Dienstag, 22. Oktober 2013

Frauen oft „verdeckt“ obdachlos - und das im "roten Wien". Armutskonferenz kritisiert Vertreibung.

Frauen oft „verdeckt“ obdachlos

Laut Statistik sind Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer. Sie suchen in Wien aber viel seltener institutionelle Hilfe, meistens aus Scham. Experten sprechen von der „verdeckten Wohnungslosigkeit“ bei Frauen, die sie oft noch ärmer macht.
Die Zahl der Hilfesuchenden bei der Wiener Wohnungslosenhilfe stieg in den vergangenen Jahren konsequent an. Frauen suchen in Wien allerdings viel seltener Hilfe bei Einrichtungen, obwohl sie laut Statistik häufiger von Armut betroffen sind.

Zweckpartnerschaften als Ausweg

Im Vorjahr etwa wurden 9.030 Menschen von der Wiener Wohnungslosenhilfe betreut, davon waren nur 2.450 Frauen. Experten sprechen vom Phänomen der „verdeckten Wohnungslosigkeit“ bei Frauen. Aus Scham suchen Frauen eher nach privaten Lösungen, die sehr oft in neue Abhängigkeiten führen. So nehmen viele auch eine gewalttätige Zweckpartnerschaft in Kauf, um ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht institutionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.

Einrichtungen ausschließlich für Frauen

Auch wenn die Hilfseinrichtungen in der Regel Männern und Frauen offen stehen, werden sie vor allem von Männern beansprucht. In Wien gibt es deshalb fünf Einrichtungen mit mehr als 200 Plätzen, die sich ausschließlich an wohnungslose Frauen richten.
325.000 Personen in Wien sind armutsgefährdet. Es gibt einige österreichische Initiativen, die Hilfe anbieten - mehr dazu in 325.000 Wiener von Armut betroffen. Eine bekannte Wiener Obdachloseneinrichtung, die „Gruft“ im sechsten Bezirk, wurde vor kurzem erweitert - mehr dazu in Mehr Licht in der neuen „Gruft“.

Auch junge Menschen immer öfter betroffen

Obdachlosigkeit trifft auch immer häufiger Menschen unter 30, heißt es von der Caritas. „Das Bild des klassischen Sandlers hat ausgedient. An seine Stelle treten vermehrt junge Menschen, Frauen und psychisch erkrankte Personen“, sagte Klaus Schwertner, der Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Viele von ihnen finden akut Hilfe bei der zentralen Anlaufstelle „P7“ - mehr dazu in Hilfe für Obdachlose: „P7“ ist zehn.
Caritas-Direktor Michael Landau hat anlässliche des Internationalen Tages gegen Armut die Erhöhung der Mindestsicherung für Kinder, eine Novellierung des Mietrechts und die Stärkung des Sozialstaats gefordert. Landau sprach sich außerdem für die „Fortsetzung der Maßnahmen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit“ unter jungen Menschen und eine Novellierung des Mitrechts aus. Dass die letzte Bundesregierung diese „schuldig geblieben“ sei, nannte er „fahrlässig“.
Dass Österreich im Vergleich zu anderen Ländern nicht so stark von der Wirtschaftskrise betroffen sei, sei auch ein Verdienst des Sozialstaats. Dieser dürfe nicht geschwächt werden, betonte Landau. Wenn „Milliarden Euro für die Rettung der Kärntner Pleitebank“ möglich sind, dürfe es keine Einsparungen im Bereich der Sozialleistungen geben.

Link:

·                                 Caritas Wien


Und das nennt sich "rotes Wien"!

(Quelle: orf, 17.10.2013)

Obdachlose im Stadtpark: "Die gehen gezielt auf uns los"

REPORTAGE MIT VIDEO | ROSA WINKLER-HERMADEN, VIDEO: MARIA VON USSLAR, 22. Oktober 2013, 18:24

Am Montag mussten Obdachlose im Stadtpark erneut ihre Schlafplätze räumen. Die Polizei bezieht sich auf die Kampierverordnung, die das Benützen von Schlafsäcken außerhalb von Campingplätzen verbietet. Die Grünen fordern eine Gesetzesänderung

Wien - Friedrich muss liegen. Er hat eine offene Wunde am Bein und kann sich nur mit Krücken fortbewegen. Am Montag wäre ihm das beinahe zum Verhängnis geworden. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche kam die Polizei und vertrieb ihn aus dem Stadtpark. "'Räumen!' haben sie zu uns gesagt", erzählt Friedrich. "'Eine halbe Stunde, sonst ist die 48er da, und alles verschwindet wieder'". In eine Decke gehüllt, eine Zigarette rauchend, erzählt der 56-Jährige am Dienstag frühmorgens von diesem Erlebnis. Seine Kollegen haben ihm beim Packen der wenigen Habseligkeiten geholfen. "Wenn wir zusammen sind, passen wir aufeinander auf."
Es ist ein nebeliger Morgen, und es nieselt. Um halb acht Uhr sind einige Jogger im Stadtpark unterwegs, auch Menschen im Anzug, die ins Büro eilen. Auf den Parkbänken sitzen Obdachlose, denen kaum ein Passant Aufmerksamkeit schenkt. Friedrich übernachtet seit zwei Jahren hier. In eine Einrichtung will er nicht gehen: "In der Gruft (Obdachloseneinrichtung, Anm.)schlafen 60 Leute, mir ist schon so viel gestohlen worden. Da schlafe ich lieber auf der Straße." Dass es nun zum zweiten Polizeieinsatz innerhalb einer Woche gekommen ist, wundert ihn nicht. "Die gehen gezielt auf uns los."
Auch Peter* hat die Aktion miterlebt: "Wir sind alle geflüchtet, die Sachen haben wir mitgenommen. Es hat geheißen, die werden entsorgt. Da haben wir uns gedacht, wir gehen lieber." Statt im Stadtpark hat er die Nacht bei einer U-Bahn-Station verbracht. Auch vom Polizeieinsatz letzte Woche (derStandard.at berichtete) war Peter betroffen. Er versteht nicht, warum er gehen soll: "Wir haben noch nie Probleme mit Anrainern gehabt."
Auf Beschwerden der Anrainer bezieht sich jedenfalls die Polizei, wenn sie auf die Räumungen angesprochen wird - und auf die Kampierverordnung aus dem Jahr 1985, die besagt, dass das "Auflegen und Benützen von Schlafsäcken" außerhalb von Campingplätzen verboten ist. Die Wiener Caritas vermutet jedoch, dass Ursula Stenzel (ÖVP), die Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks, die Räumungen veranlasste. Generalsekretär Klaus Schwertner sagt: "Wo sind da bitte schön Anrainer?"
Stenzel dementiert, sagt im Gespräch mit dem Standard jedoch: "Parkbänke sind keine adäquate Unterbringung." Ihr geht es in der Debatte nicht nur um die soziale Obsorge, die für die Obdachlosen getragen werden müsse (" Eine Spendenaktion fände ich gut"), sondern auch darum, die "öffentliche Ordnung" einzuhalten. Die Stadt Wien gibt derzeit pro Jahr 48 Millionen Euro im Bereich der Wohnungslosenhilfe aus. Für Obdachlose gibt es 5000 Schlafplätze, nun wird am runden Tisch mit NGOs um mehr Obdachlose im Stadtpark: "Die gehen gezielt auf uns los"
REPORTAGE MARIA VON USSLAR, 22. Oktober 2013, 18:24
Am Montag mussten Obdachlose im Stadtpark erneut ihre Schlafplätze räumen. Die Polizei bezieht sich auf die Kampierverordnung, die das Benützen von Schlafsäcken außerhalb von Campingplätzen verbietet. Die Grünen fordern eine Gesetzesänderung
Wien - Friedrich muss liegen. Er hat eine offene Wunde am Bein und kann sich nur mit Krücken fortbewegen. Am Montag wäre ihm das beinahe zum Verhängnis geworden. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche kam die Polizei und vertrieb ihn aus dem Stadtpark. "'Räumen!' haben sie zu uns gesagt", erzählt Friedrich. "'Eine halbe Stunde, sonst ist die 48er da, und alles verschwindet wieder'". In eine Decke gehüllt, eine Zigarette rauchend, erzählt der 56-Jährige am Dienstag frühmorgens von diesem Erlebnis. Seine Kollegen haben ihm beim Packen der wenigen Habseligkeiten geholfen. "Wenn wir zusammen sind, passen wir aufeinander auf."
Es ist ein nebeliger Morgen, und es nieselt. Um halb acht Uhr sind einige Jogger im Stadtpark unterwegs, auch Menschen im Anzug, die ins Büro eilen. Auf den Parkbänken sitzen Obdachlose, denen kaum ein Passant Aufmerksamkeit schenkt. Friedrich übernachtet seit zwei Jahren hier. In eine Einrichtung will er nicht gehen: "In der Gruft (Obdachloseneinrichtung, Anm.)schlafen 60 Leute, mir ist schon so viel gestohlen worden. Da schlafe ich lieber auf der Straße." Dass es nun zum zweiten Polizeieinsatz innerhalb einer Woche gekommen ist, wundert ihn nicht. "Die gehen gezielt auf uns los."
Auch Peter* hat die Aktion miterlebt: "Wir sind alle geflüchtet, die Sachen haben wir mitgenommen. Es hat geheißen, die werden entsorgt. Da haben wir uns gedacht, wir gehen lieber." Statt im Stadtpark hat er die Nacht bei einer U-Bahn-Station verbracht. Auch vom Polizeieinsatz letzte Woche (derStandard.at berichtete) war Peter betroffen. Er versteht nicht, warum er gehen soll: "Wir haben noch nie Probleme mit Anrainern gehabt."
Auf Beschwerden der Anrainer bezieht sich jedenfalls die Polizei, wenn sie auf die Räumungen angesprochen wird - und auf die Kampierverordnung aus dem Jahr 1985, die besagt, dass das "Auflegen und Benützen von Schlafsäcken" außerhalb von Campingplätzen verboten ist. Die Wiener Caritas vermutet jedoch, dass Ursula Stenzel (ÖVP), die Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks, die Räumungen veranlasste. Generalsekretär Klaus Schwertner sagt: "Wo sind da bitte schön Anrainer?"
Stenzel dementiert, sagt im Gespräch mit dem Standard jedoch: "Parkbänke sind keine adäquate Unterbringung." Ihr geht es in der Debatte nicht nur um die soziale Obsorge, die für die Obdachlosen getragen werden müsse (" Eine Spendenaktion fände ich gut"), sondern auch darum, die "öffentliche Ordnung" einzuhalten. Die Stadt Wien gibt derzeit pro Jahr 48 Millionen Euro im Bereich der Wohnungslosenhilfe aus. Für Obdachlose gibt es 5000 Schlafplätze, nun wird am runden Tisch mit NGOs um mehr verhandelt.
Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien, sieht daher auch keinen Grund, die Kampierverordnung zu ändern: "Es ist gut, dass Kampieren nicht erlaubt ist. Sollen wir die Armut mit einer Zeltstadt sichtbar machen? Das würde unsere Bemühungen konterkarieren." Die Grünen können sich das allerdings sehr wohl vorstellen. Sozialsprecherin Birgit Hebein sagt: "Ja, wir sollten die Kampierverordnung überdenken. Niemand will in einer Stadt leben, wo Obdachlose vertrieben werden."
Peter und Friedrich wollen jedenfalls im Stadtpark bleiben, sie interessiert das Politikhickhack nur wenig. Im Gegensatz zu Ernest aus der Slowakei wollen sie in gar keine Unterkunft, sondern im Freien schlafen. Ernest sitzt auf einer Parkbank und freut sich über die Zigarette, die ihm angeboten wird. Er sagt: "Ich weiß noch nicht, wo ich morgen schlafen soll." Er hofft auf November, wenn die Stadt die Plätze aufgestockt haben wird, um dann in einem Notquartier unterzukommen. Bis dahin hüllt er sich in seinen Schlafsack und hofft, dass der Winter erst danach Einzug hält. (Rosa Winkler-Hermaden, Video: Maria von Usslar, DER STANDARD, 23.10.2013)


Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien, sieht daher auch keinen Grund, die Kampierverordnung zu ändern: "Es ist gut, dass Kampieren nicht erlaubt ist. Sollen wir die Armut mit einer Zeltstadt sichtbar machen? Das würde unsere Bemühungen konterkarieren." Die Grünen können sich das allerdings sehr wohl vorstellen. Sozialsprecherin Birgit Hebein sagt: "Ja, wir sollten die Kampierverordnung überdenken. Niemand will in einer Stadt leben, wo Obdachlose vertrieben werden."
Peter und Friedrich wollen jedenfalls im Stadtpark bleiben, sie interessiert das Politikhickhack nur wenig. Im Gegensatz zu Ernest aus der Slowakei wollen sie in gar keine Unterkunft, sondern im Freien schlafen. Ernest sitzt auf einer Parkbank und freut sich über die Zigarette, die ihm angeboten wird. Er sagt: "Ich weiß noch nicht, wo ich morgen schlafen soll." Er hofft auf November, wenn die Stadt die Plätze aufgestockt haben wird, um dann in einem Notquartier unterzukommen. Bis dahin hüllt er sich in seinen Schlafsack und hofft, dass der Winter erst danach Einzug hält. (Rosa Winkler-Hermaden, Video: Maria von Usslar, DER STANDARD, 23.10.2013)

*Name geändert

Armutskonferenz kritisiert Vertreibung von Obdachlosen in Wien
23. Oktober 2013 09:49 ; austria.com 
Aus Sicht der Armutskonferenz verschärft die Vertreibung von Obdachlosen wie zum Beispiel im Wiener Stadtpark die sozialen Probleme, anstatt sie zu lösen.
“Die Vertreibung von Obdachlosen aus dem öffentlichem Raum auf Basis geltender Kampierregeln, die wie die Wiener Verordnung bereits das ‘Auflegen und Benützen von Schlafsäcken’ verbieten, verschärft soziale Probleme anstatt sie zu lösen”, analysiert Michaela Moser von der Armutskonferenz, dem österreichischen Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung.
Obdachlose europaweit betroffen
Europaweit lassen sich seit einiger Zeit Tendenzen zur Vertreibung von Armutsbetroffenen beobachten, europaweit Aufsehen und Proteste erregte kürzlich eine Verfassungsänderung in Ungarn, welche die Inhaftierung von Obdachlosen aufgrund ihres Lebens auf der Straße ermöglicht.

“Bei der Empörung über die Verhältnisse in Ungarn darf es nicht bleiben”, appelliert die Armutskonferenz an EntscheidungsträgerInnen in Österreich, “es gilt Grundrechte zu sichern – und das hier wie dort.”  Das Recht auf sichere Unterkunft, adäquate Hygiene und Ernährung, Gesundheitsversorgung und öffentlichen Raum müsse für alle garantiert werden.

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