Robert, 41, kommt ursprünglich aus Ungarn. Seit 19 Monaten ist er in Wien und obdachlos. Als Mitarbeiter des Projekts SUPERTRAMPS hat er profil durch seine "Schlafstelle Wien" geführt.
Angefangen hat alles mit der Scheidung von seiner Frau. Damals war er noch Geigenbauer in der Nähe des Plattensees. Die heftigen Auseinandersetzungen mit seiner Ex-Frau stürzten ihn in eine tiefe Depression. "Von da an ging es immer weiter bergab", erzählt Robert. Er verlor seinen Beruf und wurde obdachlos.
"In Ungarn hast du als Obdachloser keine Chance. Es gibt keine Notschlafstellen. Wäre ich geblieben, wäre ich heute entweder tot oder im Gefängnis", schildert Robert die Situation für Obdachlose in Ungarn. Er wollte nach Österreich. Drei Tage lang erbettelte er sich vor einem ungarischen Bahnhof 80€. Genug für ein Zugticket nach Wien.
Als er in Wien ankam, wusste Robert nicht wohin. Er hatte von Notschlafstellen gehört, traute sich aber nicht danach zu fragen. Robert erinnert sich: "Mein Deutsch war schlecht und ich war zu schüchtern um jemanden anzusprechen. Also bin ich einem Obdachlosen gefolgt. So habe ich herausgefunden, wo Tageszentren und Schlafstellen sind."
Stell dir vor du bist obdachlos und hast kein Geld für einen Fahrschein. Was sagst du dem Schwarzkappler?
Beim VinziPort im dritten Wiener Gemeindebezirk fand Robert vorerst Unterschlupf. Um 1€ pro Nacht konnte er dort abends ein Bett beziehen, musste jedoch am nächsten Tag um 7 Uhr wieder auf die Straße. Bis 18 Uhr bleiben die Tore der meisten Notschlafstellen jedoch verschlossen, so auch die des VinziPort.
Die Notschlafstelle des Arbeiter-Samariterbundes (ASB) am Enkplatz in Wien-Simmering ist hier die Ausnahme. Dort ist abends bereits ab 17 Uhr Einlass. "Und diese eine Stunde kann im kalten Winter entscheidend sein", sagt Robert.
Der ASB betreibt am Enkplatz auch ein Tageszentrum für Obdachlose und bietet Computer-Schulungen an: Von Internetnutzung bis zum Verfassen von Bewerbungsunterlagen werden hier die notwendigen Fähigkeiten vermittelt, um den Ausweg aus der Obdachlosigkeit zu erleichtern.
In Österreich haben ausländische Obdachlose in den Sommermonaten keinen Anspruch auf einen Platz in den Notschlafstellen. In den Monaten von November bis Mai gibt es das sogenannte Winterpaket, das allen Obdachlosen, unabhängig von ihrer Herkunft, Anspruch auf einen Platz in einer Schlafstelle zusichert. Von Juni bis Ende Oktober lebte Robert im dritten Bezirk gegenüber von einem Wohnhaus. Auf einer Matratze, und bei Regen dicht an die Wand gedrückt, verbrachte er seine Nächte im Freien.
Die Bewohner der umliegenden Häuser hätten Robert größtenteils respektvoll behandelt. Dennoch sei es immer wieder zu unangenehmen Zwischenfällen gekommen: Schaulustige kamen vorbei um Robert in seinem Schlaflager zu fotografieren, nachts wurde die Polizei gerufen. "Mich kannte hier jeder. Die Menschen aus dem Wohnhaus gegenüber haben mir manchmal Essen gebracht. Ein Mann hat mir sogar eine Stoffbahne geschenkt, die ich als Vorhang genutzt habe. Damit hatte ich zumindest ein bisschen Privatsphäre", erzählt Robert.
Roberts Tour durch Wien führt auch zu einem beliebten Schlafplatz in der Nähe der S-Bahn Station St. Marx. Auf einem bewachsenen Hügel richten sich viele Obdachlose ihr Quartier ein. Es handle sich dabei jedoch meist um kriminelle oder drogensüchtige Obdachlose. "Wer mit mir hier ist, muss sich nicht fürchten. Aber ich rate davon ab, hier alleine herzukommen. Das kann gefährlich werden", erklärt Robert, während er die Schlaflager zeigt. Er selbst habe hier nie genächtigt: "Die Menschen leben hier im Dreck. Sie räumen ihren Müll nicht weg, sondern lassen einfach alles liegen. Das würde ich nicht aushalten."
Mit der Straßenbahn geht es weiter zum Enkplatz. Robert stellt seinen Tourgästen für die Fahrt mit der Bim eine Aufgabe: "Stell dir vor du bist obdachlos und hast kein Geld für einen Fahrschein. Was sagst du dem Schwarzkappler?" Seine Lieblingsantwort kam vor einiger Zeit von einem Jugendlichen. Er schlug "Heute ist mein Geburtstag" als Ausrede vor. Am Ende sei es trotzdem immer reine Glückssache: Manchmal habe Robert vom Fahrkartenkontrolleur einen Fahrschein geschenkt bekommen, manchmal aber eben auch nicht.
Seit ich in Österreich bin, geht es mir besser.
Am Enkplatz angekommen, zeigt Robert "seinen" Supermarkt. Im Eingangsbereich bat er Menschen um Essen. Er bekam Wurstsemmeln und manchmal sogar Gemüse oder Obst geschenkt. Direkt nach Geld gefragt habe er nie.
Robert zieht Bilanz: "Seit ich in Österreich bin, geht es mir besser. Ich habe keine Herzrhythmusstörung mehr, mein Blutdruck hat sich eingependelt und meinen Diabetes habe ich auch im Griff". Sein Engagement beim Projekt SUPERTRAMPS hat Robert noch den nötigen Aufwind gegeben: "Seit ich die Touren mache, bin ich motivierter. Psychisch geht es mir auch viel besser."
Über die vergangenen Sommermonate hat Robert bei einer Baufirma gejobbt. Für den kommenden Winter hat er bereits eine Stelle als Schneeräumer in Wien-Umgebung gefunden. Noch verbringt Robert seine Nächte in der Notschlafstelle VinziBett. Er hofft jedoch bald eine kleine Wohnung beziehen zu können und endlich sein eigenes Reich zu haben.
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