Seit 2011 sind die Mieten in Österreich um 15 Prozent gestiegen. Das klingt moderat. Tatsächlich verbirgt sich hinter dieser Statistik ein alarmierendes soziales Gefälle: Ärmere Haushalte haben deutlich höhere Wohnkosten als Durchschnittsverdiener und Wohlhabende. Der Grund: Gutverdiener können sich eher Eigentum leisten, schlechter verdienende Menschen sind auf Mietverhältnisse und die ständig steigenden Mietpreise angewiesen. Gerade beim Thema Wohnen geht die soziale Schere deutlich auseinander.
Studie belegt deutliche Unterschiede
Erst im Frühsommer machte eine Studie der Immoplattform Immoscout24 deutlich, dass das Wohnen in Österreich gegenüber Deutschland deutlich teurer sei, und das trotz des höheren Mietniveaus etwa einer Stadt wie München gegenüber Wien. Der Grund: Die Kaufkraft der Einkommen in Deutschland ist größer.
Gemessen am verfügbaren Einkommen waren die Mieten in österreichischen Städten wesentlich höher als in vergleichbaren deutschen Orten. Der Anteil der Mietkosten für eine 80-Quadratmeter-Wohnung am verfügbaren Jahreseinkommen liegt in Innsbruck (mit 52,9 Prozent), Wien (46,74 Prozent) und Salzburg (46,2 Prozent) deutlich über deutschen Städten wie München (45,93 Prozent), Hamburg (38,5 Prozent) oder Berlin (38,32 Prozent).
Obwohl die Mietpreise in Wien 2015 mit durchschnittlich 10,8 Euro pro Quadratmeter deutlich günstiger sind als in München (mit 13,6 Euro pro Quadratmeter), macht die unterschiedliche Kaufkraft den Unterschied. Denn die der Wiener erreicht laut Marktforschungsinstitut GfK im Schnitt nur 22.246 Euro pro Jahr, in München liegt das verfügbare Durchschnittseinkommen laut deutschem Geomarketingunternehmen Nexiga bei jährlich 28.320 Euro.
TV-Hinweis
Die Dokumentation „Wohnen: ein Luxus“ am Donnerstag um 22.30 Uhr in ORF2 zeigt auch anhand von Rechenbeispielen, wie die Wohnkosten gegenüber den Einkommen explodieren. Die Dokumentation entstand in Zusammenarbeit mit der Plattform Dossier, die dafür gezielte Datenanalysen durchgeführt hat.
Von finanzierbar bis Luxus
Bei bestimmten Immobilien sind die Kosten ohnedies weit entfernt von jedem Durchschnittsgehalt. Im ersten Wiener Gemeindebezirk präsentiert die Immobilienmaklerin Elisabeth Rohr eines der luxuriösen Appartements der Wiener Innenstadt: Kaufpreis: 7,4 Mio. Euro. Finanzierbar ist diese Wohnung, nur eben für vermögende Menschen oder Immobilieninvestoren. Ebenfalls in Wien, aber in einer ganz anderen sozialen Welt lebt die 51-jährige Gabriele Rad mit ihren zwei Kindern. Sie lebt von der Mindestsicherung, geriet in Mietrückstände und wurde schließlich delogiert. Wohnungsnot ist aber längst nicht mehr nur ein klassisches Armutsproblem.
Das Modell eines Mittelstandsangestellten, man nenne ihn Michael, mag als Beispiel dienen. Zahlte er Ende der 1990er Jahre für seine 75 Quadratmeter große Wohnung pro Jahr noch 4.200 Euro, so muss er im Jahr 2014 dafür schon 6.650 Euro aufwenden. Die Entwicklung seines Lohnniveaus konnte dabei mit der Entwicklung der Wohnungskosten nicht mithalten. Seit 2004 geht die Schere zwischen Einkommenszuwachs und Preissteigerung beim Wohnen deutlich auseinander.
Preistreiber Immospekulation
Als wirksamer Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt gilt nicht nur in Österreich die Immobilienspekulation. In Hamburg hat in den letzten Jahren der Streit um die Esso-Häuser für Schlagzeilen gesorgt. Eine jahrelange Auseinandersetzung um den Abriss einer hauptsächlich von einkommensschwachen Mietern bewohnten Anlage hat den bayerischen Investor und den Bezirk St. Pauli in Hamburg zusammen an den Tisch gebracht. Für eine Neuwidmung der Anlage und Baukubatur mussten Betroffene und Errichter zusammen an den Tisch. Demonstrationen, Straßenschlachten und Polizeieinsätze hatten sich zu einem Imageschaden für den „Kiez“ St. Pauli und die gesamte Hansestadt Hamburg ausgewachsen.
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Großbritannien und das „Right to Buy“
In Großbritannien ist man, wie Beispiele der Doku zeigen, weit davor entfernt, den Mangel an erschwinglichem Wohnraum kompensieren zu können. Das „Right to Buy“, ursprünglich eine alte Labour-Losung, wonach sich Arbeiter ihre geförderten Wohnungen und Häuser einmal erwerben können, hat über Jahrzehnte zur Verknappung von gefördertem Wohnraum geführt. Michael Heseltine war als Minister treibende Kraft unter Premierministerin Margret Thatcher bei der Umsetzung des Planes, die „Council Houses“ in Privateigentum überzuführen. Das Projekt wurde zu einem der Hauptmerkmale des „Thatcherismus“.
„Wir haben sehr lange keine Wohnungen gebaut“, konstatiert Gavin Smart von der Interessenplattform Chartered Institute of Housing, das die Aktion „Help to buy“ (eine Beratung für Erstkäufer) ins Leben gerufen hat, gegenüber dem ORF: „Als Konsequenz sind Haus- und Wohnungspreise in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Und diese Steigerungen gehen deutlich über die Einkommenssteigerung der Bevölkerungen raus. Wir haben, wie wir es nennen, eine ‚Leistbarkeitskrise‘.“
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Das „Right to Buy“ habe dem Mietmarkt einen Großteil der Wohnungen entzogen, kritisiert auch Ian Munro vom Bauträger New Charter Housing. „Wo bekommen wir einen Ersatz für erschwingliche Mietwohnungen, die alle Privateigentum sind?“, fragt er. Allein in den kommenden fünf Jahren würden in Großbritannien 370.000 solcher Wohnungen fehlen, rechnet er gegenüber dem ORF vor.
Verstecktes „Right to Buy“ in Österreich
Ganz ausgestorben ist das „Right to Buy“-Prinzip auch in Österreich nicht. Robert Temel, Sprecher der Plattform Baukulturpolitik, erinnert auf Anfrage von ORF.at in diesem Zusammenhang an den Mietkauf im geförderten Wohnungsbau, der mittlerweile häufig sogar verpflichtend sei. Die Bauträger bieten hier nach zehn Jahren den Mietern die Wohnung zum Kauf an. „Solche Maßnahmen sind dem Ziel leistbaren Wohnens genau entgegengesetzt, weil diese Wohnungen damit zu dem Marktobjekt gemacht werden, welches sie im Besitz eines gemeinnützigen Bauträgers nicht sind. Beim Bauträger wird die Miete nicht durch den Markt, sondern durch die Grundstücks- und Baukosten bestimmt“.
Neue Bauten, aber wo?
Die größte Anforderung an den sozialen Wohnbau bleibt der Errichtungspreis für einen Quadratmeter Neubauwohnung. Um diesen zu erreichen, gilt es, nicht nur bei den technischen und baulichen Maßnahmen ökonomisch effizient zu kalkulieren. Die Frage der Lage und der Grundstückspreis sind weitere zentrale Aspekte bei der Kalkulation. In Berlin muss man für einen errichteten Quadratmeter deutlich sparsamer kalkulieren als in Wien, ist doch schon das Grundmietniveau in Berlin deutlich niedriger als in Wien.
Asyl, Flucht und Migration verschärfen die Wohnungsfrage zusätzlich und dramatisch: Wie Lösungen aussehen könnten, zeigt die Dokumentation anhand eines Wohnprojektes in Berlin. Wie erschwinglicher Wohnraum für Asylsuchende und die einheimische Bevölkerung entstehen kann, ist nicht zuletzt eine Herausforderung für Planer und Architekten.
Vorbild für Europa?
Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass das Wiener Modell des geförderten Wohnbaus durchaus vorbildlich für Europa sein kann, wie Experte Temel gegenüber ORF.at bestätigt. „Das österreichische und speziell das Wiener Modell des geförderten Wohnbaus ist zweifellos in vieler Hinsicht vorbildhaft, selbst wenn es auch hier noch einiges Entwicklungspotenzial gibt“, analysiert er.
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Das Spezielle am heimischen Modell sei, dass die Akteure wie die gemeinnützigen Bauträger nicht ohne Markt, aber in einem geschützten Markt operieren. Durch die gesetzlich fixierte Gewinnbeschränkung und einen gesetzlichen Auftrag für gemeinnütziges Wohnungswesen sei es möglich, langfristig kostengünstige Mieten anzubieten.
Hinzu komme, erinnert Temel, die Wohnbauförderung, die in Österreich vergleichsweise hohe Budgets besitze. Wien etwa gibt jährlich etwa 600 Mio. Euro für Wohnbauförderung aus; das ist wesentlich mehr als vergleichbar große deutsche Städte. Mit der Förderung seien auch Qualitätsanforderungen verbunden. „Das heißt“, so Temel, „die Förderung erhält man nur, wenn man bessere Wohnhäuser baut als ohne Förderung.“
Auch Österreich kann sich verbessern
Dennoch sieht er auch in Österreich deutlichen Verbesserungsbedarf in der Schaffung finanzierbaren Wohnraums. Entscheidend sei die Bodenpolitik, denn etwa auch in Wien seien die Preise massiv im Steigen begriffen: „Es braucht neue Ansätze der Bodenpolitik, um preiswerte Grundstücke für leistbaren Wohnbau durchzusetzen.“
Entscheidend für Temel ist am Ende aber auch der städtebauliche Ansatz, bei dem man auch in Wien lange Zeit wenig innovativ gewesen sei. Mittlerweile gebe es mit Projekten wie Aspern aber gute Ansätze. Gestaltung des öffentlichen Raums, die Stadt der kurzen Wege mit Nahversorgung im Wohnumfeld, Nutzungsmischung, neue Mobilitätsangebote - das sieht er als Kernelemente für eine städtebauliche Entwicklung rund um das geförderte Wohnen.
Wichtig ist für Temel die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Noch immer baue die Wohnbaupolitik auf eine Kooperation zwischen Stadtpolitik und großen gemeinnützigen Wohnbauträgern. Das wäre gerade vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen zu erweitern, etwa durch den Ausbau von Baugemeinschaftsprojekten.
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