Sonntag, 20. November 2016

Da braut sich was zusammen

Wiens Langzeitbürgermeister Michael Häupl hat nicht nur Probleme mit seiner Partei. Er hat auch Probleme mit seiner Stadt.

Michael Häupl ist ein Mann mit vielen Fähigkeiten. Er regiert die Bundeshauptstadt seit nunmehr 22 Jahren. Er schafft es selbst in für seine Partei schlechten Zeiten, zum Beispiel jetzt, dass die SPÖ fast zehn Prozentpunkte Vorsprung auf die zweitplatzierte Partei hat. 
Er ist hochintelligent und charismatisch. Er schafft es selbst in für seine Partei schlechten Zeiten, zum Beispiel jetzt, Krisen mit einem Scherzwort kleinzureden. "Der hat ja nicht einmal 300 Follower auf Facebook", sagte der Bürgermeister beispielsweise über einen ehemaligen Mitstreiter, der öffentlich auf seine, Häupls, Ablöse drängte. Gelächter bei den Journalisten, Revolution abgesagt.
Dennoch: Der Richtungsstreit zwischen den Bezirksorganisationen in den bevölkerungsreichen Flächenbezirken Floridsdorf und Donaustadt sowie Simmering und Liesing gegen den Rest ist voll entflammt.Das Thema Flüchtlinge spaltet die Partei: Sozialstadträtin Sonja Wehsely hat die Entscheidung für Obergrenzen bei Flüchtlignen stark kritisiert. Das wiederum werfen ihr die Vertreter der großen Bezirke vor, die mit einer immer stärker werdenden FPÖ zu kämpfen haben.
In den Innerstädtischen Bezirken sind die Hauptgegner wiederum die Grünen, wo gerade die Leopoldstadt den Bezirksvorsteher an die Grünen abtreten musste. Weiters sehen viele die Probleme im Gesundheitswesen kritisch, wie etwa die Krise mit den Ärzten der Gemeindespitäler oder die Kostenexplosion beim Krankenhaus Nord.
Alles bestens also? Natürlich nicht. Denn abgesehen von den Flügelkämpfen, unter denen sich die Wiener SPÖ windet, hat Michael Häupl ein weiteres Problem. Und zwar Wien. Die Bundeshauptstadt ist lebens- und liebenswert. Aber die Probleme verschärfen sich, wie beispielsweise aus dem Wiener Sozialbericht für 2015 hervorgeht - eine Publikation, die keinesfalls im Geruch rechtskonservativer Gesinnung steht und die sogar ein Vorwort der Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely, Exponentin des linken Parteiflügels, ziert. "Die Lage am Arbeitsmarkt verschärft sich zunehmend: Der wachsenden Anzahl von Arbeitnehmern/-innen stehen keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten gegenüber", hält der Sozialbericht fest, und weiter: "Besonders auf dem prekären und dem Niedriglohnarbeitsmarkt wurde der Ausschluss von der Erwerbstätigkeit für diese Personengruppe Realität." - Stimmt. Wien hat österreichweit die höchste Arbeitslosenquote. Besonders hoch ist sie bei den schlecht gebildeten Personen.
In dieser Hinsicht bietet der Sozialbericht bemerkenswerte Fakten. Demnach weist Wien die höchste Akademikerquote von allen Bundesländern auf. Doch gleichzeitig leben hier (nach Vorarlberg) auch die meisten Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben. Dies deutet auf eine tiefe Spaltung der Wiener Gesellschaft hin: einerseits eine breite Schicht an Gebildeten - urban, gut verdienend, möglicherweise mit Interesse an rot-grünen Leuchtturmprojekten wie der verkehrsberuhigten Maria hilfer Straße. Und andererseits eine breite Schicht an potenziellen Modernisierungsverlierern, denen die neuesten Flaniermeilen und Radwege der grünen Vizebürgermeisterin möglicherweise nicht ganz so wichtig sind wie die Meisterung des täglichen Existenzkampfes. Diese beiden Extreme verkörpern übrigens auch die Spaltung der Wiener SPÖ: hier die Innenbezirk-Bobos um Sozialstadträtin Sonja Wehsely, da die hemdsärmeligen Arbeiterbezirkskaiser wie Michael Ludwig, Floridsdorf, und Ernst Nevrivy, Donaustadt. Michael Häupl ist mit der Aufgabe, diese beiden Parteiflügel zu koordinieren, ebenso überfordert wie die Stadtregierung mit dem Versuch, eine für beide gesellschaftlichen Extreme gleichermaßen befriedigende Politik zu machen.
Zurück zu den Sozialdaten: 56 Prozent aller österreichischen Mindestsicherungsbezieher leben in Wien. Das betreffende Budget musste jüngst um 130 Millionen Euro nachdotiert werden. Dazu heißt es im Sozialbericht lapidar: "Nur ein Drittel der BMS-Bezieher steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung." Jeder dritte junge männliche Wiener ist ohne regulären Job. Dass sich hier eher kurz- als langfristig ein Problem auftut, liegt auf der Hand.

Dies vor allem, weil Wien nicht an Attraktivität für Zuwanderer eingebüßt hat: "Im letzten Jahrzehnt verzeichnet Wien starke Bevölkerungszuwächse, die maßgeblich auf die Zuwanderung aus dem Ausland zurückzuführen sind", liest man im Sozialbericht. In Zahlen ausgedrückt ist die Einwohnerzahl Wiens seit 2002 um rund 196.000 Personen gestiegen. Rund 24 Prozent der Bewohner Wiens haben keine österreichische Staatsbürgerschaft, rund 36 Prozent haben Migrationshintergrund.
Es brauen sich also jede Menge Probleme zusammen, und man würde sich eine Wiener SPÖ wünschen, die sich mehr der Problemlösung und weniger ihren Flügelkämpfen widmet. Wobei diese Flügelkämpfe nicht verwundern. Wie viele große Männer hat Häupl die Personalentwicklung vernachlässigt, sodass sich unter seinen Augen die Wiener SPÖ in eine geschlossene Sippe aus einigen wenigen miteinander verheirateten, verwandten, verpartnerten und verfeindeten Familien verwandelte. Wie viele große Männer hat Michael Häupl den richtigen Zeitpunkt zum Rückzug verpasst, sodass sich die Diadochen nun um den Thron streiten, obwohl dieser noch nicht vakant ist. Wie viele große Männer hat Häupl sich etliche Feinde gemacht, zuletzt die Vertrauten des ungnädig in die Wüste geschickten Werner Faymann, die dem Langzeit-Bürgermeister nun das Leben schwer machen. Michael Häupl sind die Zügel entglitten. Deshalb fällt es ihm auch so schwer, sie zu übergeben.

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