbeiterin. Eine Ärztin.
Vertrauen. Und Mut. Mut, das Leben doch wieder in die Hand zu nehmen.
Polizeieinsatz
Stattdessen
wird Obdachlosigkeit zunehmend mit Polizeieinsätzen begegnet. In Ungarn ist die
strafrechtliche Verfolgung von obdachlosen Menschen gar in den Verfassungsrang
gehoben worden. Mit der Vertreibung obdachloser Menschen aus dem Wiener
Stadtpark läuft nun auch Österreich in Gefahr, diesem negativen Beispiel zu
folgen. Hier legitimiert eine Campierverordnung von 1985 dieses völlig falsche
Vorgehen. Aber nicht alles, das legal ist, ist auch legitim. Wem gehört der
öffentliche Raum? Er gehört uns allen. Niemand hat das Recht, anderen
vorzuschreiben, nicht im Park zu übernachten. Das widerspricht einer liberalen
Gesellschaft, die Eigenverantwortung und freie Lebensgestaltung vorsieht. Und
doch übernachtet aber umgekehrt niemand freiwillig auf einer Parkbank. Sondern:
Aus Mangel an tatsächlichen Alternativen.
Nachtquartiere
Deswegen
finde ich es an der Zeit, über die Antwort der Stadt Wien auf die dramatische
Räumungsaktion, das geplante „Winterpaket“, hinauszugehen. Im Rahmen dieses
Winterpakets soll die Notversorgung mit Nachtquartieren aufgestockt werden. In
der Nacht vor dem Erfrieren geschützt sein, zumindest ein Dach über dem Kopf,
einen Polster und eine Decke zu haben: Das ist wichtig, manchmal sogar
überlebenswichtig. Und ein erster Schritt. Aber Notquartiere sind keine
adäquate – vor allem keine dauerhafte – Lösung. Sie lösen das Armutsproblem
nicht und stellen keine solide Wohnform dar. Sie lösen also das Menschenrecht
auf Wohnen nicht ein.
Leistbare Wohnung
Eigenverantwortung stärken und
Solidarität tatsächlich leben sind zwei meiner Hauptansatzpunkte für die
zukünftige Gestaltung sozialstaatlicher Leistungen. Daher plädiere ich für neue
mutige Wege, die dem Problem wirklich auf den Grund gehen: Wir brauchen
tatsächlichen Zugang zu leistbaren Wohnungen für (noch) obdachlose Menschen.
Mit Betreuung auf Augenhöhe, im Rahmen einer normalen Wohnung. Integriert in
die Mitte der Gesellschaft. Mit dem sozial innovativen Housing First, das von
der Stadt Wien mit Obdachlosenorganisationen wie dem Neunerhaus entwickelt
wird, wird genau dieser Schritt gemacht. Und genau davon braucht es mehr, wenn
unmenschliche Räumungsaktionen wie im Stadtpark künftig wirklich der
Vergangenheit angehören sollen.
(KURIER) ERSTELLT AM 28.10.2013, 12:53
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