Dienstag, 31. Mai 2016
Wie kontextualisiert man einen ganzen Gemeindebau?
Wie kontextualisiert man einen ganzen Gemeindebau?
31.05.2016 | 18:00 | Wolfgang Freitag (Die Presse)
Das war ja eine besonders lustige Geschichte Anfang des Jahres.
Die vom geschichtsvergessenen Anstreicher, der nicht nur die Fassade der Technischen
Universität am Karlsplatz, sondern als Draufgabe die daran befestigte LuegerGedenktafel weiß
getüncht hatte. Selbstredend, was die Tafel betraf, ohne jedweden Auftrag, wie seitens der TU
versichert wurde; und wer hätte schon geglaubt, dass sich da irgendjemand der lästigen
LuegerMemorabilie auf so schnöde Art hätte entledigen wollen.
Je nun, weiß getüncht ist sie geblieben, aber mittlerweile, wie angekündigt, ist sie
„kontextualisiert“. Konkret: Vor die aus dem Jahr 1944 datierende Tafel findet sich eine neue,
gläserne montiert, auf der wortreich festgehalten wird, Herr Lueger sei nicht nur ein „großer
Bürgermeister“, sondern auch als Antisemit groß gewesen – was nicht zu bestreiten ist. Und
weil man nie sicher sein kann, dass es ein anderer tut, klopft man sich gleich selbst auf die
KontextualisiererSchulter: „Die TU Wien setzt mit dieser Informationstafel das bewusste
Zeichen einer kritischen Betrachtung und unterstreicht damit ihren reflektierten Umgang mit
ihrer Geschichte.“ Einen Umgang, der darin besteht, ein fragwürdiges Zeugnis der
Vergangenheit unter gut gemeinten Sätzen (und weißer Fassadenfarbe) zu begraben.
Sei's drum. An Übungsstoff für weitere Kontextualisierungen mangelt es ja nicht. Wie wär's
beispielsweise mit dem OskarHelmerHof, Wien Floridsdorf? 112 Stiegen und 788 Wohnungen,
benannt nach jenem SPInnenminister, der als Spiritus Rector des vielleicht schamlosesten
Schurkenstücks der Zweiten Republik gelten darf: dass jenes Gut, das Juden unter NaziHerrschaft
geraubt worden war, nicht schleunigst retourniert wurde. „Ich wäre dafür, dass man
die Sache in die Länge zieht“: Dieser Satz stammt aus dem Munde Helmers – und dass wir bis
heute mit dem Thema Restitution zu raufen haben, gründet sich in einer Haltung, die genau
darin zum Ausdruck kommt. Bleibt die Frage: Wie kontextualisiert man einen ganzen
Gemeindebau?
EMails an: wolfgang.freitag@diepresse.com
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