Montag, 29. September 2014

Ist Faymann die SPÖ? Partei ohne Grundwerte

SPÖ: Partei ohne Grundwerte

Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die Grundwerte der Sozialdemokratie findet man in der SPÖ nur noch in homöopathischen Dosen.
Ein Kommentar von Thomas Knapp
Bundeskanzler Werner Faymann wird nachgesagt, weitgehend ideologiefrei in den Tag zu gehen. Oft werden Probleme der SPÖ von ideologiefesten KritikerInnen darauf zurückgeführt. Nach Faymann, so hofft man, könnten „echte“ SozialdemokratInnen ans Ruder kommen. Aber woher sollen sie kommen? Es ist nicht nur unwahrscheinlich, es ist eigentlich undenkbar, dass solche Leute in der zweiten und dritten Reihe hinter der Parteispitze sitzen. Müssten sie nicht schon längst den Aufstand wagen, wenn sie tatsächlich so von sozialdemokratischer Ideologie geleitet wären, wie manche es erhoffen? Wie kann man von jemand, der alle Ideologielosigkeit und Grauheit, jede Beliebigkeit und alles Loslassen sozialdemokratischer Werte und Ziele mitträgt, erwarten, es plötzlich anders zu machen? Ist nicht das Gegenteil wahrscheinlich? Die SPÖ leidet nicht unter Werner Faymann, die SPÖ ist Werner Faymann. Der Vorsitzende verkörpert seine Partei perfekt.

Freiheit

Dieser Grundwert wird der Sozialdemokratie selten zugeschrieben. Im Gegensatz zum Liberalismus ist hier nicht die verbreitetere Idee der sogenannten „negativen Freiheit“ (oder auch „Freiheit von“, d.h. Freiheit von inneren und äußeren Zwängen) gemeint, sondern das Konzept der „positiven Freiheit“ (oder auch „Freiheit zu“). Freiheit in sozialdemokratischem Verständnis heißt nicht nur, dass der Staat etwas nicht verbietet (z.B. freie Presse), sondern dass er seine BürgerInnen aktiv unterstützt (z.B. Presseförderung). 1
Die SPÖ verfolgt die positive Freiheit der BürgerInnen nicht weiter. Keine Vision, wie man Menschen in der „Armutsfalle“ helfen könnte, kein glühendes Engagement die sich selbst reproduzierende soziale Selektion in Schulen und Universitäten zu durchbrechen und geradezu aktive Einschränkung der positiven und negativen Freiheiten von MigrantInnen und insbesondere AsylwerberInnen. Vom Grundwert der Freiheit findet man in der SPÖ kaum eine Spur.

Gleichheit

Auch die sozialdemokratische Gleichheitskonzeption ist traditionell sehr stark und geht über minimale Gleichheit liberaler und konservativer Ideen hinaus. Es geht nicht nur um eine Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch um eine Gleichheit der Lebensqualität, zumindest soll niemand unter einen bestimmten Standard fallen. Wie bei der positiven Freiheit will eine sozialdemokratische Gleichheitskonzeption die Menschen aktiv dabei unterstützen, Freie und Gleiche zu sein.
Hier lässt sich die Konzeption angreifen – wie weit geht man, bevor man in Gleichmacherei verfällt? Eine tatsächlich schwierige Abgrenzung, aber auch eine Frage, die sich für die SPÖ nicht stellt. Sie verfolgt keine Gleichheitsziele mit Nachdruck, nicht einmal minimale Gleichheit vor dem Recht für Liebespaare (Stichwort Eheöffnung). Manchmal bekommt man Lippenbekenntnisse, aber manchmal nicht einmal das. Privatschulen als Instrument einer sich selbst reproduzierenden monetären Elite? Jedes Jahr, das ohne vernünftige Gesamtschule vergeht, verfestigt und verschlimmert sich die Ungleichheit in der österreichischen Gesellschaft? Für die SPÖ anscheinend kein Grund zur Aufregung.

Gerechtigkeit

Der bekannteste der vier Grundwerte und jener, den Werner Faymann gerne plakatiert. Von vier Grundwerten erinnert sich die SPÖ nur an einen, und auch nur insofern, als sie damit für sich selbst Werbung macht. Mit Leben erfüllt sie die Idee der Gerechtigkeit nicht. Vieles vom Punkt „Gleichheit“ könnte man hier wiederholen. Gleichheit ist, gerade nach sozialdemokratischem Verständnis, ein integraler Bestandteil und eine notwendige Voraussetzung von Gerechtigkeit. Insofern ist klar, dass eine Partei, der Gleichheit weitgehend egal ist, auch keine Gerechtigkeit, zumindest nicht nach sozialdemokratischem Verständnis, anstreben kann.
Wenn Werner Faymann von Gerechtigkeit spricht, meint er damit kein Gesamtkonzept und keine gesellschaftliche Vision, sondern eine gerechte Verteilung der Steuerlast. Immerhin, könnte man meinen. Wenn er denn eine gerechte Verteilung der Steuerlast auch tatsächlich wollen, und nicht nur davon sprechen würde. Dabei geht es nicht nur um vermögensbezogene Steuern, die auch unter SPÖ-Kanzlern weit unter dem OECD-Schnitt, aber auch unter den Werten von des Sozialismus unverdächtigen Staaten wie den USA, liegen. Davon spricht in der SPÖ zumindest ab und zu jemand. Aber schon die offensichtliche Ungerechtigkeit im Sozialversicherungssystem, wo Beiträge, Leistungen und Selbstbehalte in keiner sinnvollen Relation zueinander stehen, da jedes Bundesland und zig Berufsgruppen eigene Kassen haben, wird ignoriert. Nicht einmal bei dem, was jemand am Lohnzettel abgezogen wird, hat die SPÖ eine Vision von Gerechtigkeit.

Solidarität

Das größte Versagen der SPÖ aber ist, dass sie den Grundwert der Solidarität vergessen hat. Die Solidarität ist die Grundlage einer politischen ArbeiterInnenbewegung und einer gerechten Gesellschaft. Die Schwachen sind gemeinsam nicht mehr schwach. Selbst die Schwächsten haben nichts zu fürchten, weil sich die Stärksten schützend vor sie stellen. Solidarität ist so etwas wie der Kit, der Theorie übersteigt und alle anderen vereint. Weil wir alle Menschen sind, soll es keinem von uns schlecht gehen. Solidarität ist die Antwort der Sozialdemokratie auf Unterdrückung und Terror, auf Unglück und Neid, auf Böswilligkeit und Ungerechtigkeit. Es ist die Solidarität, die die Sozialdemokratie zu der politischen Erfolgsgeschichte gemacht hat, die sie ist.
Doch die SPÖ, die unter Faymann wieder engstens mit dem ÖGB verbunden ist, hat die Solidarität großteils verlernt. Das sagt auch viel über die Gewerkschaft aus. Höchstens bei Pensionsdebatten, wenn Liberale und Konservative ihre Kürzungsfantasien damit durchbringen wollen, dass sie Junge gegen Alte ausspielen, regt sich noch ein Funken Solidarität in der SPÖ, wenn die Jugendorganisationen ausrücken, um gegen Pensionskürzungen mobil zu machen. Freilich kein Licht ohne Schatten. Das sozialdemokratische Pensionsmodell basiert auf gesamtgesellschaftlicher Solidarität, die SPÖ scheint aber bereit, das aufzugeben. Der Markt weiß es besser.
Entsolidarisierung ist ein elementarer Bestandteil all dessen, was als neoliberal kritisiert wird. Eine solidarische Gesellschaft überlässt die Schwächsten nicht sich selbst, und die Verteilung der Güter und Chancen nicht dem Zufall der Geburt oder dem freien Markt, sondern einer demokratisch gewählten Regulierung und Umverteilung. Doch davon ist in der SPÖ keine Rede. Unbeholfen humpelt sie dem längst gescheiterten „dritten Weg“ nach oder lässt sich von Interessen fernab der Sozialdemokratie beeinflussen. Eine Partei, die wirtschaftspolitisch die neoliberalen Visionen eines Hannes Androsch aushält, ist keine sozialdemokratische. Eine Partei, die die Schwächsten nicht schützt, etwa mittellose Menschen die nur ihre nackte Haut vor dem Krieg retten konnten, aber einen rechtspopulistischen Landeshauptmann wie Hans Niessl aushält, ist keine sozialdemokratische.

Aber?

Aber, wenden Faymann und Co gerne gegen jede Kritik ein, die SPÖ habe nun einmal keine absolute Mehrheit. Also könne man nicht erwarten, dass sie alles umsetzt, was sie will. Das gehe einfach nicht. Stimmt. Nur ist das ein Einwand auf Kritik, die kaum oder gar nicht geäußert wird. Die meisten KritikerInnen verlangen nicht „alles“, sondern wären von „etwas“ schon überrascht und beeindruckt. Vor allem aber geht es darum, was die SPÖ will. Sie will ihre Grundwerte gar nicht umsetzen, das ist der Punkt. Wenn es um Postendeals geht, hat die SPÖ überhaupt kein Problem, sich durchzusetzen, oder einen Kompromiss zu erzielen, der beide Seiten weiterbringt. Man stelle sich vor, die ÖVP würde die SPÖ vor die Wahl stellen: Entweder wir lassen die ÖBB für 20 Jahre komplett in Ruhe oder wir beschließen eine Gesamtschule nach skandinavischem Modell. Kann es irgendeinen Zweifel geben, was die SPÖ wählen würde? Und genau deshalb kann sie sich jetzt gerade so leicht von der Gesamtschule verabschieden – weil sie sie gar nicht wirklich wollte.


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