Dienstag, 24. September 2013

Die Sache riecht nach Amtsmissbrauch

Handwerkerkartell: Firmenpatron geht zum Gegenangriff über
Ein von der Staatsanwaltschaft verdächtigter Unternehmer kritisiert Mängel bei Ausschreibungen, Rechnungsprüfung und Qualitätsmanagement. In mehreren Briefen an das Rathaus erhebt er schwere Vorwürfe.
Wien. Die Sache riecht nach Amtsmissbrauch und schwerem Betrug. Seit bald einem Jahr schon durchforsten Spezialisten der Korruptionsstaatsanwaltschaft ein kompliziertes Netzwerk aus Handwerkerfirmen und Mitarbeitern der Gemeindebauverwaltung Wiener Wohnen. Der Verdacht: Ein Firmenpatron aus dem Bezirk Liesing, seine Schwester und mehrere Werkmeister sollen den Auftraggeber Wiener Wohnen, damit also die Stadt – und letztendlich alle Steuerzahler – bei Instandhaltung und Sanierung von 220.000 Gemeindewohnungen um mehrere Millionen Euro gebracht haben. Sollen. Die Ermittlungen laufen nämlich noch.
Nach dem Auffliegen der Affäre im Frühling („Die Presse“ veröffentlichte eine Artikelserie) und einer Auseinandersetzung zwischen Stadtregierung und Opposition ging der Hauptverdächtige nun von der Öffentlichkeit unbemerkt in die Gegenoffensive. In mehreren Briefen wies er alle Verdachtsmomente gegen ihn zurück, erhob seinerseits schwere Vorwürfe gegen seinen Auftraggeber. Die Adressaten der Schreiben logieren in den schönsten Büros der Stadt: Bürgermeister Michael Häupl, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka, Kontrollamtsdirektor Peter Pollak sowie Wiener-Wohnen-Geschäftsführer Josef Neumayer.
Im Kern wirft der Kommerzialrat aus dem 23. Gemeindebezirk Wiener Wohnen vor, allzu leichtfertig viel zu teure Aufträge an befreundete Unternehmer zu vergeben. Ein Vorwurf, mit dem er sich selbst – und seiner Meinung nach zu Unrecht – konfrontiert sieht. Als Beispiel nennt W. etwa einen Rahmenvertrag für Installateurarbeiten (Volumen: 200 Mio. Euro), bei dem es nach Erkenntnissen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) im Vorfeld zu Preisabsprachen zwischen mehreren Teilnehmern gekommen sein soll. Schaden für Wiener Wohnen: 46 bis 62 Mio. Euro. Das Verfahren liegt derzeit beim Kartellobergericht. Und Wiener Wohnen zahlt – vertraglich gebunden – nach wie vor die überhöhten Preise.
Ehrenzeichen für Verdächtigen?
Die Kritik an seinen eigenen Geschäften weist W. nicht nur zurück, sondern stellt sie in den Zusammenhang einer gezielten Kampagne von Wiener Wohnen gegen ihn und Firmen, die in seinem Einflussbereich stehen. Wortwörtlich mahnt er dafür eine „Entschuldigung“ ein.
Beim Lesen der Briefe – es sind insgesamt 19 Seiten – wird auch klar, warum diese in Kopie an Kontrollamtsdirektor Pollak gingen. W., so schreibt er, kritisiere nämlich schon viele Jahre die bei Wiener Wohnen gelebte Praxis, dass Rechnungen ungeprüft zur Auszahlung freigegeben würden. Das sei „grob fahrlässig“. Genauso wie die schlampig und unpräzise ausgeführten Leistungsverzeichnisse vieler anderer Ausschreibungen, die Wiener Wohnen Zeit und Geld sowie alle Interessierte einiges an Nerven kosten würden. Und auch hier nennt W. Beispiele. Der ausgeschriebene Rahmenvertrag für Baumeisterarbeiten musste dreimal berichtigt werden, ein Großauftrag für Fenster wurde wegen teils widersprüchlicher Maßangaben sogar komplett zurückgezogen.
Dann wird der in einigen Abschnitten durchaus schlüssige Rundumschlag W.s jedoch unfreiwillig komisch. Denn eigentlich, so seine Schlussfolgerung, hätte er sich für das Aufdecken dieser Missstände verdient, „mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien ausgezeichnet zu werden“.

Starke Indizien
Unfreiwillig deshalb, weil mehrere Details trotz aller Dementis dafür sprechen, dass W. für seine schwierige Lage durchaus selbst verantwortlich sein könnte. Bereits im Mai veröffentlichte „Die Presse“ ein Gutachten das zu dem Schluss kam, dass W. „abgerechnete Leistungen nachweislich nicht bzw. nicht in der beauftragten und verrechneten Qualität erbracht“ hat. Ein Beispiel: So waren neu verlegte Kunststoffböden dünner als vereinbart, der alte darunter wurde vertragswidrig nicht entfernt. In den Bereichen von Maler-, Fassaden- und Glaserarbeiten soll es ganz ähnlich geschehen sein.
Die Geschäftsleitung von Wiener Wohnen ließ W.s Kritik bisher kalt. Erst am Montag soll ein erstes Antwortschreiben an ihn das Haus verlassen haben – fast zwei Monate nach seinem ersten Brief.
Dass alle Eingangsrechnungen überprüft würden, sei, so ein Sprecher, „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Trotzdem habe man mit 1. Juli 2013 ein neues, 50-köpfiges Team für begleitende Qualitätskontrollen während Bauarbeiten installiert. Und: Verzögerungen bei Ausschreibungen seien oft durch Bewerber verursacht, die diese beeinspruchen. Das führe zwangsläufig zu Änderungen in den Vertragstexten.
DER FALL IM ZEITRAFFER
Im Frühling 2012 erhielten Wiener Unternehmer erste Hinweise darauf, dass ein Großauftragnehmer (W.) von Wiener Wohnen Sanierungsarbeiten in Gemeindebauten nicht vertragskonform erledigte. Gutachter, Rechtsanwälte und andere Experten wurden aktiv. Tatsächlich erhärtete sich der Verdacht, dass Leistungsverzeichnisse nicht erfüllt wurden. Also übergab man das Material im Herbst der Stadt Wien und Wiener Wohnen. Zwei Monate später ging aus dem Rathaus eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft. W. wird beschuldigt, möglicherweise mithilfe von Amtsträgern Schäden in Millionenhöhe verursacht zu haben. W. weist nun in mehreren Briefen alle Verdächtigungen von sich, greift Wiener Wohnen frontal an. Er wirft der Gemeindebauverwaltung Mängel bei Ausschreibungen, Rechnungsprüfung und Qualitätskontrolle vor.


("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen