Donnerstag, 9. Februar 2017

Sonja Wehsely

Von Jänner 2007 bis Jänner 2017 war sie als Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales zuständig – damit auch für die Behindertenpolitik. Ein Kommentar.
Wer – so wie Sonja Wehsely – 10 Jahre lang für die Wiener Behindertenpolitik in der Stadtregierung verantwortlich ist, hinterlässt Spuren.
„Die Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Sonja Wehsely, scheidet nach zehn Jahren in der Wiener Stadtregierung aus der Politik aus“, ist auf der Seite der Stadt Wien zu lesen.
„Im Mittelpunkt meiner Arbeit als Gesundheits- und Sozialstadträtin stand zehn Jahre lang der Einsatz für eine Stadt, die für alle da ist, unabhängig von Einkommen, Herkunft oder Geschlecht. Mehr Chancengleichheit auf allen Ebenen und ein solidarisches Gesundheits- und Sozialsystem, auf das sich die Menschen verlassen können, waren immer Kernelemente meiner politischen Motivation“, zieht Sonja Wehsely – laut stadteigenem Pressedienst – Bilanz.

Vergleich Sonja Wehsely vs. Grete Laska

Wenn man Sonja Wehsely mit Grete Laska vergleicht, die ebenfalls so eine lange Spanne für die Behindertenpolitik zuständig gewesen ist, wird klar, dass sich die Umgangsweise mit Behindertenpolitik nur anfangs von einander unterschied. (Das kurze Intermezzo von Renate Brauner als Sozialstadträtin blenden wir einmal aus, weil es hier nichts zur Sache tut).
Hier einige exemplarisch ausgewählte Beispiele:
Wehsely ging zwar mit Schwung und Energie an ihre Aufgabe heran, die ziemlich behäbige Behindertenpolitik samt der Fürsorgepolitik der alten MA 12 umzukrempeln. Noch vor ihrer Zeit als Sozialstadträtin übernahm der Fonds Soziales Wien (FSW) im Jahr 2004 die Behindertenagenden der Magistratsabteilung 12 (MA 12) beinahe zur Gänze.
Am Anfang ihrer Zeit als Sozialstadträtin lag das Gefühl in der Luft, dass Wien endlich eine modernere Behindertenpolitik bekommen könnte. Auch wenn die Umsetzung einer so tiefgreifenden Änderung wie die Übernahme der Agenden der MA 12 durch den FSW dauerte, war diese Phase rückblickend erfolgreich.

Chancengleichheitsgesetz Wien

Das uralte und fürchterlich auf Fürsorge getrimmte Gesetz über die Hilfe für Behinderte (Wiener Behindertengesetz – WBHG) wurde durch das Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung in Wien (Chancengleichheitsgesetz Wien – CGW) ersetzt.
Vorangegangen waren langwierige Verhandlungen zwischen der Sozialstadträtin, dem FSW, der MA 40 sowie der Interessensvertretung behinderter Menschen in Wien unter der Leitung von Michael Krispl.
Der Stadträtin war es wichtig, so lange zu verhandeln, bis ein Kompromiss herauskam, den alle Verhandlungspartner mittragen wollten. Und dies geschah auch so. Wien blieb – im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie OÖ oder Kärnten – erspart, dass ein Gesetz gegen den Willen der Betroffenen verabschiedet wurde.
Erstmals gab es normierte Leistungen wie Gebärdensprachdolmetschung, Beratung oder Persönliche Assistenz im zuständigen Landesgesetz. Die Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz brachte zwar noch nicht für alle Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, Persönliche Assistenz zu bekommen, aber die Behindertenbewegung in Wien sah dies als mutigen Schritt in die erhoffte Richtung. Auf jeden Fall ausbaufähig.

UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen als Basis?

„Das neue Chancengleichheitsgesetz baut auf den Prinzipien der Chancengleichheit und Selbstbestimmung auf und basiert damit auf der UN-Konvention“, erklärt die Vorsitzende der Gemeinderätlichen Behindertenkommission, die SPÖ-Behindertensprecherin Gabriele Mörk im Jahr 2010.
Dieser Wunsch ging so nie in Erfüllung. Das Gesetz war zwar ein Fortschritt, aber bewusst noch immer ein Konvolut von Leistungen bzw. Bestimmungen, auf die man meist keine Rechtsansprüche hat bzw. die so allgemein gefasst sind, dass es dem Gutdünken des FSW obliegt, was er davon im Rahmen von Richtlinien umsetzen will und wie er es ausgestaltet.
Dieser Entwicklung sah Sozialstadträtin Sonja Wehsely tatenlos zu. Im Laufe der Jahre wurde ihre Passivität und der Mangel an Gestaltungswillen immer unerträglicher.
Es verwundert daher nicht, dass sogar sie selbst unter den 10 erfolgreichen Projekten ihrer Amtszeit nur eines aus dem Behindertenbereich angab. Nämlich das gut gemeinte, aber in der Praxis mangelhafte Wiener Chancengleichheitsgesetz.

Wie die UN-Konvention umsetzen?

Auch wenn es rational schwer nachvollziehbar ist, es ist leider ein Faktum. Die Wiener Landesregierung war lange Zeit gegen einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, zu deren Umsetzung Wien seit 2008 verpflichtet ist. Alle diesbezüglichen Anträge wurden im Landtag von den Regierungsparteien niedergestimmt.
Erst im November 2011 erteilte Wehsely – allerdings nicht in ihrer Funktion als Sozialstadträtin sondern bewusst in der Funktion als Präsidentin des Dachverbands der Wiener Sozialeinrichtungen – den Auftrag, Arbeitsgruppen zu gründen.
Diese liefen unter dem Projekttitel UN-Gleichheit für alle und zeigten auf, was Sonja Wehsely zumindest in ihrem Verantwortungsbereich ändern könnte, damit die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umgesetzt wird.
Die umfangreichen Arbeiten mündeten 2014 in einen Endbericht. Doch da war es schon längst zu spät. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Sozialstadträtin Sonja Wehsely bereits jedes Interesse an Behindertenpolitik verloren. Es verwundert daher auch nicht, dass keinerlei Entscheidungen mehr getroffen wurden und der gute Bericht mit Umsetzungsideen in der Schublade verschwand.

Wehsely und ihre Untätigkeit

Um das Vakuum der stadträtlichen Untätigkeit zumindest ein wenig zu füllen und die letzten Jahre der Untätigkeit bei der Umsetzung der UN-Konvention zu kaschieren, setzte der FSW 2016 nochmals zur Erarbeitung einer Umsetzungsstrategie der UN-Konvention an. Dieses Mal unter dem Namen „Wiener Wege zur Inklusion“.
Außer ein paar salbungsvollen Worten steuerte Sonja Wehsely diesem Prozess nichts mehr bei. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar: Die Behindertenpolitik der Stadträtin ist nicht mehr existent. Auch ihr Büro praktizierte diese Wagenburg-Strategie: Zu Behindertenpolitik wird nichts gesagt und gleich direkt an den FSW verwiesen.
Die Konsequenz sind ungelöste Probleme bei der De-Institutionalisierung (hunderte behinderte Menschen leben in Pflegeheimen) aber auch bei der Persönlichen Assistenz (wo seit 9 Jahren keine Stundensatzerhöhung erfolgte).

Der Abschied

Wurde Wehsely einst als Zukunftshoffnung der SPÖ Wien gehandelt, entwickelte sich das von ihr geführte Sozial- und Gesundheitsressort zur Dauerbaustelle. Alles lief aus dem Ruder. Die Gesundheitspolitik in Wien beherrschte monatelang die Medien. Sei es der Arbeitszeitstreit mit den ÄrztInnen, das Chaos rund um das Krankenhaus Nord oder die mangelhafte Versorgung in den Spitälern.
Nicht nur der Rechnungshof, auch die gesamte Opposition – hinter den Kulissen sogar die eigenen Leute – begannen ihren Unmut zu äußern. Dazu kam noch massiver Gegenwind der Opposition und der Medien, was ihre Positionen in der Sozialpolitik (Stichwort Mindestsicherung) betraf.
Auch wenn es in der Öffentlichkeit anders dargestellt wird: Sie kam mit ihrem Absprung in die Privatwirtschaft ihrer Absetzung zuvor.

Fazit

Sonja Wehsely prägte über ein Jahrzehnt die Sozialpolitik dieser Stadt und hat Spuren hinterlassen. Sie startete engagiert und durchaus mit Elan. Die letzten 3 bis 4 Jahre trübte sich ihre politische Karriere aufgrund einer Reihe von fragwürdigen Entscheidungen und fand nun ein unrühmliches Ende. Wenn es ein wenig anders gelaufen wäre, hätte sie vielleicht sogar Bürgermeisterin werden können.
Sonja Wehsely hinterlässt der neuen Stadträtin Frauenberger eine Vielzahl von gefährlichen Baustellen, sei es das Krankenhaus Nord, die reformbedürftige Sozialpolitik und die gänzliche aufgegebene Behindertenpolitik, die derzeit nur mehr vom Verwaltungsträger FSW betrieben wird. Frauenberger steht damit vor Herkulesaufgaben.
Wir können nur hoffen, dass sie stark genug ist um die Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen und nicht in einer von Wehsely hinterlassenen Baustelle verschwindet. Oder – Gott bewahre – sich darin das politische Genick bricht.

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