Sonntag, 20. Oktober 2013

Obdachlose: Ein Drittel ist unter 30

Obdachlose: Ein Drittel ist unter 30

Immer mehr junge Menschen schlittern in die Obdachlosigkeit. Die Caritas fordert politische Maßnahmen und kritisiert den Umgang mit Betroffenen, die aus dem Stadtpark vertrieben wurden.
   (Die Presse)
Wien. Obdachlosigkeit hat bekanntlich viele Gesichter – in Wien sind davon immer öfter junge Menschen betroffen. „Das Bild des klassischen Sandlers hat ausgedient, rund ein Drittel der Obdachlosen ist unter 30 Jahre alt“, sagt Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien. Besonders deutlich werde diese Entwicklung im Juca im 16. Bezirk, einem Wohnhaus für junge Obdachlose. Lag das Durchschnittsalter dort bei den 18- bis 30-jährigen Klienten im Jahr 2000 noch bei 27 Jahren, ist es heuer auf 20 Jahre gesunken.

„Das Problem leistbarer Mieten hat die Mittelschicht längst erreicht – und zwar in ganz Österreich“, so Schwertner. „Die nächste Bundesregierung wird umsetzen müssen, was eigentlich bereits für die Zeit vor der Wahl versprochen wurde. Das Dickicht des Mietrechtsgesetzes muss besser heute als morgen gelichtet werden.“
Immer dramatischer wird die Situation auch für obdachlose EU-Bürger. In der zweiten Gruft, die eigentlich für 40 Personen ausgelegt ist, sind derzeit 46 Männer und Frauen untergebracht. Die von der Caritas in Währung betriebene Notschlafstelle für Obdachlose aus EU-Ländern ist bereits vor Beginn des Winters mehr als ausgelastet.

Aus dem Stadtpark vertrieben

„Außer uns nehmen nur noch die Vinzenzgemeinschaft und Ute Bock Obdachlose aus EU-Ländern auf“, beklagt Schwertner und übt Kritik am Umgang mit den Betroffenen. Denn vergangene Woche wurden Obdachlose, die dort seit Monaten auf Parkbänken ihr provisorisches Nachtquartier aufgeschlagen hatten und bis zu dreimal pro Woche von Nacht-Streetworkern der Caritas betreut wurden, von der Polizei aus dem Stadtpark vertrieben. Die Exekutive ist nach Beschwerden von Anrainern eingeschritten. Für die Betroffenen gibt es in Wien zu wenige reguläre Plätze.
„Als ich zuletzt vor drei Wochen mit den Nacht-Streetworkern unterwegs war, habe ich dort mit Menschen aus der Slowakei, Polen und Ungarn gesprochen“, sagt Schwertner. Obdachlose aus dem Blickfeld zu entfernen sei keine Lösung.
Insgesamt gibt es in der Bundeshauptstadt inklusive mobiler Betreuung 90 vom Fonds Soziales Wien unterstützte Obdachloseneinrichtungen mit 5000 Wohn- und Schlafplätzen. Betrieben werden sie von Organisationen wie beispielsweise der Caritas, dem Arbeiter-Samariterbund und dem Neunerhaus. Hinzu kommen einige private Häuser wie etwa die Vinzirast-Notschlafstelle.
Fünf Institutionen (Haus Miriam, Frauenwohnzentrum, Frauenwohnzimmer, Haus Bürgerspitalgasse, Ester) mit rund 200 Plätzen richten sich ausschließlich an Frauen. Im vergangenen Jahr wurden in all diesen Einrichtungen 9030 Menschen betreut, 2450 davon waren Frauen.
6265 von ihnen suchten Hilfe bei P7, Wiens zentraler Anlaufstelle für akut obdachlose Menschen im zweiten Bezirk, die am vergangenen Mittwoch ihr zehnjähriges Bestehen feierte. 2011 waren es noch 6163, im Jahr zuvor 6019. „Es ist die wohl größte Bettenbörse für in Not geratene Menschen in dieser Stadt“, so Schwertner.
Menschen wie Raimund Reiner, der sich im Juni an die Anlaufstelle wandte und in ein Übergangswohnheim im 21. Bezirk vermittelt wurde. Dort wartet der 43-Jährige, der seit einem schweren Unfall arbeitsunfähig ist, auf die Zuweisung einer Gemeindewohnung. „Ich kann nur jedem Obdachlosen raten, zum P7 zu kommen“, meint Reiner. „Hier wird einem kompetent und mit viel Verständnis geholfen. Ich bin sehr dankbar für diese Unterstützung.“

Hilfe bei Behördengängen

Etwa die Hälfte der Personen, die das P7 aufsuchen, ist im Übrigen nicht auf der Suche nach einer Unterkunft, weil sie beispielsweise bei Freunden und Bekannten wohnen (also in sogenannten prekären Verhältnissen leben) – benötigen aber Unterstützung bei der Jobsuche, bei Behördenwegen oder sonstigen Verpflichtungen.
Vor allem Frauen sind von diesem Phänomen der „verdeckten Wohnungslosigkeit“ betroffen. Von den insgesamt 6265 Personen, die sich 2012 an das P7 wandten, waren 1324 Frauen. 2011 waren es 1411, im Jahr zuvor 1285.
Sozialarbeiter der Caritas schätzen, dass in Wien ständig einige hundert Menschen von akuter Obdachlosigkeit betroffen sind. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht.

AUF EINEN BLICK

Betreuung. In Wien gibt es ca. 90 vom Fonds Soziales Wien unterstützte Obdachloseneinrichtungen mit insgesamt 5000 Wohn- und Schlafplätzen. Im Vorjahr wurden in diesen Einrichtungen 9030Menschen betreut. Rund ein Drittel der Obdachlosen ist unter 30 Jahre alt. 2012 waren es 2100 unter 30-Jährige, die sich an das P7, die zentrale Anlaufstelle für Obdachlose in Wien, wandten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2013)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen