Handwerkerkartell: Firmenpatron geht zum Gegenangriff über
Ein
von der Staatsanwaltschaft verdächtigter Unternehmer kritisiert Mängel bei
Ausschreibungen, Rechnungsprüfung und Qualitätsmanagement. In mehreren Briefen
an das Rathaus erhebt er schwere Vorwürfe.
Wien. Die Sache riecht nach Amtsmissbrauch und
schwerem Betrug. Seit bald einem Jahr schon durchforsten Spezialisten der
Korruptionsstaatsanwaltschaft ein kompliziertes Netzwerk aus Handwerkerfirmen
und Mitarbeitern der Gemeindebauverwaltung Wiener Wohnen. Der Verdacht: Ein
Firmenpatron aus dem Bezirk Liesing, seine Schwester und mehrere Werkmeister
sollen den Auftraggeber Wiener Wohnen, damit also die Stadt – und letztendlich
alle Steuerzahler – bei Instandhaltung und Sanierung von 220.000 Gemeindewohnungen
um mehrere Millionen Euro gebracht haben. Sollen. Die Ermittlungen laufen
nämlich noch.
Nach dem Auffliegen der Affäre im Frühling („Die Presse“
veröffentlichte eine Artikelserie) und einer Auseinandersetzung zwischen
Stadtregierung und Opposition ging der Hauptverdächtige nun von der
Öffentlichkeit unbemerkt in die Gegenoffensive. In mehreren Briefen wies er
alle Verdachtsmomente gegen ihn zurück, erhob seinerseits schwere Vorwürfe
gegen seinen Auftraggeber. Die Adressaten der Schreiben logieren in den
schönsten Büros der Stadt: Bürgermeister Michael Häupl, Wohnbaustadtrat Michael
Ludwig, Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka, Kontrollamtsdirektor Peter Pollak
sowie Wiener-Wohnen-Geschäftsführer Josef Neumayer.
Im Kern wirft der Kommerzialrat aus dem 23. Gemeindebezirk Wiener
Wohnen vor, allzu leichtfertig viel zu teure Aufträge an befreundete
Unternehmer zu vergeben. Ein Vorwurf, mit dem er sich selbst – und seiner
Meinung nach zu Unrecht – konfrontiert sieht. Als Beispiel nennt W. etwa einen
Rahmenvertrag für Installateurarbeiten (Volumen: 200 Mio. Euro), bei dem es
nach Erkenntnissen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) im Vorfeld zu
Preisabsprachen zwischen mehreren Teilnehmern gekommen sein soll. Schaden für
Wiener Wohnen: 46 bis 62 Mio. Euro. Das Verfahren liegt derzeit beim
Kartellobergericht. Und Wiener Wohnen zahlt – vertraglich gebunden – nach wie
vor die überhöhten Preise.
Ehrenzeichen für
Verdächtigen?
Die Kritik an seinen eigenen Geschäften weist W. nicht nur zurück,
sondern stellt sie in den Zusammenhang einer gezielten Kampagne von Wiener
Wohnen gegen ihn und Firmen, die in seinem Einflussbereich stehen. Wortwörtlich
mahnt er dafür eine „Entschuldigung“ ein.
Beim Lesen der Briefe – es sind insgesamt 19 Seiten – wird auch
klar, warum diese in Kopie an Kontrollamtsdirektor Pollak gingen. W., so
schreibt er, kritisiere nämlich schon viele Jahre die bei Wiener Wohnen gelebte
Praxis, dass Rechnungen ungeprüft zur Auszahlung freigegeben würden. Das sei
„grob fahrlässig“. Genauso wie die schlampig und unpräzise ausgeführten
Leistungsverzeichnisse vieler anderer Ausschreibungen, die Wiener Wohnen Zeit
und Geld sowie alle Interessierte einiges an Nerven kosten würden. Und auch
hier nennt W. Beispiele. Der ausgeschriebene Rahmenvertrag für Baumeisterarbeiten
musste dreimal berichtigt werden, ein Großauftrag für Fenster wurde wegen teils
widersprüchlicher Maßangaben sogar komplett zurückgezogen.
Dann wird der in einigen Abschnitten durchaus schlüssige
Rundumschlag W.s jedoch unfreiwillig komisch. Denn eigentlich, so seine
Schlussfolgerung, hätte er sich für das Aufdecken dieser Missstände verdient,
„mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien ausgezeichnet zu
werden“.
Starke Indizien
Unfreiwillig deshalb, weil mehrere Details trotz aller Dementis
dafür sprechen, dass W. für seine schwierige Lage durchaus selbst
verantwortlich sein könnte. Bereits im Mai veröffentlichte „Die Presse“ ein
Gutachten das zu dem Schluss kam, dass W. „abgerechnete Leistungen nachweislich
nicht bzw. nicht in der beauftragten und verrechneten Qualität erbracht“ hat.
Ein Beispiel: So waren neu verlegte Kunststoffböden dünner als vereinbart, der
alte darunter wurde vertragswidrig nicht entfernt. In den Bereichen von Maler-,
Fassaden- und Glaserarbeiten soll es ganz ähnlich geschehen sein.
Die Geschäftsleitung von Wiener Wohnen ließ W.s Kritik bisher
kalt. Erst am Montag soll ein erstes Antwortschreiben an ihn das Haus verlassen
haben – fast zwei Monate nach seinem ersten Brief.
Dass alle Eingangsrechnungen überprüft würden, sei, so ein
Sprecher, „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Trotzdem habe man mit 1. Juli
2013 ein neues, 50-köpfiges Team für begleitende Qualitätskontrollen während
Bauarbeiten installiert. Und: Verzögerungen bei Ausschreibungen seien oft durch
Bewerber verursacht, die diese beeinspruchen. Das führe zwangsläufig zu
Änderungen in den Vertragstexten.
DER FALL IM ZEITRAFFER
Im Frühling 2012 erhielten Wiener Unternehmer erste Hinweise
darauf, dass ein Großauftragnehmer (W.) von Wiener Wohnen Sanierungsarbeiten in
Gemeindebauten nicht vertragskonform erledigte. Gutachter, Rechtsanwälte und
andere Experten wurden aktiv. Tatsächlich erhärtete sich der Verdacht, dass
Leistungsverzeichnisse nicht erfüllt wurden. Also übergab man das Material im
Herbst der Stadt Wien und Wiener Wohnen. Zwei Monate später ging aus dem
Rathaus eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft. W. wird
beschuldigt, möglicherweise mithilfe von Amtsträgern Schäden in Millionenhöhe
verursacht zu haben. W. weist nun in mehreren Briefen alle Verdächtigungen von
sich, greift Wiener Wohnen frontal an. Er wirft der Gemeindebauverwaltung
Mängel bei Ausschreibungen, Rechnungsprüfung und Qualitätskontrolle vor.
("Die Presse", Print-Ausgabe,
25.09.2013)
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