Donnerstag, 30. Januar 2020
Mythos Wiener wohnen
Über den Wiener Wohnungsmarkt, vor allem die Situation für Mieter, wird zumeist in den höchsten Tönen geschwärmt. Das Thema ist nicht neu: Die Mieten sollen besonders günstig sein, der Markt für Investoren dennoch attraktiv, obwohl streng reguliert, denn er gilt als stabil. Dazu kommt, dass Wien wächst und in Rankings immer wieder zu den lebenswertesten Städten weltweit zählt.
Doch ist Wien tatsächlich ein "Paradies für Mieter" und ein Vorbild für eine bessere deutsche Wohnungspolitik? Eine Studie von Empirica zum Wiener Wohnungsmarkt im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) hat den Markt analysiert. In manchen Bereichen könnte Wien Modell sein, etwa in Sachen Bodenpolitik, in anderen Bereichen kommen die Studienautoren zu vernichtenden Ergebnissen.
"In der Summe wohnt es sich trotz allem in Wien im Durchschnitt nicht günstiger als in deutschen Metropolen und erst recht nicht sicherer, hochwertiger oder stressfreier." Fazit von Empirica-Ökonom Prof. Dr. Harald Simons
Die Studie stand am 29. Januar in Berlin auch im Mittelpunkt einer Diskussionsrunde unter dem Arbeitstitel "Wohnungsmarkt Wien – Eine wohnungspolitische Analyse aus deutscher Sicht". Teilgenommen haben Empirica-Vorstand Prof. Dr. Harald Simons, Axel Gedaschko, GdW-Präsident und Vorsitzender der BID und der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, Ulrich Ropertz, unter der Moderation von Michael Fabricius, Leitender Redakteur Immobilien der "Welt".
Geringere Mieten stehen mehr Mieterpflichten gegenüber
Zumindest im Gemeindebau sind die Wiener Mieten im Vergleich zu jenen deutscher Metropolen zum Teil niedriger. So liegt der Studie zufolge die tatsächlich gezahlte durchschnittliche Bestandsmiete (bruttokalt) beispielsweise in Wiener Altbauten mit 9,20 Euro pro Quadratmeter zwar niedriger als in München (zirka 10,40 Euro pro Quadratmeter), aber deutlich höher als in Berlin (7,52 Euro) oder Hamburg (8,94 Euro).
Dafür, so die Autoren, übernehmen die Mieter in Wien mehr Pflichten als die Mieter in Deutschland, etwa Investitionspflichten. Auch sind sämtliche Nebenkosten, etwa für die Wohnungsverwaltung, auf die Mieter umlegbar, sodass die kalten Betriebskosten in Wien mit 2,35 Euro pro Quadratmeter und Monat zwischen 0,75 und 0,85 Euro pro Quadratmeter höher sind als in den deutschen Metropolen.
"Im Teilmarkt der privaten Altbauten sind die Wiener in der Praxis schlechter gestellt als die Mieter in den deutschen Metropolen. Außerdem ist das hochkomplexe mietrechtliche System, das sich in den Teilmärkten deutlich unterscheidet, sehr streitanfällig." Auszug aus der Empirica-Studie
Neuvertragsmiete ist nicht gleich Neuvertragsmiete
Das mit knapp zehn Prozent kleinste Marktsegment sind in Wien die privaten, frei finanzierten Mietwohnungen und in Bezug auf die Regulierung laut Simons "fast vergleichbar mit dem allgemeinen Wohnungsmarkt in Deutschland ohne Mietpreisbremse". Allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, dass auch hier sachgrundlose Befristungen des Mietvertrages möglich sind. Die Neuvertragsmieten liegen hier nach Berechnungen von Empirica mit 13,60 Euro pro Quadratmeter bruttokalt etwas höher als in Hamburg (13,13 Euro), aber deutlich niedriger als in München mit 18,79 Euro pro Quadratmeter.
"In der Gesamtzusammenschau ist der Mieter frei finanzierter Wohnungen in Wien etwas schlechter gestellt als in deutschen Metropolen, da bei vergleichbarem Mietniveau die Sicherheit des Mietverhältnisses aufgrund der möglichen Befristung niedriger ist." Auszug aus der Empirica-Studie
Neuvertragsmiete sei auch nicht gleich Neuvertragsmiete, so die Studienautoren, die auch falsch verwendete Begrifflichkeiten dafür verantwortlich machen, dass in der deutschen Öffentlichkeit häufig ein falsches, zu rosiges Bild vom Wiener Wohnungsmarkt entsteht: Die Wiener "Neuvertragsmiete" sei eher mit der deutschen Mietspiegelmiete vergleichbar, die auch in Deutschland deutlich unter den deutschen "Neuvertragsmieten" liege, lautet eine Erklärung.
Gemeindewohnungen, fehlender Neubau und soziale "Entmischung"
Das nach eigenen Angaben größte kommunale Wohnungsunternehmen der österreichischen Hauptstadt ist die "Wiener Wohnen" mit knapp 210.000 Wohnungen (31 Prozent des Mietwohnungsbestandes). Rund 27 Prozent davon sind der Studie zufolge Altbauten aus der Zwischenkriegszeit, darunter der berühmte Karl-Marx-Hof.
Knapp 60 Prozent des Bestandes stammen demnach aus den Baujahren 1950 bis 1970. Die Bestände der Wiener Wohnen liegen laut Sozialraumatlas der Stadt Wien fast ausschließlich in sozial schwachen Baublöcken; nur wenige Gebäude, meist in den zentralen Bezirken, liegen in sozial unauffälligen Baublöcken. Das habe dazu geführt, heißt es in der Studie, dass die soziale Mischung abgenommen habe.
In den vergangenen 40 Jahren hat die Wiener Wohnen nur noch wenige Wohnungen errichtet, 2004 wurde der Neubau völlig eingestellt. Mit der Folge, so die Studie, dass das Unternehmen kein Akteur in der Stadtentwicklung mehr ist, obwohl Wien nach 80 Jahren Bevölkerungsrückgang seit dem Jahr 2000 wieder wächst. 2015 hat die Stadt Wien für den Neubau von Wohnungen eine neue kommunale Gesellschaft, die Wiener Gemeindewohnungsbaugesellschaft mbH, gegründet.
"Deutschen Städten kann daher nicht empfohlen werden, dem Wiener Beispiel zu folgen, ganz abgesehen von der Frage, woher die ganz erheblichen Mittel für den Aufbau des Wohnungsbestandes kommen sollen." Auszug aus der Empirica-Studie
Und was ist mit den geförderten Wohnungen?
Einen Lichtblick bietet der Studie zufolge das Segment der geförderten Wohnungen: Dieser Bereich umfasst rund 26 Prozent des Mietwohnungsbestandes und das Marktsegment wächst dank Neubau. Im Jahresdurchschnitt 2010 bis 2017 wurden pro Jahr 5.900 Geschosswohnungen errichtet, so die Wissenschaftler. Dies entspricht zwischen 60 und 80 Prozent des Geschosswohnungsneubaus in Wien. Bauträger und Eigentümer der geförderten Wohnungen sind neben gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften aber auch private Bauträger.
Die städtebauliche und architektonische Qualität der geförderten Neubauwohnungen ist in Wien besonders hoch und entspricht eher dem höheren Eigentumssegment in Deutschland. Dieser Sektor wird in Deutschland häufig mit "Sozialwohnung" betitelt, was nicht ganz korrekt ist.
Zum einen seien die Einkommensobergrenzen fast dreimal so hoch wie etwa in Berlin (knapp 4.000 Euro netto pro Monat für Ein-Personen-Haushalte), zum anderen müssten Mietinteressenten einen Beitrag zur Finanzierung (Eigenmittelbeitrag) leisten: Bei Erstbezug sind der Studie zufolge 500 Euro pro Quadratmeter einzuplanen, fällig bei Mietvertragsabschluss. Zum dritten hat fast jeder Mieter seit dem Jahr 2000 einen gesetzlichen Anspruch auf den Erwerb seiner geförderten Wohnung zwischen fünf und 30 Jahre nach Fertigstellung.
"Im Ergebnis könnte der geförderte Wohnungsbau in Wien durchaus ein interessantes Modell für Deutschland sein, da er überwiegend dem politischen Ziel einer Erhöhung der Eigentümerquoten dient." Auszug aus der Empirica-Studie
Die Kaufoption besteht bei allen geförderten Wohnungen unabhängig von der Rechtsform des Bauträgers (Gemeinnützige Baugesellschaft, Genossenschaft, gewerblicher Bauträger).
Clevere Idee: Smart-Wohnungen
Vergleichbar mit dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland ist eine Unterart des geförderten Wohnungsbaus in Wien: Smart-Wohnungen. Sie zeichnen sich durch einen sehr niedrigen Eigenmittelbeitrag von rund 60 Euro pro Quadratmeter aus. Der sonst vom Mieter zu zahlende Eigenbeitrag wird durch zusätzliche Förderkredite an die Bauträger ersetzt, auch "Superförderung" genannt. Eine Kaufoption für die Mieter besteht nicht. Das Konzept gibt es seit 2012. Die Miete liegt bei monatlich 7,50 Euro pro Quadratmeter bruttokalt. Smart-Wohnungen zeichnen sich durch kleine Wohnflächen aus, die vorgeschrieben sind (durchschnittlich maximal 65 Quadratmeter). Die geringen Wohnflächen erfordern eine besonders kompakte Bauweise.
"Smart-Wohnungen könnten im Vergleich zu deutschen Sozialwohnungen vor allem aufgrund ihrer kostengünstigen Bauart ein interessantes Architekturmodell für Deutschland sein." Auszug aus der Empirica-Studie
Förderung und Bodenpolitik
Die wohnungspolitischen Ausgaben in Wien sind laut Empirica deutlich höher als in deutschen Metropolen und konzentriert auf die Objektförderung: In den Jahren 2018/2019 habe die Stadt Wien pro Einwohner etwas mehr als doppelt so viel für die Neubauförderung ausgegeben als Berlin. Die Subjektförderung ist hingegen ausgesprochen niedrig. In der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, vergleichbar mit dem Arbeitslosengeld II in Deutschland, liegen in Wien die Mietobergrenzen für einen Ein-Personen-Haushalt mit 323 Euro pro Monat niedriger als in Berlin (404 Euro), Hamburg (481Euro) oder München (660 Euro).
"Ein mögliches Vorbild für Deutschland kann die Bodenpolitik Wiens sein. Die Stadt betreibt eine viel aktivere Bodenvorratspolitik als deutsche Städte." Auszug aus der Empirica-Studie
Der Bodenfonds verfügte der Studie zufolge Ende 2018 über einen Flächenvorrat, der für zehn Jahre ausreicht, obwohl der größere Teil des gesamten Neubaus von Mehrfamilienhäusern auf Flächen des Bodenfonds realisiert wird. Wohnbauland wird zu Preisen von gerade einmal 240 bis 300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche verkauft, was höchstens ein Viertel der Baulandpreise in deutschen Metropolen ist.
Entscheidend für den Erfolg: Der Bodenfonds kann beim Ankauf von Bauerwartungsland von privaten Eigentümern aus einer echten Monopolposition heraus verhandeln; und Eigentümer von Bauerwartungsland können faktisch nur an den Bodenfonds verkaufen, sodass dieser die Preise diktiert. In Deutschland sehen sich die Kommunen demnach häufig einem faktischen Monopolisten gegenüber, der die Preise diktiert und warten kann.
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